Mit eigenen Händen

Wie der Windberghof zu neuem Leben erwachte
21.02.2019

von Patrick Kunkel

Die Albrechts leben auf ihrem Schwarzwaldhof fast wie im 19. Jahrhundert. Zehn Jahre lang haben Martina Albrecht, ihr Mann Holger und dessen Bruder Oliver den alten Windberghof bei St. Blasien restauriert. Sie wollen beweisen, dass man auch heute Landwirtschaft auf einem historischen Schwarzwaldhof treiben kann. Und sie lieben die Schwarzwälder Bauernhausarchitektur.

Der Windberghof. Von St. Blasien zwanzig Minuten zu Fuß durch dichten Wald. Bis die Bäume einer struppigen Weide weichen, darauf eine Herde Ziegen. Dort steht der mächtige Eindachhof: Die Holzfassade ist vom Wetter gezeichnet, das Dach tief heruntergezogen. Trotz der imposanten Größe scheint das alte Haus mit der Umgebung verschmolzen, als sei es aus dem Berg gewachsen. Wären da nicht der Strommast und eine Solaranlage, man fühlte sich wie im 19. Jahrhundert. Was so falsch nicht ist. Aus dieser Zeit stammt der Windberghof, erbaut 1853.

150 Jahre später kauften ihn Martina Albrecht, ihr Mann Holger und dessen Bruder Oliver vom Land Baden-Württemberg: „Heruntergekommen, verschandelt und vermüllt“, sagt Oliver. Und sie begannen, das Gebäude zu restaurieren, es „zurückzuführen zum Original“, wie sie es ausdrücken. „Zehn Jahre haben wir von früh bis spät renoviert und die Landwirtschaft aufgebaut“, sagt Windhofbauer Holger, 47 Jahre. „Zehn Jahre lang hatten wir kaum Geld“, erklärt die ein Jahr jüngere Martina. „Zehn Jahre musizierte ich kaum“, resümiert der 49-jährige Oliver, dabei ist er Akkordeonlehrer. Zehn Jahre. Bis der Hof aussah, wie sie es wollten: So wie früher.

Trotz der imposanten Größe scheint das alte Haus mit der Umgebung verschmolzen
Trotz der imposanten Größe scheint das alte Haus mit der Umgebung verschmolzen © Patrick Kunkel

Zurück zum Original

Swingmusik der 20er-Jahre auf dem Akkordeon spielen ist Olivers Passion. Seine andere Leidenschaft ist die Schwarzwälder Bauernhausarchitektur. Beides dreht sich um Vergangenes, doch schwärmerische Verehrung sei es nicht. Eher tief empfundene Wertschätzung. Oliver lächelt viel. Sobald er über Schwarzwaldhäuser spricht, strahlt er.

So wie jetzt. Gemeinsam sitzen die Albrechts in der Stube, die nach Bauernhofmuseum aussieht, aber belebt ist: Im Eck ein Kachelofen, im Winkel ein Holztisch mit Holzbank. Aus Holz auch Dielen und Fenster. Die Wände ebenfalls: Aus Holz. „Schau mal aus dem Fenster“, sagt Oliver: Alles Holz. „Der Schwarzwald ist eine Holzhausgegend und der Schwarzwaldhof passt in diese Landschaft“, sagt er: „Über Jahrhunderte hat sich der Haustyp herausgebildet. Er symbolisiert unsere Region.“ Das ausladende Walmdach als Wetterschutz, darunter Stall und Wohnteil.

Die Widrigkeiten der Höhenlandwirtschaft, das raue Klima, die Topographie – die äußeren Bedingungen haben Aussehen und Funktion des Schwarzwälder Eindachhofs beeinflusst. Aber auch umgekehrt: „Das Schwarzwaldhaus prägt die Landschaft“, sagt Oliver, „es stört nicht, es fügt sich ein.“ Er sitzt am Tisch, strahlt, und berührt sachte die rissigen Holzwände. Diese hatte irgendein Vorbesitzer dick lackiert, ein anderer nagelte vermutlich in den 1930ern eine Täfelung drüber, auf die Tannendielen kam Parkett.

