Auffallend sind die blauen Augen und das verschmitzte Lachen der beiden, die sich herzlich begrüßen.

"Ich zeig dir, wo du mal hinkommst"

Die Legende trifft den Weltmeister: Schwarzwälder unter sich
01.11.2014

von Birgit-Cathrin Duval

Zwei Männer wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Der eine, 78-Jährig, hat Skigeschichte geschrieben und ist schon zu Lebzeiten eine Legende, der andere steht mit 25 Jahren mitten in einer erfolgreichen Karriere. Eins jedoch verbindet sie: Die Heimatliebe zum Schwarzwald und der Erfolg als Skiwettkämpfer in der nordischen Kombination.

Georg Thoma wuselt durch die Räume. Zu Hause hat er ein Foto entdeckt. Eine vergilbte schwarzweiß Fotografie. Das Bild ist unscharf, aber der kleine Bub darauf guckt aufgeweckt in die Kamera. Als könne er ahnen, dass ihm Großes bevorsteht. Dass er zu etwas anderem berufen ist, als Kühe zu hüten. Das Bild will er aufhängen. Einen Platz dafür hat er bereits gefunden – in der Thoma-Stube in seinem Skimuseum in Hinterzarten. In dem heimeligen Zimmer mit Kachelofen stehen seine Skier. Die, mit denen er als Jugendlicher Ski lief und seine Langlauf- und Sprungski, auf denen er Olympiasieger wurde.

Thoma schaut auf die Uhr. Das Bild muss erst mal warten, denn es hat sich Besuch angekündigt: Weltmeister Fabian Rießle kommt auf einen Besuch im Skimuseum vorbei. Kurz nach 13 Uhr knarrt es auf den Holzdielen des alten Hugenhofes. Ein junger Typ mit aschblonden Haaren, Bart, Jeans, Turnschuhen und Pullover mit Logos von bekannten Sport- und Automarken betritt den Raum. Auffallend sind die blauen Augen und das verschmitzte Lachen der beiden, die sich herzlich begrüßen.

Die Vitrine wartet schon auf kommende Pokale

Für Fabian Rießle hat Thoma bereits einen Platz ausgesucht. „Schau, ich zeig dir, wo du mal hinkommst“, sagt Georg Thoma in sympatischer Schwarzwälder Mundart und eilt, wie ein Jungspund, die Holztreppe nach oben. Ein Zimmer im Obergeschoss widmet sich den Erfolgen der Skifahrer der nordischen Kombination und den Skispringern. Dieter Thoma, Sven Hannawald, Martin Schmitt. Bis Fabian Rießle eine Vitrine erhält, darf er weitere Medaillen sammeln. Olympisches Silber und Bronze in 2014, sowie Team WM-Gold im Jahr 2015 sind bereits gesichert. Bei den Weltmeisterschaften 2015 in Falun holte er mit dem deutschen Team die Goldmedaille. Das gab’s zuletzt vor 28 Jahren.

So wie einst Georg Thoma, der Shootingstar aus dem „Black Forest“, der 1960 die Goldmedaille bei den Olympischen Winterspielen in Squaw Valley, USA, gewann. Eine Sensation. Thoma war der erste Mitteleuropäer, der die Skandinavier und Russen vom Thron der Nordischen Kombination, die aus den Disziplinen Skilanglauf und Skispringen besteht, drängte. Seinem Sieg schloss sich eine bisher unübertroffene Karriere an.

Skilegende Thoma führt Fabian in das Zimmer, in dem die Anfänge des Skilaufens dokumentiert sind. „Fabian, weisch warum sie früher nur mit einem Stock gefahren sind?“ Rießle guckt auf das Foto, das einen bärtigen Mann mit seltsamer Kappe zeigt. In seinen Händen hält er einen Stock, der einem Ruderblatt ähnelt. Fabian zuckt mit den Schultern. „Früher“, erklärt Georg Thoma, „hat man den Stock nicht nur zum Vorwärtskommen benutzt. Sondern zur Jagd und zur Verteidigung.“ Rießle staunt. Nicht nur über die Errungenschaften von Georg Thoma, sondern über die interessante Geschichte des Skisports, die ihren Anfang 1891 im Schwarzwald nahm.

