Der Westweg

Auf dem beliebten Fernwanderweg der roten Raute nach
11.04.2025

von Anita Fertl

Herzlichen Glückwunsch! Dieses Geburtstagskind ist ein besonderes, denn man nimmt den Jubilar nicht in den Arm, sondern besser unter die Füße: Der Westweg durch den Schwarzwald, Klassiker und Mythos, wird 125 Jahre alt – Zeit, die Wanderschuhe zu schnüren, für zwei Tage im Hochschwarzwald.

Tür zu, der Bus brummt davon. Dann: Stille. Dabei sind wir noch nicht mal auf dem Westweg, wo sich Stille wie kaum irgendwo sonst erleben lässt, sondern erst auf dem Weg zu ihm. Ein steiler ist es, der sich zwischen Oberprechtal und Schonach die Sommerweiden hinaufzieht, dem Nivea-blauen Himmel entgegen. Anfangs plätschert das Geplauder munter wie der Bach am Wegesrand, doch schnell drehen die Höhenmeter den Gesprächsfluss ab. Stattdessen schnaufen wir gedankenversunken bergauf.

125 Jahre Westweg: Ein Wanderweg, der Geschichte schreibt

Ein Geburtstag ist auch Anlass, darüber nachzudenken, wie lange man den Jubilar schon kennt. In meinem Fall: lange. Natürlich nicht von Geburtsstunde an. Philipp Bussemer gelang es im Jahr 1900, die vielen Wanderwege, die in den einzelnen Sektionen des Schwarzwaldvereins entstanden waren, zu einem großen Ganzen zu verbinden und einen ersten durchgängigen Höhenweg rotrautig auszuschildern. Seither durchkämmt der Westweg auf rund 285 Kilometern von Pforzheim im Norden bis Basel im Süden den gesamten Schwarzwälder Höhenrücken, durchquert tief eingeschnittene Täler und führt auf die schönsten und höchsten Gipfel.

Sonnenuntergang bei Schonach

Der Westweg führt über Schwarzwälder Höhenrücken, durchquert tief eingeschnittene Täler und auf die schönsten und höchsten Gipfel. © Hochschwarzwald Tourismus GmbH

Schwere Rucksäcke & fantastische Landschaften

Apropos Gipfel: Auch wir haben den ersten erklommen und stehen nun auf dem Westweg – eine Wiederbegegnung: Als 25-Jährige wanderte ich schon einmal hier, gemeinsam mit drei Freundinnen, vor gut 30 Jahren. Und heute? Muss sich ein ebenfalls 25-Jähriger Geschichten von damals anhören – mein Sohn.
Von schweren Rucksäcken erzähle ich, geschlossenen Herbergen und Zusatzkilometern, Blasen und fantastischen Landschaften.

„Ich erzähle von schweren Rucksäcken, geschlossenen Herbergen, Zusatzkilometern, Blasen und fantastischen Landschaften."
(Anita Fertl)

 „Aber Mama, das ist doch immer noch so“, wird mir entgegnet. Tatsächlich drückt der Rucksack gewaltig. Und als wir auf dem Huberfelsen stehen, der sich wie der Titanic-Rumpf aus dem Schwarzwaldmeer erhebt, könnten wir ersaufen in diesem Ausblick. Danach geht es mal breit-, bald schmalwegig durch den Wald. Steine und Findlinge im Moosmantel grenzen den Pfad ein, der zum Karlstein führt, so benannt nach Herzog Karl Eugen von Württemberg, der den Gipfel im Jahr 1770 bestieg. Ein grauer Granitfels türmt sich steil in die Höhe, gehauene Stufen führen auf 970 Meter hinauf. Einst stießen hier vier Reiche aufeinander: Baden, Württemberg, Österreich und Fürstenberg. Deren Herrscher, so heißt es, trafen sich hier oben einmal zum Essen vom gemeinsamen Tisch, aber jeder habe auf seinem eigenen Territorium gesessen. Ob Wahrheit oder Dichtung: Die Geschichte macht hungrig, und da kommt das Gasthaus Schöne Aussicht gerade recht.