In jahrelanger Arbeit restaurierten Oliver und Holger Albrecht und Holgers Ehefrau Martina das Gebäude
In jahrelanger Arbeit restaurierten Oliver und Holger Albrecht und Holgers Ehefrau Martina das Gebäude © Patrick Kunkel

Aufwendige Restaurierungsarbeiten

Man habe all das – natürlich! – entfernt. Und nicht nur: „Jedes Zimmer war kaputt, das Haus praktisch eine Ruine“, erinnert sich Holger. Marode Balken wurden erneuert, Bretter getauscht, die Fundamente neu gegossen. Kaputtes ersetzten die Albrechts mit Recyclingmaterial: „Alte Fenster, Türen, Böden oder Balken haben wir woanders ab- und hier eingebaut.“ Die abgebrochene Kreissparkasse aus St. Blasien etwa ist in Teilen auferstanden. Deren uralte Balken bilden die Ständer-Bohlen-Konstruktion des Leibgedinghauses. Ein schönes Bild: Eine solidere Anlage kann man sich nicht vorstellen. Apropos Geld: „Wir haben alles selbst gemacht. Ohne Handwerker. Es wäre nicht anders gegangen, wie soll man das sonst bezahlen?“

Die Albrechts zahlten dennoch: Mit Arbeitskraft und Zeit. Die beiden Söhne von Martina und Holger wurden auf einer Baustelle groß, bald ziehen sie aus. Holger, studierter Agrarwissenschaftler, arbeitete neben der Restaurierung als Kontrolleur für ökologischen Landbau, Martina jobbte im Sportgeschäft und Oliver als Musiklehrer. „Zwischendrin habe ich mir schon mal gedacht: Warum bloß tun wir uns das an?“, erinnert sich Martina. Etwa als sie mit Kaltblutpferd Wassili riesige Steine aus dem Stallboden wuchteten, um Licht und Raum für die Tiere zu schaffen: „Wir haben drei Monate im Stall gegraben und 400 Tonnen Kies für die Fundamente verarbeitet.“ Sie haben Kachelöfen gesetzt, Böden verlegt und tragendes Gebälk verzapft. Auch die Heizungsanlage der Käserei oder die Wasserinstallationen – alles selbst gemacht. „Im Prinzip haben wir den Hof neu errichtet, aber mit altem Material und alten Handwerkstechniken.“ Zuerst richteten sie eine komplette Zimmerei und Schlosserei ein, „um alles selbst machen zu können.“ Fachwissen lernten sie aus Büchern oder von befreundeten Handwerkern. Auch Dorfbewohner halfen. „Ich habe früher Triathlon gemacht,“ sagt Holger, „aber während der Sanierung stieß ich an körperliche Grenzen.“

Kaltblutpferd Wassili half beim Abtransport der Steine
Kaltblutpferd Wassili half beim Abtransport der Steine © Patrick Kunkel

Und warum tut man sich das an? „Das ist einfach“, antwortet Holger: „Martina und ich wollten Landwirtschaft machen, Oliver wollte einen alten Hof.“ - „Es war mein Traum, einen Schwarzwaldhof zu richten“, schiebt dieser nach: „Unser Opa hatte einen Hof in Spaichingen auf der Baar.“ Dort hatten die Brüder das Landleben lieben gelernt, die Arbeit mit Tieren. Draußen in der Natur sein.

Tradition erhalten

Für Oliver ist das Haus ein Wert an sich, er wolle diese Baukultur erhalten: Das Leben in einem alten Haus sei sehr ursprünglich: „Es berührt den Kern der Dinge“, philosophiert er. „Es gibt einem viel zurück. Man lässt sich ein auf die Jahreszeiten und die Landschaft.“ Leider sei diese Baukultur im Schwarzwald fast verschwunden. Alte Häuser würden aufgegeben, obwohl sie nicht baufällig wären. Wie die jetzigen Nebengebäude des Windberghofs. Den Speicher fand Oliver in einem abgelegenen Tal: „Die Besitzer wollten den anzünden, da habe ich gesagt, ich nehme ihn lieber mit.“ Er schüttelt den Kopf: „Die Familie lebt seit ein paar hundert Jahren auf dem Hof, aber sie interessiert nicht, was ihre Urväter gebaut haben. Dabei braucht der Mensch eine regionale Identität.“ Oder die hölzerne Mühle aus dem 17. Jahrhundert: Oliver hat sie vor dem Abbruch bewahrt und auf dem Hof aufgebaut. Warum er das macht? „Um es zu erhalten. Und weil es schön ist.“

Es gibt noch einen wichtigen Grund:

“Zu zeigen, dass man auf einem alten Hof zeitgemäß Landwirtschaft treiben kann“
(Martina Albrecht)

Oft würden Höfe abgerissen, weil sie angeblich nicht mehr zu bewirtschaften seien. „Aber man kann Lösungen finden für die Landwirtschaft, ohne das Gebäude zu zerstören.“ Den Stall beließen die neuen Bewohner im historischen Gebälk, bauten diesen aber komplett um. Darauf ist Holger stolz: „Er entspricht modernsten Standards, aber man sieht es ihm nicht an.“

Oliver Albrecht bei den Restaurationsarbeiten
Oliver Albrecht bei den Restaurationsarbeiten © Patrick Kunkel

Auf dem Windberghof verwirklichen sie ihre Ideale einer ökologischen Landwirtschaft. Nach der Lehre als Industriekaufmann war Holger klar, „dass ich nicht von falschen Werten fremdbestimmt leben will.“ Als Bauer könne er relativ frei sein. Er war 21, als er die Ausbildung zum Landwirt begann und Martina kennen lernte, damals Schreinerin. Danach studierte er Agrarwissenschaft. Das Paar pachtete einen Hof im mittleren Schwarzwald, zu klein zum Leben. Dann fanden sie den Windberghof.