Für Fabian Riessle hat Thoma bereits einen Platz ausgesucht. „Schau, ich zeig dir, wo du mal hinkommst“
Für Fabian Riessle hat Thoma bereits einen Platz ausgesucht. „Schau, ich zeig dir, wo du mal hinkommst“ © Birgit-Cathrin Duval

Von Georg Thoma hörte Fabian Rießle das erste Mal als Zwölfjähriger. Damals nahm er bei der Wettkampfserie um den Georg-Thoma-Pokal teil. „Ich hab’ meinen Papa gefragt, warum der so heißt“, erinnert sich der aus St. Märgen stammende Schwarzwälder. Fabian Rießle ist, wie auch Georg Thoma auf einem Bauernhof groß geworden. Mithelfen war normal. Und kein Thema für den agilen Fabian. „Ich war schon immer ein bewegungsfreudiges Kind“, erzählt er. Und als sein älterer Bruder Phillip mit Skispringen und Langlaufen anfing, hat es der kleinere Bruder auch versucht. Seine ersten Runden lief er auf dem Thurner und in Breitnau sprang er von der Schanze. Mit zehn Jahren fing er an, da war er fast schon ein Spätzünder, was das Skispringen anbelangt. Und auch hier finden sich Parallelen zu Thoma: „Mein Bruder hat die Schanzen gebaut, ich war der Testpilot“, sagt Thoma. Fabian machte es Spaß und er empfand die Schanze als Mutprobe. Dass sein kleiner Bruder offensichtliches Talent besaß, blieb Philipp nicht verborgen. Allerdings ging er oft sehr ungestüm zu Sache.

“Ich war früher ein Raudi und bin immer mit Vollgas gestartet“
(Fabian Rießle)

Das blieb nicht ohne Konsequenzen: Stürze mit Saltos und Knochenbrüchen waren die Folge. Doch Rießle gab nicht auf. Im Gegenteil. Diese Rückschläge schienen ihn nun noch mehr anzuspornen. Nach dem Abitur entschied er sich für die Laufbahn als Profi.

Thoma lacht und sieht dabei noch immer aus wie der Lausbub auf der alten Fotografie. Von einer Laufbahn als Skiprofi hätte er nicht mal zu Träumen gewagt. Als Zwölfjähriger habe er damals in Neuglashütten unterhalb des Feldbergs den 1. Preis gewonnen, erzählt er. Auf einer selbst gebauten Schanze. „Und weisch was ich als Preis gewonnen habe?“ Rießle zieht die Augenbrauen nach oben, gespannt auf die Antwort. „Ein Wurschtbrot. Des war damals was ganz b’sonderes.“ Später in Skandinavien gab’s dann ein Paar gestrickte Handschuhe und Norwegerpullover. Die liebte der junge Georg über alles.

“Der Trainer sagte, ich soll doch mal was anderes nehmen, ein gemaltes Bild, aber damit konnt’ ich ja nix anfangen.“
(Georg Thoma)

Nur einmal, in Nordschweden, nahm er einen Zinnkrug als Siegertrophäe. „Der steht noch heut’ zu Hause rum.“

Sportsoldaten und Briefträger

Sponsoren, wie sie heute auf Fabian Rießles Pullover prangen, hatte Thoma damals nicht. Rießle fährt ein gesponsertes Auto, trägt Klamotten, Ski und Accessoires mit Werbelabels. „Jörgli“, wie Freunde Georg Thoma nennen, besaß, als er zu den ersten deutschen Jugendmeisterschaften fuhr, nicht mal eine Unterhose. Und auch als berühmter Skifahrer musste er weiter buckeln. Nicht länger als Kuhhirte, sondern als Briefträger. Im Sommer mit dem Fahrrad, im Winter auf Skiern. Als Postbote war er für die abgelegenen Höfe zuständig. Fabian Rießle wird als Sportsoldat zum Feldwebel ausgebildet und kann sich ganz auf seine sportliche Karriere konzentrieren. Das bedeutet täglich fünf Stunden Training. Für Fabian noch immer eine Sache, die ihm großen Spaß macht. Schließlich zahlt sich die Mühe aus, wie die Erfolge Rießles belegen.

