Handwerk mit Fingerspitzengefühl

Familie Siegwart und die Gründung der Glashütten
30.01.2019

von Gabriele Hennicke

Düster, dunkel und kaum besiedelt war der Hochschwarzwald im Mittelalter. Das änderte sich mit dem Aufkommen der Glashütten. Neben den Köhlern, Holzhauern und Flößern hatten auch die Glasmacher einen großen Anteil an der Besiedlung der großen Waldgebiete Mitteleuropas. In Schluchsee-Äule lebte einst die Glasmacherfamilie Siegwart. Nachkommen aus mehreren Ländern haben sich zum Familienverband Si(e)gwart(h) zusammengeschlossen.

Die Glashütten verschlangen Unmengen von Holz, allein für die Herstellung eines Kilogramms Glas brauchte man einen Kubikmeter Holz.  Auf den abgeholzten Flächen konnte Landwirtschaft betrieben werden, es entstanden Siedlungen, Kirchen, Schulen. Eines dieser Glasmacherdörfer war Äule, heute ein Ortsteil von Schluchsee. Vor 300 Jahren, im April 1716, hatte der Abt des Klosters St. Blasien sieben Glasmeistern gestattet, am Schluchsee die Glashütte und den Ort Äule zu errichten. Die sieben Glasmeister durften für die Glashütte roden und 50 Jahre lang so viel Holz nutzen, wie zu deren Betrieb erforderlich war. Dafür mussten sie jährlich 100 Gulden an das Kloster bezahlen und 1 500 Fensterscheiben abliefern.

Eine Glashütte in Äule um 1820. damals brummte die Produktion, die Werkstätten waren wichtige Arbeitgeber in der Region.
Eine Glashütte in Äule um 1820. damals brummte die Produktion, die Werkstätten waren wichtige Arbeitgeber in der Region. © Friedbert Zapf

Die Glasmacherfamilie Siegwart

Fünf der sieben Gründerväter der in Äule ansässigen Glasmacherfamilien trugen den Namen Siegwart. Auch wenn die Glasbläserei im Schwarzwald längst Geschichte ist, wissen die Nachfahren der Glasbläserfamilie Siegwart allerdings um die Bedeutung der gemeinsamen Familiengeschichte. 2008 haben sie den Familienverband Si(e)gwart(h) mit heute 84 Mitgliedern aus Deutschland und der Schweiz, Frankreich, den Niederlanden, Großbritannien, den USA und Kanada gegründet.

Dominik Siegwart, Jahrgang 1981, Bäckermeister und Buchautor aus Offenburg, ist Mitbegründer des Familienverbandes und beschäftigt sich seit vielen Jahren intensiv mit der Geschichte seiner Familie und der Glasbläserei. „Die Arbeit war hart, der Durst war groß“, sagt er, „immer wieder wird von der besonderen Trinkfestigkeit der Glasmacher berichtet, die zuweilen in Alkoholismus übergeschlagen sein soll.“ Die Arbeiten am Ofen waren schweißtreibend und kräftezehrend. Der Kalorienverbrauch war sehr hoch. Von einem täglichen Bierkonsum mit "zwischen drei und zwölf Litern pro Kopf" spricht gar eine Quelle, eine andere vom „Arsenikschnupfen“ zum Aufputschen.

So arbeiteten die Glasbläser einst in der ehemaligen Glashütte in Äule.
So arbeiteten die Glasbläser einst in der ehemaligen Glashütte in Äule. © Dominik Siegwart

Mit der Glashütte wurde 1716 auch gleich ein Wirtshaus gebaut und jeder Glasmeister durfte dort Wein einlagern und ausschenken. Im Bestandsbrief gab es deshalb einen deutlichen Hinweis des Abtes: Er dulde „das so unmäßige Saufen und Luodern, Fluchen, Schwören und Spihlen“ auf keinen Fall. Auch beim „Höllenerlebnis“ eines verirrten Wanderers spielte der Alkohol eine Rolle: Der orientierungslose Geselle fand einst in einer stürmischen Winternacht Zuflucht in der Glashütte, wurde mit Bier und Wein aufgewärmt und schlief auf einer Bank seinen Rausch aus. Er staunte nicht schlecht, als er beim Aufwachen ein schreckliches Zischen hörte, lodernde Feuer und finstere Gesellen sah, die mit dem Feuer hantierten. „Oh weh, jetzt bin ich in der Hölle, bei den Teufeln“, meinte er und suchte schnell das Weite.