Einfach ist das einfache Leben dort allerdings nicht. Nicht, wenn man auf 1000 Metern Höhe Landwirtschaft im Vollerwerb betreibt. Nicht, wenn man der Idee verfallen ist, schwere Arbeiten lieber mit fünf Ardennerpferden zu erledigen, statt mit Maschinen – soweit es geht. Und nicht mit derart kargem Land. „Bodenklasse 12“, sagt Holger: „Schlechter geht‘s kaum.“ Die Magerweiden liefern weniger Nährstoffe: „Deshalb melken wir nur einmal am Tag.“ Die Herde besteht aus 35 Milchziegen und 55 Geißlein. Im Stall stehen die Vorderwälderkühe Sissi, Amelie, Bärbel und Juli.

Auf 1.000 Metern Höhe betreiben die Albrechts Landwirtschaft im Vollerwerb. Sie schätzen das einfache Leben - trotz vieler Entbehrungen.
Auf 1.000 Metern Höhe betreiben die Albrechts Landwirtschaft im Vollerwerb. Sie schätzen das einfache Leben - trotz vieler Entbehrungen. © Patrick Kunkel

Das Leben auf dem Windberghof

Aus der Milch macht Martina Quark, Frischkäse oder Hartkäse. Wird geschlachtet, gibt es Ziegenfleisch. Einmal in der Woche ist Markt unten in St. Blasien: Den Stand transportiert Martina mit dem Fahrradhänger, das Rad haben sie immerhin zum E-Bike aufgerüstet: „Früher bin ich gestrampelt“, grinst sie. Einkünfte bringen die Hofprodukte und die Flächenprämien für einen Teil der bewirtschafteten 56 Hektar. „Inzwischen leben wir von der Landwirtschaft“, sagt Martina. Es gibt aber auch unerwartete Einkünfte: Filmproduzenten schätzen den Windberghof als authentische Kulisse. Zwei Filme wurden gedreht und jüngst ein Schwarzwald-Tatort.

Martina und Holger leben mit den Söhnen im ersten Stock, Oliver unten. Sie teilen viel und kochen gemeinsam, führen aber getrennte Leben. Seit das Haus fertig sei, musiziere er wieder, sagt Oliver: „Ich genieße es. Seit drei Jahren habe ich kaum am Hof gewerkelt.“ Pause muss sein.

Die Albrechts schätzen das einfach Leben auf dem Windberghof: Geheizt wird mit Öfen, das Wasser kommt aus der Quelle.

“Der Verzicht bedeutet Gewinn."
(Martina Albrecht)

Ein Leben wie vor 150 Jahren führen sie ja nicht: Es gibt Telefon, Internet, Jazz aus Olivers Stereoanlage – und seit kurzem eine Spülmaschine: „Wir wollen ehrlicher leben“, sagt Holger, „aber wir sind nicht weltfremd.“ „Wenn ich bei Freunden bin, und die haben es warm ohne einzuheizen, überlege ich manchmal wie es wäre, eine Heizung zu haben“, sagt Oliver. „Aber das könnte ich nicht.“ Es würde, sagt er, zu viel von dem Lebensgefühl nehmen. „Die Erfahrung von Temperatur, von Feuer, Kälte und Wärme ist elementar. Und darum täte ich mich bringen.“ Wäre doch schade drum.

Stolze Hofbesitzer: Oliver, Martina und Holger Albrecht
Stolze Hofbesitzer: Oliver, Martina und Holger Albrecht © Patrick Kunkel

Gut zu wissen

Einen Einblick in die traditionelle Architektur und Alltagskultur des Hochschwarzwaldes vermittelt das Heimatmuseum Hüsli im Rothauser Land. Sein heruntergezogenes Dach, seine gemütlichen Stuben mit den bemalten Decken und Wandschränken, die alten Türen und Fußböden machen das Hüsli im Grafenhausener Ortsteil Rothaus zu einem architektonischen Gesamtkunstwerk. Kachelöfen, Möbel, Uhren, Stickereien und Holzschnitzerei, Hinterglasmalereien, Gemälde, Glas- und Porzellan werden in einem Original-Interieur gezeigt.

Heimatmuseum Hüsli
Am Hüsli 1
79865 Grafenhausen
www.hüsli-museum.de