Schwarzwälder Schinken

Viel Zeit zum Reifen

Familie Schwer räuchert nach alter Väter Sitte Schwarzwälder Schinken
04.09.2019

von Pascal Cames

Viele Delikatessen sind durch die Notwendigkeit der Haltbarmachung entstanden. Im Hochschwarzwald hängt man schon immer das Fleisch in den Rauch. So hält der Schinken ewig – zumindest fast. Im Gasthaus zum Kreuz auf dem Thurner führt Matthias Schwer eine alte Familientradition fort und räuchert Schwarzwälder Schinken nach dem Rezept seines Urgroßvaters.

Von den Römern heißt es, dass sie die Weintrauben ins Badische gebracht haben. Baden ohne Riesling oder Grauburgunder wäre wie Schwarzwald ohne Schinkenspeck! Aber vielleicht sind ja auch Schwarzwälder Schinken und Speck ein Erbe der Römer? Von den Legionären heißt es, dass ihre Marschverpflegung aus Brot, Käse und Speck bestanden habe. Ob nun Römer, Kelten oder Alemannen – wer weiß das schon! Gesichert ist, dass die Schwarzwälder eine ganz besonders Tradition begründet haben. Ein paar dünne, aber nicht zu dünne Scheiben geräucherter Schinken, vielleicht Gürkchen, auf jeden Fall ein gutes Bauernbrot und dazu ein Glas Bier. Das bringt Gourmets auf den Boden der Tatsachen und die Hochschwarzwälder abends zusammen. Die einfachen Dinge sind manchmal die besten! 

Schinken als Familienprojekt

Mit dem Schwarzwälder Schinken und Speck hat es seine Besonderheit. Man lässt das Fleisch nicht im Freien hängen, wie man es beispielsweise in Italien oder in der Schweiz macht, sondern man hängt es in den Rauch. Das liegt an den Temperaturen im Schwarzwald, die Winter sind nicht immer dauerhaft sehr kalt. Der Rauch konserviert das Fleisch und gibt ihm noch würzige Aromen, die mal stärker, mal milder sind. „Jeder Speck ist anders“, sagt der Senior-Chef des Gasthauses zum Kreuz bei St. Märgen. Bernhard Schwer (58) muss es wissen, haben doch sein Vater Erich und sein Großvater Leo schon in Speck gemacht. Das Hausrezept wurde von Generation zu Generation mündlich weitergegeben oder bei der Zubereitung einfach abgeschaut. Jetzt ist Bernhard Schwers Sohn Matthias (30) dran. „Das ist ein Familienprojekt“, sagt der junge Koch beim Specksäbeln in der Küche. „Ein gutes Messer ist wichtig“, grinst er. Dann drückt er auf den Speck, um die Festigkeit zu beweisen und zeigt auf die typisch roten Streifen. Ein feiner Hauch von Rauch schwebt in der Luft. 

Familie Schwer räuchert nach alter Tradition Schwarzwälder Schinken.
Familie Schwer räuchert nach alter Tradition Schwarzwälder Schinken. © Pascal Cames

Matthias Schwer muss lachen, wenn er an seine Kindheit zurückdenkt. Natürlich war er beim Einsalzen dabei, stibitzte Speckwürfel aus der Küche. Und wenn Vater und Opa die schweren Keulen die Stufen hinaufschleppten, dann sprang er halt auch mit. „Die waren nicht immer begeistert, wenn man dabei im Weg stand“, lacht er.

Ein Gasthaus mit Geschichte

Das Gasthaus zum Kreuz ist bekannt für seine Küche – Empfehlung im Guide Michelin – und für seinen Schwarzwälder Schinken und Speck. Dieses Familienprojekt läuft seit 1936, doch die Geschichte des Hauses beginnt schon viel früher. „Des Hus isch Geschichte“, sagt Bernhard Schwer, ohne Hemmungen im Dialekt. Das „Hus“ steht auf 1.000 Meter Höhe an exponierter Stelle auf weiter Flur, im sogenannten „Hohlen Graben“. Man kann sich gut vorstellen, wie hier im Winter der Ostwind pfeift, eine Rauchsäule in den stahlgrauen Himmel steigt und – hast du nicht gesehen – vom Winde verweht wird.
 

