„Familie Scholl macht Urlaub in Schollach.“ - und auch am Titisee.

Familie Scholl macht Urlaub in Schollach

Wie der Hochschwarzwald zur zweiten Heimat wurde
03.07.2015

von Barbara Bollwahn

Der Engel thront auf 1.132 Meter Höhe oben auf einem Berg, der passenderweise Hochberg heißt. Seit über einem Vierteljahrhundert schon fahren Norbert und Claudia Scholl die schmale Straße mit den vielen Kurven und den wenigen Höfen zu ihm hinauf.

Die erste Zeit war die Anfahrt holprig, inzwischen ist der Weg geteert. Der Engel, zu dem es sie immer wieder hin zieht, ist der Gasthof Engel auf dem Hochberg. Mehrmals im Jahr lassen Norbert und Claudia Scholl ihre waldarme Heimat im Kreis Ludwigsburg, zwischen Stuttgart und Heilbronn, hinter sich und legen knapp 200 Kilometer zurück, um im Schwarzwald den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen.

Quartier im Hochschwarzwald gesucht

Eine Freundin hatte ihnen vom Schwarzwald vorgeschwärmt. Sie wurden neugierig, lasen Bücher und verbrachten schließlich mit ihren beiden kleinen Kindern den ersten Urlaub dort. Weil der Bauernhof am Rande des Schwarzwaldes lag, sie aber lieber in den Hochschwarzwald wollten, suchten sie ein neues Quartier. Einige Jahre fuhren sie fortan nach Eisenbach „auf einen typischen Schwarzwaldbauernhof“, wie Norbert Scholl sagt. Dort spielten die Kinder mit den Kindern der Vermieter, abends konnten sie es kaum erwarten, bis es Stallzeit war und sie beim Füttern und Melken dabei sein durften, im Winter lernten sie Ski fahren. „Bei Wanderungen haben wir ihnen auch die typische Vegetation erklärt“, erinnert sich Norbert Scholl. „Und wenn wir den Kindern sagten: Heute geht es zum Essen in den Engel, dann sind sie gelaufen wie die Briefträger!“

"Bei Wanderungen haben wir ihnen auch die typische Vegetation erklärt."
"Bei Wanderungen haben wir ihnen auch die typische Vegetation erklärt." © Scholl

Anfang der 1990er Jahre, ihre Gastgeber in Eisenbach gaben das Vermieten auf, stiegen die Scholls kurzerhand in dem Gasthof ab, dessen Speisekarte sie schon kannten.

“Wir fühlten uns sofort gut aufgehoben und angenommen“
(Claudia Scholl)

Weil der Engel auf der Gemarkung von Schollach steht, dem kleinsten und ländlichsten Ortsteil der Gemeinde Eisenbach, muss es, Kalauer hin, Kalauer her, natürlich heißen: „Familie Scholl macht Urlaub in Schollach.“

Die Beiden kommen auch ohne die längst erwachsenen Kinder weiter in den Schwarzwald. Sie machen kleine Wanderungen und ausgiebige Spaziergänge, gehen zu Heimatabenden oder auch mal ins Spaßbad nach Titisee. Vor wenigen Monaten haben sie sich ein neues Familienmitglied zugelegt, Bruno, einen Labrador. „Er fordert uns und wir haben einen guten Grund zum laufen“, sagt Norbert Scholl und krault Bruno den Kopf. Als der 64-jährige, der bereits im Ruhestand ist, noch als Einkäufer für eine Auto-Zulieferfirma europaweit unterwegs war, hat er besonders die Natur und die Stille genossen, die er auch im Rentenalter schätzt. Seine Frau, 59, die noch zwei Jahre als Arzthelferin schaffen muss, verbringt die Zeit auch gern mit Handarbeiten und der Lektüre von Büchern über den Schwarzwald.

Vermieter und Stammgast: Wie eine gute Ehe

Gern sitzen sie auch in der Gaststube vom Engel mit der niedrigen Decke, dem Herrgottswinkel und dem Kachelofen, der seit 1919 im Besitz der Familie ist. Sie lieben es, den 82-jährigen Ernst Waldvogel, den sie „Opa Ernst“ nennen, nach früher auszufragen. Er hilft, wie auch seine Frau Anita, noch immer in der Gastwirtschaft. Als die Schwester von „Opa Ernst“ gestorben ist, sind die Scholls „selbstverständlich“ zur Beerdigung in den Schwarzwald gefahren. Zwischen Vermietern und ihren Stammgästen kann es wie in einer Ehe heißen: In guten wie in schlechten Zeiten.

Sie lieben es, den 82-jährigen Ernst Waldvogel, den sie „Opa Ernst“ nennen, nach früher auszufragen.
Sie lieben es, den 82-jährigen Ernst Waldvogel, den sie „Opa Ernst“ nennen, nach früher auszufragen. © Barbara Bollwahn

Sohn Thomas, 45, gelernter Koch, ist seit einigen Jahren der Chef in der Küche und führt den Gasthof mit seiner Frau Claudia, die aus Hamburg stammt, und mit der er zwei Töchter hat. „Es freut uns zu sehen, wie hier alle zusammen arbeiten und helfen“, sagt Claudia Scholl. „Das findet man nur noch selten“, ergänzt ihr Mann. Claudia Scholl lässt den Zeigefinger der rechten Hand in die Luft schnellen. „Und Thomas Waldvogel kocht sehr, sehr gut und mit Leidenschaft!“ Erwähnt werden muss auch der Eierlikör, den seine Frau macht und der so gut ist, dass aus Nicht-Eierlikör-Trinkern im Nu Eierlikör-Liebhaber werden.

Es gibt bei den Scholls zu Hause ein Schwarzwaldsouvenir, das sie schon vor ihrem ersten Aufenthalt dort hatten, eine Kuckucksuhr. Die Uhr bekamen die Eltern von Claudia Scholl zur Hochzeit 1954 geschenkt. Nach dem frühen Tod der Eltern brachte sie die Uhr in ihre Ehe mit. Die ersten zehn Jahre lief sie tadellos, bis sie immer wieder stehen blieb. Der Kuckuck schwieg und die Uhr war nur noch Dekoration im Arbeitszimmer von Norbert Scholl. Bis das Paar vor wenigen Jahren zufällig in Neustadt auf eine Firma stieß, die Kuckucksuhren herstellt. „Im Schwarzwald, und nicht in Fernost!“, betont Norbert Scholl.

Vor wenigen Monaten haben sie sich ein neues Familienmitglied zugelegt, Bruno, einen Labrador.
Vor wenigen Monaten haben sie sich ein neues Familienmitglied zugelegt, Bruno, einen Labrador. © Barbara Bollwahn

Sie nahmen die kaputte Uhr im nächsten Urlaub mit und ließen sie reparieren.

“Ruft mir jetzt der Kuckuck von oben zu, muss ich immer an den schönen Schwarzwald denken!“
(Norbert Scholl)

Längst ist er zur zweiten Heimat geworden. Die Scholls können sich sogar vorstellen, den Schwarzwald zu ihrer ersten Heimat zu machen und ihren Lebensabend dort zu verbringen.