Auf dem Hauptkamm zwischen Donau und Reih, der Europäischen Wasserscheide, ging es für unsere Autorin und ihren Sohn vorbei an Kolmenhof und Martinskapelle. © Hochschwarzwald Tourismus GmbH

Zwischen Wiesen, Wäldern und dem Westweg voller Geschichten

Die Landschaft öffnet sich danach – weite Wiesen wechseln mit Wald – und lässt sich nicht steilhügelig, sondern sanftwellig erlaufen. Auf diesem Streckenteil bis zur Schonacher Wilhelmshöhe kann man Herbert Fehrenbach treffen, wenn er als Vorstand und Wegewart des Schwarzwaldvereins Schonach gerade dabei ist, Schilder in Ordnung zu halten oder den Weg auszumähen. Er mache das gern, erzählt er, die Wanderer seien dankbar. „Früher habe ich Landwirtschaft gehabt, inzwische den Hof aber übergeben. Jetzt, wo ich Zeit habe, merke ich erst, wie schön der Schwarzwald ist“, erzählt er und lacht. Seine Lieblingsstrecke sei die von der Wilhelmshöhe bis zum Blindensee, verrät er noch. 

„Jetzt, wo ich Zeit habe, merke ich erst, wie schön der Schwarzwald ist"
(Herbert Fehrenbach)
Eingebettet in saftiges Grün und umgeben von stiller Natur liegt dieser traditionelle Schwarzwaldhof – ein Ort, an dem die Zeit ein wenig langsamer tickt.
Eingebettet in saftiges Grün und umgeben von stiller Natur liegt dieser traditionelle Schwarzwaldhof – ein Ort, an dem die Zeit ein wenig langsamer tickt. © Hochschwarzwald Tourismus GmbH

Verständlich. Kühe grasen friedlich auf sattgrünen Weiden, die sich zwischen Waldstücken breitmachen, vereinzelt stehen prächtige Höfe. Einer davon ist der Wolfbauernhof, zu dem das Herrenkreuz als natürlicher Grenzstein gehört. „Das Herrenkreuz hat für die Älteren eine mystische Bedeutung, weil dort einst ein Bauer durch einen wild gewordenen Stier zu Tode kam“, erklärt Wolfgang Schyle, zuständig für Heimat- und Denkmalpflege beim Schonacher Schwarzwaldverein. Deshalb hätten dort stets die Pferde gescheut. „Und ein alter Wanderführer hat immer gesagt: Selbst bei meinem VW-Käfer hat jedes Mal der Motor gestottert, wenn ich da vorbeigefahren bin“, erzählt Schyle und schmunzelt. 

Bei uns stockt kein Motor, längst sind wir warmgelaufen. Über einen silbergrauen, Holzbohlensteg erreichen wir den Blindensee, der geheimnisvoll in der Abendsonne glänzt. Knorrige Moorkiefern, Moose und Gräser umrahmen das schwarze Wasser, das weder Zu- noch Ablauf hat und uns aus unergründlichen Tiefen als Moorauge zu beobachten scheint. Viele Sagen ranken sich um das Gewässer. Doch die wollen wir lieber gleich am Lagerfeuer erzählen und machen uns auf zum nahegelegenen Trekking-Camp.

Blindensee Schonach

Der von Kiefern umringte Blindensee mit seinem Holzbohlensteg ist der ideale Ort für eine Verschnaufpause. © Hochschwarzwald Tourismus GmbH

Campen, Dinosauriereier und Regenguss

Das Trekking-Camp bietet die Möglichkeit, ganz legal draußen in der Natur zu übernachten. Praktisch: Die vom Naturpark Schwarzwald initiierten 20 Camps gibt es quer durch den Schwarzwald, nahe der Fernwanderwege. Zum Übernachten braucht es lediglich eine Online-Anmeldung und schon bekommt man aufs Handy die Wegbeschreibung. Als wir ankommen, haben zwei weitere Übernachtungsgäste, Timo und Valentin, Vater und Sohn, bereits das Feuer in Gang gebracht. Nachdem das Zelt aufgebaut und das mitgebrachte Essen aufgewärmt ist, klingt der Tag mit angenehmem Plaudern aus. Wie der Schwarzwälder Schinken in der Rauchkammer seine Reife, so bekommen wir am Lagerfeuer die nötige Bettschwere und bald kriechen alle in ihre Zelte.