Das Gasthaus zum Kreuz ist über 300 Jahre alt. Seit 1936 ist es im Besitz der Familie Schwer. Das Bild stammt aus dem Jahr 1976.
Das Gasthaus zum Kreuz ist über 300 Jahre alt. Seit 1936 ist es im Besitz der Familie Schwer. Das Bild stammt aus dem Jahr 1976. © Gasthaus Zum Kreuz

Richtig einsam war die Gegend, aber schon vor Jahrhunderten nicht mehr. Damals wie heute verläuft über den nahen Thurnerpass eine wichtige Straße. Während des Dreißigjährigen Krieges und auch später noch kam es hier oben zu Kämpfen. Die Franzosen wollten die Grenzen bis in den Schwarzwald drücken, die Kaiserlichen hielten dagegen und verteidigten die habsburgische Herrschaft. Anno 1796 krachte es hier oben zum letzten Mal.

Das Haus selbst war seit 1683 eine Wirtschaft. Da ein Betreiber Kreutz hieß, kam es bald zum Namen „Zum Kreuz“. Auf dem Hof wurde Glas geblasen und Eisen geschmiedet, bekanntlich muss man etwas machen, wenn die Winter lang sind. Schinken und Speck bieten sich als weiterer Zeitvertreib während der rauen Zeit an, zumal das Fleisch haltbar gemacht werden muss. Der Kühlschrank war noch lange nicht erfunden.

Ein Hausrezept aus dem Jahr 1936

Der Schwarzwälder Schinken wird hier oben „gemacht“, wie einst überall auf den Höfen, erklären Vater und Sohn Schwer. Aber sie sagen auch: „Jeder macht's ein bisschen anders.“ Die Gewürzmischungen mit Wacholder, Lorbeer und Schwarzem Pfeffer sind nie dieselben, da hat jeder sein Hausrezept. Das der Schwers ist seit 1936 unverändert. Da aber die Winter nie gleich sind, das Holz auch nicht und das Fleisch ebenfalls variiert, schmecken Schinken und Speck jedes Jahr ein bisschen anders.

Familie Schwer kauft das Fleisch bei einem Händler, von dem sie weiß, dass die Schweine aus Baden-Württemberg stammen. Ein Dutzend Keulen und ein paar Seiten Speck werden an einem geschützten und kühlen Ort in einer Holzwanne zehn Tage lang in Salzlake eingelegt. Das Fleisch verliert Wasser und gewinnt Aroma, auch durch die Kräuter. So wie ein Bäcker sich um seinen Sauerteig kümmert, so kümmern sich die Schwers um ihren Schinken. „Spritzen“, sagt man hier im Haus dazu, wenn wieder Salzlake übers Fleisch geschüttet wird.

Die Gewürzmischung der Schwers ist seit 1936 unverändert.
Die Gewürzmischung der Schwers ist seit 1936 unverändert. © Gasthaus Zum Kreuz