Um die Glashütten entstanden Dörfer

Glasmachermeister verschafften Dutzenden Helfern Lohn und Brot. Die Glashütten zogen Menschen an, die das Glas weiterverarbeiteten oder veredelten wie Glasmaler, -schleifer, -graveure oder Spiegler.

“Schon die Kinder arbeiteten mit und mussten ihre  Lungenkraft trainieren“,
(Dominik Siegwart)

weiß Siegwart, selbst Vater von fünf Kindern. Die eigentlichen Geheimnisse und Kniffe der Glasmacherkunst stellten das persönliche Betriebskapital jedes Glasmachers dar und wurden daher ängstlich gehütet. Die Übergabe erfolgte meistens vom Vater an den Sohn.

Wenn die sieben Glasmeister aus Äule „abends um Betzeit“ in die Hütte kamen, hatten die Knechte und Lehrbuben die Schmelze in den feuerfesten Glashäfen vorbereitet. Die Meister bliesen die Glasmasse wie eine Seifenblase auf. Den Vertrieb der Waren übernahmen die Glasträgerkompanien. Sie kauften diese von den Glasbläsereien und trugen sie auf speziellen Rückenkörben bis in den Breisgau, das Elsass und sogar bis an den Niederrhein.  „Die Glasmacherfamilien waren in sich geschlossene Systeme, deren männliche Mitglieder oft nur Töchter heiraten durften, welche selbst aus Glasmacherfamilien stammten. So hielt man das Wissen innerhalb der Familie“, weiß Dominik Siegwart aus seinen Recherchen. So kommt es, dass die diversen Glasmacherfamilien eng miteinander verwandt sind. Die Glasmacherfamilie Si(e)gwart(h) stammt wohl ursprünglich aus Friesland, womöglich auch aus Skandinavien. Sie siedelte  sich im 16. Jahrhundert im Schwarzwald an. Andere Familienzweige verschlug es in den Nord- und Mittelschwarzwald, ins Elsass, nach Lothringen und in die Schweiz. Auch in diesen Regionen wurden Glashütten gegründet.

Die eigentlichen Geheimnisse und Kniffe der Glasmacherkunst stellten das persönliche Betriebskapital jedes Glasmachers dar.
Die eigentlichen Geheimnisse und Kniffe der Glasmacherkunst stellten das persönliche Betriebskapital jedes Glasmachers dar. © awfoto - stock.adobe.com

Da Glashütten wahre Waldfresser waren, gab es bei jeder Vertragsverlängerung mit dem Kloster St. Blasien Konflikte, erzählt Dominik Siegwart. Dieses versuchte den Holzverbrauch über die Produktionszeit zu steuern. Nur „elf Hüttenstund lang“ durfte Glas gemacht werden. Doch die Äulemer wussten sich zu helfen. Sie manipulierten einfach die Hüttenuhr, die immer wieder stillstand, was 1753 ans Licht kam: „Die Stunduhr gehe aber ganz unordentlich, man mache beständig daran herum, und sie bleibe öfters stillestehen“, hieß es in Dokumenten des Klosters.

Erinnerungsarbeit

Am Bäckermeister Dominik Siegwart ist ein Historiker verloren gegangen. Schon als Jugendlicher interessierte er sich für die Geschichte seiner Familie und begann mit familien- und heimatgeschichtlichen Forschungen, zunächst über seinen Großvater Konrad Siegwart, geboren 1910, und schrieb ein erstes Buch über dessen Lebensgeschichte. „Wenn ich mich nicht mit den naturwissenschaftlichen Fächern in der Schule etwas schwer getan hätte, hätte ich womöglich Geschichte studiert“, sagt er.  Stattdessen lernte er das Bäckerhandwerk, stieg in den elterlichen Betrieb ein. Die historischen Forschungen und das Schreiben wurden zu seinem Hobby. 2015 schrieb er das Buch „Die Glasmacherfamilie Siegwart(h)“ und brachte es im Eigenverlag heraus, inzwischen gibt es eine zweite Auflage. „Für mich ist das Erinnerungsarbeit, sie macht Geschichte an stellvertretenden Personen sichtbar“, sagt er, „ich finde es wichtig, dieses Wissen für die kommenden Generationen festzuhalten. Und wenn sich keiner in der nächsten Generation dafür interessiert, dann womöglich in der übernächsten.“

