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Rushhour auf dem Waldboden

Es krabbelt und kriecht, es hüpft und springt.
30.04.2018

von Freya Pietsch

Beim Spaziergang liegt uns eine ganze Welt zu Füßen und wir merken es nicht einmal. Dabei würde ohne die vielen Tiere und Lebewesen im Boden das Ökosystem Wald nicht funktionieren.

Den Waldboden zu beschreiben ist wie die Bewohner eines aufgescheuchten Ameisenhügels zusammentreiben zu wollen. Ein schier unmögliches Unterfangen. Einige mag man vielleicht fassen können, die anderen krabbeln unter Blätter, entwischen in Ritzen oder verschwinden ungesehen unter Steine.

„Der Boden ist ein unglaublich komplexer Lebensraum und weit mehr als nur Erde“, so Stefan Büchner, Leiter des Naturschutzzentrums Südschwarzwald auf dem Feldberg. „Darin leben unzählige verschiedene Arten, allein schon zum Beispiel an Pilzen, sodass es unmöglich ist, sie alle zu beschreiben.“ In einer Handvoll Boden gäbe es mehr Lebewesen als Menschen auf der gesamten Erde. Darüber hinaus sind längst nicht alle erforscht. Sie tragen keinen Namen, sind weiße Flecken auf der Landkarte der Artenvielfalt.

Begnügen wir uns also damit, einen Ausschnitt zu zeigen von dem „weiten Feld“, wie Büchner es bezeichnet. In dem humusreichen Waldboden leben – zum großen Teil für unsere Augen unsichtbar – Mikroorganismen wie Bakterien, Pilze und Algen, aber auch Fadenwürmer, Milben, Springschwänze, Rädertiere, Borstenwürmer und Larven. Regenwürmer und Asseln sind ebenfalls in der Erde zu Hause.

Der Waldboden ist ein komplexer Lebensraum.
Der Waldboden ist ein komplexer Lebensraum. © Hochschwarzwald Tourismus GmbH

Lebewesen auf dem Boden

Was sich für unsere Ohren nicht gerade appetitlich anhört, fasziniert Stefan Büchner. Beispiel Springschwänze: „Das sind winzige Insekten mit einer Sprunggabel, die am Bauch liegt. Wenn sie sich fortbewegen, klappen sie sie aus.“ Auch Milben findet der promovierte Biologe interessant. „Diese bizarr aussehenden Gestalten müssen Sie sich wie kleine, laufende Punkte vorstellen“, erzählt er begeistert und empfiehlt uns, beim Waldspaziergang einmal ein Stück Totholz umzudrehen, wo man sie oft entdecken kann. Bei der Milbe gebe es ebenfalls wieder unzählige Arten, auch räuberische, die andere Milben oder Springschwänze fressen. „Bei den allermeisten Gruppen von Kleintieren kennen sich nur Spezialisten wirklich aus.“ Prinzipiell gilt: Je kleiner die Lebewesen, desto mehr tummeln sich davon in einer Handvoll Erde.

So unterschiedlich die Kleinlebewesen sein mögen, eines ist ihnen allen gemein: Sie tragen dazu bei, dass das produktive Ökosystem im Wald erhalten bleibt. So fressen oder zersetzen sie Blätter, Nadeln, totes Holz oder dienen den Lebewesen, die an dieser Arbeit beteiligt sind, als Nahrung. „In dem ungestörten Ökosystem Wald entstehen keine unverwertbaren Endprodukte wie bei uns Menschen“, erklärt Stefan Büchner und ergänzt lachend, „sonst würden ja überall tote Bäume herumliegen.“ Nährstoffe werden nach dem Abbau wieder frei und können von anderen Pflanzen genutzt werden. Auch Pilze spielen bei der Zersetzung von Holz eine wichtige Rolle: „Einige durchziehen es mit ihrem Myzel, bauen die Zellulose ab und machen das Material damit nutzbar für andere Tiere.“ So hat im großen natürlichen Recycling-Prozess des Waldes alles seine Ordnung und jedes Lebewesen eine Funktion. 

Eine eher traurige Figur machen Milben, Springschwänze und Co hingegen, wenn man ihre Position in der Nahrungskette betrachtet: Sie sind das schwächste Glied und werden unter anderem von Hundertfüßern oder Spinnen verspeist. Diese wiederum fallen größeren Spinnen oder Käfern zum Opfer, die dann Vögeln, Mäusen, Füchsen und anderen tierischen Waldbewohnern als Nahrung dienen. Fressen oder gefressen werden – so ist nun mal das Gesetz des Waldes.

Stefan Büchner
Stefan Büchner © Naturschutzzentrum Südschwarzwald

Der Badische Riesenregenwurm

Doch zurück zum Boden und einem uns altbekannten Bewohner: dem Regenwurm. Von diesem gibt es nämlich ein beachtliches Modell im Hochschwarzwald. „Der Badische Riesenregenwurm ist fingerdick und wird rund 60 Zentimeter lang“, erzählt Büchner stolz. Und es gibt ihn weltweit ausschließlich in dem Gebiet zwischen Feldberg, Belchen und Wiesental. Ausgewachsen wiegt er zwischen 25 und 35 Gramm, so viel wie eine recht große Maus. Abgesehen von seiner beachtlichen Länge (gewöhnliche Regenwürmer werden 12 bis 30 Zentimeter lang) macht er den gleichen wichtigen Job wie seine Artgenossen. Er durchwühlt den Boden, kompostiert altes Laub und düngt mit seinem nährstoffreichen Kot die Erde. „Das stetige Graben bewirkt auch, dass der Boden gut durchlüftet wird und Nährstoffe von unten nach oben geschichtet werden.“

Auch Asseln spielen als Erstzersetzer im Wald eine wichtige Rolle. Sie zerkleinern Pflanzenreste und Falllaub und wandeln sie in ihrem Darm zu Humus um. Und sie sind eine Reminiszenz ans Meer: Asseln sind landbewohnende Krebstiere, die noch wie ihre Verwandten im Wasser durch Kiemen atmen. Der feuchte Waldboden ist deshalb ein optimaler Lebensraum für sie.

Der Badische Riesenregenwurm wird 60 cm lang.
Der Badische Riesenregenwurm wird 60 cm lang. © Naturschutzzentrum Südschwarzwald

Ganze Seiten könnte man noch füllen über einzelne Tiere, Würmer und Bakterien, die sich unter unseren Füßen tummeln, dort ihre Fleißarbeit verrichten. Was wir in der Wohnung manchmal gar mit Ekel bekämpfen, ist im Wald unverzichtbar. Schade eigentlich, dass wir meist so achtlos darüber hinwegspazieren.

Gut zu wissen 

Das Kucky-Team nimmt insbesondere in den Sommerferien Kinder mit auf spannende Exkursionen in den Wald, beispielsweise auf der Spurensuche mit dem Jäger oder beim Waldtag. Mehr dazu im aktuellen Kinderprogramm.