Kletteranfänger am Kandelfelsen
Klettern? „Brauch' ich nicht ...“, dachte ich bisher: „Wandern ist auch schön.“ Bis mich Sven zu einer Tour am Großen Kandelfelsen mitnahm . . .
Der Morgen duftet nach feuchter Erde, nach Moos, Waldbeeren und Tannennadeln. So frisch! Steinig und steil ist der Waldpfad auf dem wir seit einer Viertelstunde bergan laufen, er führt in engen Schlingen den Kandelhang hinauf. Ein paar Meter müssen wir noch stapfen mit den schweren Rucksäcken auf unseren Rücken, in denen Seile, Kletterhaken und -gurte sowie zwei Schutzhelme verstaut sind.
„Schon da!“, sagt Sven. Vor uns ragt der Große Kandelfelsen aus dem Bergwald, ein Koloss aus Gneis, der an der höchsten Stelle über 50 Meter hoch ist. Der Fels ist beeindruckend, auch heute noch, obwohl der Gipfelüberhang, der ein ziemlich großer Brocken war, in der Walpurgisnacht im Jahr 1981 talwärts stürzte.
Heute liegt die einstige Teufelskanzel als Schutthalde zu Füßen des Felsen, der als eines der ältesten Klettergebiete im Hochschwarzwald gilt. Dessen Kletterrouten zählen zu den schwierigsten in der Gegend, sagt Sven.
Der Reiz, die Grenzen zu überschreiten
Eine unbehagliches Gefühl breitet sich unter meinen Rippenbögen aus: Da soll ich hoch? Warum wandern wir nicht einfach ein bisschen weiter? Ist doch auch schön ... Sven hat mir schon viel von seinen Klettertouren im Gebirge erzählt: Vom Reiz der Vertikalen, davon, draußen zu sein, sich an steilen Felswänden auszuprobieren und seine Grenzen zu überschreiten. Oben ankommen!
„Ich liebe die körperliche Herausforderung dabei“, hatte er geschwärmt, am Küchentisch in Freiburg: „Und die Kombination aus Kraft, Koordination und Gleichgewicht."
Das hat mich letztlich überzeugt. Jetzt stehen wir am Fuß des Kandelfelsen, zwischen Heidelbeersträuchern, Büschen, Gras und spitzen Felsbrocken, die mir heute für meinen Geschmack viel zu spitz erscheinen.
In dem Kletterführer, den Sven mitgebracht hat, sind 55 verschiedene Routen verzeichnet– doch ich sehe keine davon. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick, denn anders als in der Kletterhalle zeigen nämlich keine bunten Griffe den Weg, in der Wand sind Haken gelegt, aber die sind ziemlich unauffällig. Der rötlich-graue Fels ist von Rissen und Spalten durchzogen, ich sehe kleinere Absätze und Felsvorsprünge. Es gibt Überhänge und zentimetergroße Leisten. Und frage mich nochmal: „Wie soll ich da hochkommen?“
Klettern wie Affen, schweben wie... Kartoffelsäcke?
Sven steigt vor. So heißt das auch im Kletterer-Jargon: „Vorstieg“, meint Sven, „bedeutet, dass eben einer als erster die Route klettert und das Seil in die Sicherungen legt.“ Währenddessen, so erklärt es Sven, hält der Kletterpartner am Boden das Seil. Falls der Vorsteiger stürzt, fällt er in die letzte Zwischensicherung: „Das können aber auch schon ein paar Meter sein.“ Daher müsse ich am Boden auf einen sicheren Stand achten und ihn, Sven, immer im Auge behalten, damit ich, im Falle des Falles das Seil notfalls sofort blockieren kann. „Keine Angst, wir nehmen eine leichte Tour zum Anfang.“
Und schon ist er am Felsen, krallt sich an kleinsten Vorsprüngen fest und klettert die senkrechte Wand hinauf. Keine fünf Minuten später steht er oben. Es klickt ein paar Mal – das müssen die Sicherungshaken sein – und dann seilt sich Sven ab. Leichtfüßig sieht das aus. Erst hochklettern wie ein Affe und dann runterschweben am Seil!
Zuhause hatte mich Sven gründlich eingewiesen: „Mit dem Klettern anfangen kannst Du überall, man muss nicht erst in die Halle zum Üben. Klettern lernt man, indem man viel klettert. Wichtig ist, dass Du weißt, welche Sicherungsmittel es gibt und worauf man am Anfang achten muss. Das kannst Du in einem Kurs lernen oder von erfahrenen Kletterern. Solange man Acht gibt, was man tut, ist Klettern aber sehr sicher.“
Immer dicht am Fels
Klettern ist sicher! Das sage ich mir, als ich mit den engen Kletterschuhen an den Füßen in den Fels steige – Nachstieg nennt man das, wenn der Kletterpartner bereits alle Sicherungen gelegt hat und man selbst am straffen Seil die Route klettern kann: „Immer dicht am Fels“, ruft Sven, der mich von unten mit dem Seil sichert. Mit den Fingerspitzen tastend suche ich nach einem Griff im rauen Gestein. In den Felsspalten wachsen Farne, deren grüne Blätter mir nun sanft über die Wangen streichen. Auch mein rechter Fuß findet einen sicheren Stand. Und weiter. Klappt doch.
Wo ist der nächste Halt? Die Fingerkuppen kratzen über den Gneis, über trockenen, harten Fels und über brüchige Flechten, ehe sie die nächste Lücke finden. Dann der andere Fuß. Meter für Meter und in Schneckentempo krieche ich den kalten Fels hinauf. „Falsch“, erinnere ich mich noch an Svens Tipp am Küchentisch, als ich versuche, mich mit aller Kraft mit den Armen hochzuziehen: „Nicht nur auf Zug greifen, sondern auch stützen und stemmen“, hatte er ja gesagt.
Ich komme wieder!
„Versuch' mal, das meiste Gewicht mit den Füßen abzufangen“, ruft es da schon von unten. Leicht gesagt! Was bei Sven so elegant und schwerelos aussieht, fühlt sich bei mir an, als würde ein Sack Kartoffeln am Seil baumeln. Die Füße zittern, ich finde keinen Halt mehr. Und dann falle ich ins glücklicherweise schon straff gespannte Seil. Das hat Sven schon kommen sehen. Genau dafür ist er ja so wichtig, der Partner, der einen im Falle eines Sturzes ins Seil nimmt.
Beim nächsten Versuch klappt es schon viel besser, aber ich merke auch, dass ich Anfangs viel zu oft nach unten schaue – da wo Sven steht und neben ihm die zackigen Felsbrocken aufragen. Man muss es nur üben, dann klappt es besser. Und dem Seil vertrauen und dass die Haken halten . . . Wie war das gleich: „Klettern lernt man, indem man viel klettert!“
Klettern? „Brauch' ich nicht ...“, dachte ich mal. Jetzt weiß ich: Ich komme wieder!
Gut zu wissen
Klettern im Naturpark Südschwarzwald
Der Kandelfels: Felsinfo des Alpenvereins IG-Klettern Südschwarzwald