„Damals“, erzählt Georg Thoma, „hatten wir haufenweise Zuschauer bei den Springen. Das war ein Spektakel.“ Als er nach seinem Olympiasieg zurück in seinen Heimatort Hinterzarten kommt, wird er von 25.000 Zuschauern frenetisch gefeiert. Als Fabian Rießle mit Silber und Bronze im Gepäck im Februar 2014 nach St. Märgen kommt, waren es einige Hundert Fans. Die Skijugend stand Spalier. Es gab Böller, Trompetenfanfaren, Pauken und Vertreter aus der Politik würdigten seine Leistung. Der Olympiastar wurde sogar mit einer Kutsche vom elterlichen Hof in Holzschlag abgeholt. Seine Fans und Freunde von der Skizunft Breitnau waren sogar nach Frankfurt gereist um ihren Fabian am Flughafen zu feiern.

Im Skimuseum sieht man nicht nur die Errungenschaften von Georg Thoma, sondern die interessante Geschichte des Skisports, die ihren Anfang 1891 im Schwarzwald nahm.
Im Skimuseum sieht man nicht nur die Errungenschaften von Georg Thoma, sondern die interessante Geschichte des Skisports, die ihren Anfang 1891 im Schwarzwald nahm. © Birgit-Cathrin Duval

„Mit früher ist das nicht mehr vergleichbar“, meint der Nachwuchsstar etwas lakonisch. Doch über zu wenig Popularität kann der gut aussehende Sportler nicht klagen. Seine offizielle Facebook-Fan-Seite zählt über 2.000 Fans, die ihn zu seinen Erfolgen gratulieren und anspornen.

Der Traum vom Fliegen

Bis zu seinem Sieg, erzählt Thoma, hätte sich niemand für die Nordische Kombination interessiert. Damals waren die Alpinen die Stars. Dann sprang Thoma und wurde auf einen Schlag weltberühmt. „Ich bin im Wald und bei den Tieren aufgewachsen und plötzlich wollen alle was von dir. Das ist schon seltsam.“

Georg Thoma träumt noch immer vom Fliegen. Mit modernem Equipment und dem heutigen „KnowHow“, das wärs’. Noch einmal dieses Gefühl erleben, „wie ein Vogel durch die Lüfte schweben.“ „Wir sind ja früher schmal gesprungen und mussten drei Armzüge machen, so stand es in der Wettkampfordnung.“ Später kam dann die Technik mit den Händen nach vorne auf, „da haben wir gestaunt, und es natürlich gleich ausprobiert.“ Schließlich nahmen die Springer die Hände nach hinten, „das war schwer von Arme vorn nach Arme hinten“, erinnert sich Georg Thoma. Heute haben die Skispringer das Fliegen perfektioniert.

Fabian Rießle liebt die Geschwindigkeit und die Kräfte, die er erlebt, wenn er von der Schanze in die Lüfte abhebt. In einem sind sich beide einig:

“Skispringen, das ist eine Gefühlssache.“
(Fabian Rießle und Georg Thoma)

Und um das richtige Feeling zu bekommen, gibt es keinen besseren Ort als ihre Heimat, dem Schwarzwald. Fabian stimmt Georg Thoma zu. „Meine Heimat gibt mir Kraft, ich bin froh, hier in dieser Region zu leben.“

„Ja, so isch das“, sagt Thoma, bedankt sich für den Besuch von Fabian, verabschiedet sich und widmet sich wieder seinem Foto, das er in der Thoma-Stube aufhängen will. Die Vitrine für Fabian hat noch Zeit. Und darf gerne auch größer ausfallen.