Das Reich des Schneemalers

Das Molerhüsli von Karl Hauptmann ist heute Treffpunkt der Familie
22.10.2021

von Gabriele Hennicke

Das Molerhüsli auf der Grafenmatt mit Blick auf das Herzogenhorn war im vorigen Jahrhundert über 30 Jahre lang Heim und Atelier des Feldbergmalers Karl Hauptmann. Hier war der berühmte Schneemaler zuhause, von hier aus zog er selbst im tiefsten Winter los zum Malen, die Staffelei auf dem Rücken. Egal, ob Sohn oder Schwiegertochter, Enkelinnen oder Urenkelinnen, alle Hauptmanns lieb(t)en die einfache, einsam gelegene Hütte – und alle haben die künstlerische Ader geerbt.

„Hallo Opa, wir sind wieder da!“, sagt Gaby Hauptmann, als sie die Hütte betritt. „Diese Begrüßung war immer das Allererste, schon als Kinder haben wir das so gemacht, der Opa ist schließlich hier gestorben“, erklärt sie. „Vom Berg bringen mich nur die Gendarmen oder der Leichenwagen“, soll ihr Großvater einmal gesagt haben. Karl Hauptmann (1880-1947) zählte schon zu Lebzeiten zu den bedeutendsten Schwarzwaldmalern. In Freiburg geboren und aufgewachsen, lebte er zunächst dort mit Frau Magdalena und Sohn Arthur. Seine Motive fand er mit der Zeit aber immer öfter im Hochschwarzwald. Besonders die winterliche Landschaft und der Anblick der schneebedeckten Schwarzwaldhöfe hatten es ihm angetan. Nach dem Ersten Weltkrieg konnte er eine Hütte im Feldberggebiet kaufen, von der aus er sich auf die Suche nach Motiven machte. Hauptmanns Molerhüsli, wie er die Hütte auf der Grafenmatt nannte, wurde schon bald zum festen Wohnsitz des Malers. Die Familie blieb in Freiburg und führte dort ein großbürgerliches Leben.

Karl Hauptmann (1880-1947) zählte schon zu Lebzeiten zu den bedeutendsten Schwarzwaldmalern.
Karl Hauptmann (1880-1947) zählte schon zu Lebzeiten zu den bedeutendsten Schwarzwaldmalern. © Schwarzwälder Skimuseum_Archiv Ruth Dickel Freiburg

Das Molerhüsli ist heute noch ein fester Bestandteil im Leben der Schriftstellerin und SWR-Journalistin Gaby Hauptmann. Schon als Kind lag sie – genauso wie ihre vier Jahre ältere Schwester Karin – in der Wiege unter den Tannen beim Haus. Drei Wochen Molerhüsli-Ferien standen jedes Jahr während der Sommerferien auf dem Programm. Gerne erinnert sich Gaby Hauptmann daran, wie die Kinder barfuß die Grafenmatt hinunter zum Feldbergpass liefen, um Süßigkeiten zu kaufen und wie sie später als Jugendliche vom Feldberg aus in die Disco nach Titisee-Neustadt trampte. „Der Opa war immer präsent, obwohl er gestorben ist, bevor ich geboren bin. Sein Geist ist hier im Molerhüsli zu spüren und auch der meiner Mutter Heidi, die hier nach dem Tod meines Großvaters zwei Jahre lang mit meinem Vater Arthur in wilder Ehe gelebt hat“, sagt Gaby Hauptmann.

Karl Hauptmann (am Fenster des Molerhüsli) begrüßt einen Besucher.
Karl Hauptmann (am Fenster des Molerhüsli) begrüßt einen Besucher. © Schwarzwälder-Skimuseum_Archiv-Ruth-Dickel-Freiburg

Erst Haushälterin, dann Schwiegertochter

Im Jahr 1937 war Gabys Mutter Heidi mit 19 Jahren als Haushälterin zu dem berühmten Maler auf den Berg gekommen. Sie raufte sich mit dem damals 57-jährigen Künstler zusammen, versorgte den Haushalt und übernahm auch die Einkäufe. Das bedeutete, mindestens einmal pro Woche 700 Höhenmeter hinab nach Todtnau zu laufen und den gesamten Einkauf samt zahlreicher Rotweinflaschen hinauf zur Hütte zu schleppen. Im Winter war Heidi auf Ski unterwegs. Zeitweise arbeitete Karl Hauptmann auch in St. Märgen. „Dann pendelte unsere Mutter zwischen Molerhüsli und St. Märgen hin und her, bei guten Bedingungen waren das acht Stunden Fußmarsch“, erinnert sich die Enkelin. „Unsere Mutter hatte damals den Beinamen ‚Das Reh‘. Lange hatten meine Schwester Karin und ich Mühe, mit ihr mitzuhalten.“

Zehn Jahre lebte Heidi fest im Hüsli, verliebte sich in Hauptmanns Sohn Arthur, der das künstlerische Talent von seinem Vater geerbt hatte. Zahlreiche von Arthurs Zeichnungen hängen heute noch an den Wänden der Hütte. Das junge Ehepaar zog nach Trossingen auf die Baar, weil Arthur dort eine Stelle als Chefgrafiker beim Musikinstrumentehersteller Hohner angenommen hatte. Ihre Töchter Karin und Gaby Hauptmann wuchsen dort auf.

