Stadtpark | Blick auf St. Blasien und die Alpen

Erleuchtung im schwarzen Wald

Sie suchten die Abgeschiedenheit, um Gott näher zu sein. Wie Mönche den Schwarzwald besiedelten - am Beispiel von St. Blasien
20.04.2018

von Florian Kech

Sigemar soll er geheißen haben. Was weiß man noch über ihn? Dass er adliger Herkunft gewesen sei. Dass er auf der Suche nach dem Christengott war. Und dass er die Keimzelle schuf, aus der später St. Blasien entstand.

Um das Jahr 856 trifft Sigemar einen weitreichenden Beschluss. Einiges spricht dafür, dass er sich am noch relativ jungen Benediktinerkloster Rheinau aufhält. Dort wo sich zur selben Zeit der legendäre Findan freiwillig hat einmauern lassen, um sich ganz der Kontemplation hinzugeben. Der irische Mönch  gilt unter Glaubensbrüdern als Idol, seine Vita verleiht ihm Legendenstatus. Eltern und Geschwister im irischen Krieg verloren, von Wikingern als Sklave gehalten, bis ihm die Flucht gelingt, nach Schottland, über das Frankenreich bis nach Rom, von wo aus er als Missionar weiterzieht auf die Rheininsel. Jetzt also die Entscheidung für ein Leben hinter Mauern. Der radikale Asket dürfte auch Sigemar beeindruckt haben. Doch dieser geht einen anderen Weg als Findan. Anstelle der totalen Abschottung wählt er den Aufbruch ins Ungewisse. Er lässt Kloster und Gemeinschaft hinter sich und begibt sich in jenen „schwarzen Wald“, vor dem schon die Römer eindringlich warnten.

Das Mittelgebirge im Norden, für das Mönche aus St. Gallen im 9. Jahrhundert erstmals die Bezeichnung „Svarzwald“ einführen, ist Wildnis pur. Ein hochgewachsener, wuchernder Urwald mit allen möglichen Baumarten und voller wilder Tiere. Wölfe streunen im Rudel durch das bewaldete Schattenreich und konkurrieren mit Braunbären um Beute. Wenn einem unterwegs überhaupt Menschen begegnen, führen diese meistens nichts Gutes im Schilde. Denn auch das ist der Schwarzwald: ein Räubernest. Es gehört schon eine gehörige Portion Wagemut dazu, sich dieser Dschungelprüfung zu stellen, oder eben, was für Sigemar wohl eher zutrifft, Gottvertrauen.

Kupferstich Kloster und Dom
Kupferstich Kloster und Dom © Archiv Kirchengemeinde und Stadt St. Blasien

Besiedlung des Schwarzwaldes

Der Schwarzwald ist noch sehr dünn besiedelt. An den Rändern und auf Lichtungen haben sich Clans niedergelassen. Wenn Sigemar an so einer Siedlung Rast hält, darf er auf Gastfreundschaft hoffen. Denn Eremiten, die im Auftrag des Herrn unterwegs sind, genießen in der Regel hohes Ansehen. Bis auf wenige Ausnahmen gilt die Gegend als missioniert. Sigemar kennt die zweihundert Jahre alten Überlieferungen der Heiligen Gallus und Trudpert, die den Alemannen das Heidentum austrieben. Dabei gingen die irischen Missionare nicht immer zimperlich vor. Am Zürichsee zündete Gallus einen heidnischen Tempel an und warf Opfergaben ins Wasser. So glaubte er, die Bewohner von der Nicht-Existent ihres strafenden Gottes Wotan zu überzeugen. Denn schließlich hatte ihn entgegen der Prophezeiung nicht der Blitz getroffen. Doch so einfach ließen sich die Heiden nicht bekehren. Als sie Gallus ans Leder wollten, gelang ihm in letzter Sekunde die Flucht. Weniger Glück hatte sein Glaubensbruder Trudpert, der dabei war, am Flüsschen Neumagen im heutigen Münstertal eine Kapelle zu errichten. Zwei seiner Knechte fühlten sich von dem Mönch schikaniert und erschlugen ihn auf der Baustelle mit einer Axt.