Feuerstelle

Am Lagerfeuer den anstrengenden Tag ausklingen lassen. © Hochschwarzwald Tourismus GmbH

Der letzte Tag auf dem Westweg

Der letzte Westwegtag bricht früh an, und nachdem die schmerzenden Glieder sortiert, der Kaffee getrunken und alles wieder ordentlich verpackt ist, stiefeln wir los. Das schöne Wetter von gestern ist wie weggewischt, scheinbar hat auch der Schwarzwaldhimmel Muskelkater und trägt Einheitsgrau. Doch die Landschaft ist prächtig. Wir wandern durch schönen Wald in Schönwald. Selbst das leicht einsetzende Tröpfeln ist passend, geht es doch zur Donauquelle unterhalb der Martinskapelle, wo die Breg als längster und wasserreichster Quellfluss entspringt. 
Dort führt uns der Westweg wieder in den Wald, einen verwunschenen dazu: Wie Jahrmillionen alte, steingewordene Dinosauriereier liegen die Granitblöcke der Günterfelsen da. Doch das, was märchenhaft aussieht, erfahren wir, ist das Ergebnis eines physikalisch-chemischen Prozesses, der im Lauf von Jahrhunderten solche Gesteinsblöcke entstehen lässt, die ähnlich wie gestapelte Wollsäcke aussehen (daher „Wollsackverwitterung“). 

Die Günterfelsen bieten einen einzigartigen Anblick
Die Günterfelsen bieten einen einzigartigen Anblick © Hochschwarzwald Tourismus GmbH

Noch die Westweg-km bis Basel voll machen?

Nach gut drei Stunden Wanderzeit laufen wir auf dem Brend ein, der mit 1149 Höhenmetern der höchste Punkt der Europäischen Wasserscheide zwischen Rhein und Donau ist und vom Turm aus einen prima Panoramablick bietet. Da wir noch einige Kilometer vor uns haben, beschließen wir, ohne Pause im hübschen Gasthaus lieber weiterzuwandern. Dennoch: Die Stimmung ist gut, die Rucksäcke sitzen und wir genießen die weiten Blicke über die Landschaft rund um Furtwangen. 
Kurz vor dem Ziel beim Neueck kommt er dann doch, der dicke Regenguss – wir nehmen ihn als Wander-Taufe. Beim Warten auf den Bus wandern die Gedanken schon weiter: Vor gut 30 Jahren ging es von Pforzheim bis zum Wiedener Eck. Warum den Jubilar nicht in ganzer Länge kennenlernen und die restlichen 60 Kilometer bis Basel vollmachen? Der Sohn zweifelt noch; aber vielleicht mit den drei Freundinnen von damals?! 

Sonnenuntergang auf dem Brend bei Furtwangen

Sonnenuntergang auf dem Brend bei Furtwangen © Hochschwarzwald Tourismus GmbH

Mehr Informationen

  • Aussicht vom Brendturm Furtwangen
    Brendturm
    Der Aussichtsturm auf dem Furtwanger Hausberg mit Weitblickerlebnis auf dem Schwarzwald und bei klarer Sicht gibt es außerdem ein einmaliges Alpenpanorama.
  • Westweg, von Hinterzarten nach Basel, die Ostvariante
    Die Ostvariante von Hinterzarten bis Basel ist die unbekanntere, aber nicht minder schöne Strecke.
  • Mit der 8er Kabinenbahn bequem und schnell zum Feldberg-Gipfel schweben.
    Westweg - Westvariante
    Der Westweg führt uns von Pforzheim nach Basel. Auf der hier beschriebenen West-Variante überqueren wir dabei den höchsten Berg aller deutschen Mittelgebirge, den Feldberg.