Hans-Dieter Folles aus Todtmoos lässt Tradition lebendig werden, indem er in die Rolle eines alten Glasträgers schlüpft.
Hans-Dieter Folles aus Todtmoos lässt Tradition lebendig werden, indem er in die Rolle eines alten Glasträgers schlüpft. © Dominik Siegwart

Die Glashütten in Äule sind schon seit 1878 Geschichte, die zunehmende Industrialisierung sorgte für das Ende des traditionsreichen Handwerks im Hochschwarzwald. Heute gibt es nur noch kunsthandwerklich ausgerichtete Glasbläsereien, etwa in Feldberg-Altglashütten und beim Hofgut Sternen im Höllental.

In Äule sind heute noch zwei ehemalige Glasmeisterhäuser unmittelbar neben dem Hüttenplatz weitgehend original erhalten, ebenso eine Kapelle. Der heutige Berggasthof Rössle wurde 1887 auf den Fundamenten des alten Glasmacherwirtshauses neu erbaut. 2017 wurde das 300-jährige Bestehen der einstigen Glasmachersiedlung Äule gefeiert.

Treffen des Familienverbandes

Bei den Feierlichkeiten waren auch Mitglieder des Familienverbands Si(e)gwart(h) dabei. Jedes Jahr kommt der weit verbreitete Clan zu einem Familientreffen zusammen, immer an Orten, die einen besonderen Bezug zur Familien- oder Glasgeschichte haben.

Gelebte Verbundenheit: Jedes Jahr feiern die Siegwarts ein großes Familientreffen.
Gelebte Verbundenheit: Jedes Jahr feiern die Siegwarts ein großes Familientreffen. © Dominik Siegwart

Das zehnjährige Bestehen feierte der Familienverband im September 2018 mit einem Treffen in St. Märgen im Gasthaus Sonne Neuhäusle, in unmittelbarer Nähe des Ortsteils „Glashütte“, wo im dortigen Knobelwald ab 1685 eine Waldglashütte betrieben wurde.

Die letzte Glashütte der Glasmacherfamilie Si(e)gwart(h) im Schwarzwald war jene in Äule, die Ende des 19. Jahrhunderts aufgegeben werden musste. In der Schweiz hielt sich die Familie länger im Glasmacherhandwerk: Die „Glasi“ in Hergiswil am Vierwaldstätter See war bis in die 1960er-Jahre im Besitz einer Familie Siegwart und existiert bis heute. „Eigentlich ist seither niemand mehr in der Familie aktiv im Glasmacherhandwerk. Aber unlängst stießen wir auf einen Nachfahren aus den USA, der sich im Bereich „künstlerisches Glas“ selbstständig gemacht hat und bisher noch gar nicht wusste, dass er einer großen Schwarzwälder Glasmacherdynastie entstammte“, sagt Dominik Siegwart – und hofft nun darauf, die amerikanischen Glasbläser bald kennen zu lernen.

Bis heute ist Glasbläserei ein im Hochschwarzwald lebendiges Handwerk.
Bis heute ist Glasbläserei ein im Hochschwarzwald lebendiges Handwerk. © Hochschwarzwald Tourismus GmbH

Gut zu wissen

Glasbläsern bei der Arbeit zuschauen kann man heute noch in mehreren Glasbläsereien im Hochschwarzwald:

Glaskunst Altglashütten, Bergweg 4, 79868 Feldberg-Altglashütten
Glasmanufaktur Hofgut Sternen, Höllsteig 76, 79874 Breitnau
Glasbläserei Todtnauberg, Kreuzmattstr. 4, 79674 Todtnau-Todtnauberg

In Altglashütten und Todtnauberg haben Besucher zu bestimmten Zeiten sogar die Möglichkeit, ihre eigene Glaskugel zu blasen.