Viel Fleisch, viel Rauch, viel Geduld

Nach der Lake geht's für zwei Monate in die gemauerte Rauchkammer unterm Dach. Die Fleischstücke baumeln mit etwas Abstand von der Decke, damit der Rauch überall hinkommt. Mit diesem hat es seine besondere Bewandtnis. Vater und Sohn Schwer verlassen den dunklen Dachboden und gehen die Stufen hinunter in die Gaststube zum Kachelofen. Der strahlt nicht nur Wärme ab, sondern lässt Rauch ab. Der Ofen wird in der Küche mit Reisigbündeln aus Fichten und Tannenzweigen angefeuert und der Rauch zieht über das Ofenrohr ab bis ganz hinauf in die Rauchkammer, wo er das Fleisch umwölkt und wieder abzieht. Bis der Rauch endlich oben ist, ist er schon kalt geworden. Genauso muss er sein! Die Raucharomen dringen in jede Pore der Keulen ein und hinterlassen ein zartes Raucharoma. Haltbar wird das Fleisch dadurch auch. In alter Zeit, als so gut wie alle Schwarzwälder noch Selbstversorger waren, war das enorm wichtig. Danach lässt man den Schinken nochmal vier Wochen ohne Rauch reifen. Was die Schwers im Winter produzieren, reicht gerade mal ein Jahr. Sobald im Januar die letzte Keule aufgeschnitten wird, ist es auch schon wieder so weit, dass die neuen Schinken fertig geräuchert und gereift sind.

Ein unverkäufliches Saisonprodukt

Es gibt Gäste, Besucher und befreundete Köche, die mit Lächeln, Tränen oder Geld versuchen, von den Schwers ein paar Scheiben Schinken oder etwas Speck zu bekommen. Vater und Sohn Schwer schütteln den Kopf. So unterschiedlich die beiden sind – der Vater eher ruhig und zurückhaltend, der Sohn mehr geradeheraus – sind sich die beiden hier und überhaupt doch einig. Da ist wirklich nichts zu machen, denn der eigene Schinken reicht ja gerade für die Hotel- und Restaurantgäste. Mehr räuchern würde zwar theoretisch gehen, aber nicht praktisch. „Im Sommer kann man nicht den Kachelofen anfeuern“, erklärt Bernhard Schwer. Es ist ja schon heiß, außerdem würde der Rauch nicht gut abziehen. Auch die Winterkälte hat ihre Bedeutung für die Herstellung, denn das Fleisch könnte sonst verderben. „Es muss kalt sein“, sagen die beiden mehrmals. Und den Winter über ist die Räucherkammer voll, mehr geht einfach nicht rein. So bleibt es beim unverkäuflichen Saisonprodukt, das aber nicht nur klassisch auf dem Brettchen im Restaurant oder zum Frühstück für die Hotelgäste aufgetischt wird.

Tradition ist ihnen wichtig (v.r.) Bernhard Schwer mit Ehefrau Marie-Antoinette, Sohn Matthias Schwer und seine Partnerin Dorothea Thurm
Tradition ist ihnen wichtig (v.r.) Bernhard Schwer mit Ehefrau Marie-Antoinette, Sohn Matthias Schwer und seine Partnerin Dorothea Thurm © Gasthaus Zum Kreuz

„Wir wollen mit der Zeit gehen“, sagt Matthias Schwer. Und so hat sich der junge Koch etwas Pfiffiges ausgedacht. Mit Schinkenstücken wird ein Schaum aus Zwiebeln, Brühe und Sahne gekocht, der mit einem pochierten Ei sowie etwas Bergkäse, Kräutern und krossem Brot zur feinen Vorspeise wird. Fluffig, luftig, krustig, fest, weich, schaumig, herzhaft, mild... Beim Genuss dieser „Espuma“ bleiben viele Eindrücke in Erinnerung. „Mir liegt auch viel dran“, sagt Matthias Schwer und somit ist klar, dass das Familienprojekt Schwarzwälder Schinken und Speck noch lange nicht gegessen ist. Der Vater lächelt zufrieden. Mission geglückt! Die Traditionen, sie leben hoch!

 

Im hinteren Teil des Speichers befindet sich Matthias’ Heiligtum im Haus: Opas Räucherkammer.
Im hinteren Teil des Speichers befindet sich Matthias’ Heiligtum im Haus: Opas Räucherkammer. © Hochschwarzwald Tourismus GmbH

Schinken kosten

Gasthaus zum Kreuz
Hohlengraben 1
79274 St. Märgen
www.gasthaus-zum-kreuz.de