Heidi Hauptmann mit Töchtern, Enkelin und Urenkelin.
Heidi Hauptmann mit Töchtern, Enkelin und Urenkelin. © Karin-Hauptmann

Dennoch lebte Heidi Hauptmann immer wieder über längere Phasen am Feldberg. „Unsere Mutter starb mit fast 101 Jahren. Sie hat bis kurz vor ihrem Tod noch Ausflüge zu ihrem Molerhüsli unternommen“, erinnert sich Karin Hauptmann, die mittlerweile in Stuttgart zuhause ist und sich gemeinsam mit ihrem Mann um die notwendigen Instandsetzungsarbeiten im Hüsli kümmert. Bewegt erzählt Gaby Hauptmann vom Todestag ihrer Mutter im Oktober 2018: „Das Molerhüsli war ihr Reich. Als sie gestorben war, sind wir alle hier hoch, haben hier zu Abend gegessen, übernachtet und am nächsten Tag draußen gefrühstückt. Bevor wir gingen, haben wir gesagt: ‚So Mutti, jetzt machen wir hier zu.‘“

Das Erbe des Molers

Nicht nur Sohn Arthur, auch die Enkelinnen Karin und Gaby haben die künstlerische Ader Karl Hauptmanns geerbt. „Ich habe unseren Vater oft in seinem Atelier bei Hohner besucht, habe die Atmosphäre dort geliebt. Von ihm habe ich sehr viel gelernt und mich dann mit einer Mappe an der Kunstakademie Stuttgart beworben“, berichtet Karin Hauptmann. Sie studierte Illustration und Grafikdesign und machte sich vor 30 Jahren als Grafikdesignerin selbständig. „Ohne meinen Großvater und meinen Vater hätte ich nicht einmal gewusst, was ein Grafiker ist und macht und dass man mit diesem Beruf auch noch Geld verdienen kann“, sagt sie.

Ihre Schwester Gaby war schon als Schülerin eine begeisterte Fotografin und wurde Reiseredakteurin, später Inhaberin eines Pressebüros. 1994 erschien ihr erster Roman, dem zahlreiche weitere folgten. „Wir haben alle eine künstlerische Ader, jede von uns kann zeichnen“, sagt die Autorin und bezieht auch ihre Tochter Valeska sowie Karin Hauptmanns Töchter Jelka und Alexa mit ein. Was sie mit dem Großvater verbindet? „Das sind gewisse Charaktereigenschaften. Wir sind alle sehr sozial, sind naturverbunden, wir lieben es, draußen zu sein und wir mögen alle kein Mittelmaß“, sagt Gaby Hauptmann. „Wir können einerseits ganz einfach leben, wie hier auf dem Feldberg, und wir können uns auch auf dem roten Teppich präsentieren.“ Ihr Großvater Karl Hauptmann liebte seine Krachlederne, die er auf dem Berg trug, und zugleich feine Maßanzüge, in denen er sich auf seinen zahlreichen Italienreisen zeigte.

Anziehungspunkt für Freunde, Künstler und Industrielle

Der Feldbergmaler war schon zu Lebzeiten sehr erfolgreich. Seine Bilder waren bereits in den 1920er Jahren begehrt und teuer. Hauptmanns Werke trugen dazu bei, die landschaftlichen Reize des Hochschwarzwalds bekannt und die Region zu einem begehrten Reiseziel zu machen. Er hatte viele betuchte Auftraggeber, die ihre Ferien im Hotel Feldberger Hof verbrachten, wo der Künstler gerne verweilte. Karl Hauptmann war nebenbei ein brillanter Skifahrer. Im Winter transportierte er seine Bilder auf Ski in einem Gestell auf dem Rücken zum Feldberger Hof. Dort wurden die Gemälde in der Hotelschreinerei in Kisten verpackt und anschließend verschickt. „Unser Opa und sein Molerhüsli waren ein Anziehungspunkt für Künstler, Industrielle und hübsche Frauen. Sie mussten alle zu Fuß hier hinauf laufen, im Winter auf Ski“, sagt Gaby Hauptmann.

Das Molerhüsli ist für Familie Hauptmann immer noch ein beliebter Erholungsort.
Das Molerhüsli ist für Familie Hauptmann immer noch ein beliebter Erholungsort. © Gabriele Hennicke

Heute ist das Molerhüsli Anziehungspunkt für die Familie und der Ort, an dem man sich trifft. Aus dem umfangreichen Bildernachlass ihres berühmten Großvaters und Urgroßvaters haben sich alle ihre Lieblingsbilder ausgesucht. Das von Gaby Hauptmann ist das Bild „Die Waldlichtung“. Sie zeigt das Bild im Katalog von 2007. Um das Werk des Schwarzwaldmalers zu bündeln, sollen alle Bilder, die nicht in Privatbesitz sind, an die Karl-Hauptmann-Stiftung übergeben werden. Diese soll schon bald gegründet werden. Und wenn seine Nachfahren dann hier oben am Feldberg darauf anstoßen, wird wieder der Geist des Schneemalers im Molerhüsli zu spüren sein.