Der Same der irischen Missionare ging auf. Als Sigemar durch das Alemannenland zieht, hat der Christengott die germanischen Götter verdrängt. Hier und da werden noch heidnische Bräuche gepflegt, die aber immer mehr an Bedeutung verlieren und bald verschwinden, fast vollständig aus dem kollektiven Gedächtnis getilgt. So gut wie nichts wird von den Kulten der Naturreligion und des Geisterglaubens übrig bleiben. Selbst Fastnacht, die lange Zeit als heidnisches Überbleibsel interpretiert wird, geht in Wahrheit aus dem Katholizismus hervor.

Dom St. Blasien
Dom St. Blasien © Hochschwarzwald Tourismus GmbH

Ankunft und Niederlassung

Etwa ein Jahr, nachdem Sigemar aufbrach, erreicht er ein Tal, das nach dem Fluss „Alb“ benannt wurde. Irgendetwas an dem Ort muss es ihm angetan haben. Jedenfalls beschließt er zu bleiben. Aus Holz und Lehm richtet er sich eine Klause ein. Er wird Helfer gehabt haben, vielleicht gingen ihm wie Trudpert Knechte zur Hand, die ihre Äxte allerdings nur friedlich einsetzten. Sigemar schenkt seine „Cella Alba“ der Abtei in Rheinau. Im Gegenzug überbringen ihm Boten die Reliquien des heiligen Blasius – des neuen Schutzpatrons der Kosterzelle.

Mehr als hundert Jahre ziehen ins Land, als ein weiterer Eremit den Schwarzwald durchstreift und im Albtal ankommt: Reginbert von Seldenbüren, ein Benediktinermönch und wohlhabender Adliger mit Landbesitz am Zürichsee. Reginbert findet eine Klosterzelle vor, die wohl schon längere Zeit leer steht. Von wem sie zuletzt behaust wurde, ist ebenso ungeklärt wie die Frage nach dem Schicksal von Sigemar. Reginbert, der im Krieg gegen Bayern einen Arm einbüßte, lässt die Holzhütte abreißen und aus Stein eine Kirche errichten. Im Jahr 950 wird der sakrale Bau eingeweiht. Reginbert gilt seither als offizieller Stifter des Klosters St. Blasien.

Martin II. Gerbert war Fürstabt des Klosters St. Blasien.
Martin II. Gerbert war Fürstabt des Klosters St. Blasien. © Ausstellungskatalog "Das tausendjährige St. Blasien 1983"

Der Standort an der Alb gewinnt im Lauf der Zeit an Bedeutung und lockt immer mehr Mönche an. Begünstigt wird das Wachstum durch die Silber- und Eisenvorkommen – einem lukrativen Standortvorteil des Schwarzwaldes. Vom Mutterkloster in Rheinau beginnen sich die Blasianer zu emanzipieren. Sie wenden sich der Reformbewegung zu, führen bei sich das Laienpriestertum ein und heißen am Kloster auch Nonnen willkommen. Viele Mönche erweitern ihr Wissen an der neu gegründeten Universität in Freiburg und heben die theologische Lehre auf ein neues Niveau.

Mehrfach wird das Kloster zerstört, durch Brände oder Verwüstungen im Bauernkrieg. Unter Martin Gerbert, dem einflussreichsten Fürstabt der Klostergeschichte, blüht St. Blasien zu nie dagewesener Pracht auf. Das Kloster erhält die charakteristische Kuppel. Mit 36 Metern Durchmesser handelt es sich damals um den drittgrößten Kuppelbau in ganz Europa.

Eindrucksvolle Architektur
Eindrucksvolle Architektur © Hochschwarzwald Tourismus GmbH

Die Gebeine des Stifters Reginbert werden insgesamt dreimal umgebettet. Heute ruhen sie im alten Mönchschor des Doms. Von Sigemar, dem eigentlichen Gründer und Entdecker des Standorts St. Blasien, blieben keine Reliquien erhalten. Die Person hat sich verflüchtigt. Nicht aber sein Werk. 

Gut zu wissen

Architekturfreunde und Geschichtsfans kommen beim Dom St. Blasius (Am Kurgarten 13, 79837 St. Blasien) gleichermaßen auf ihre Kosten. Das Wahrzeichen der Stadt kann täglich auf eigene Faust oder immer freitags sowie von Mai bis Oktober mittwochs bei einer Führung besichtigt werden. 

Weitere Informationen unter hochschwarzwald.de/veranstaltungen