Das Natureisstadion am Titisee ist eines der letzten seiner Art und hat eine ziemlich famose Vorgeschichte

Schlittschuhlaufen am Titisee

Eis am See - unter freiem Himmel
27.10.2021

von Philipp Hermann

Geheimtipp für Kufen-Cracks und Familien: Das Natureisstadion am Titisee ist eines der letzten seiner Art und hat eine ziemlich famose Vorgeschichte.

Unweit des Ostufers des Titisees, zentrumsnah und doch ab vom Schuss, hat sich ein Kleinod für Kufensportler bewahrt. Verborgen hinter einem Waldkranz, eingerahmt von einer ein Meter hohen Holzschwartenbande ruht das einzige Natureisstadion des Hochschwarzwaldes. Unter Eingeweihten gilt die Anlage als Geheimtipp, an guten Wintertagen lockt sie fünfzig bis hundert Besucher an. „Auch aus Freiburg kommen regelmäßig Leute“, sagt Grundstücksbesitzer Christian Winterhalder vom benachbarten Ferienhaus Hermeshof. Tagsüber schlittern bevorzugt Kinder übers Eis, abends ziehen Erwachsene im Flutlichtkegel gemächlich ihre Runden oder jagen mit Eishockeystöcken einem Puck hinterher. Die Fläche von 60 mal 30 Meter ist groß genug für eine friedliche Koexistenz.

 

"Die Winter sind nicht mehr das, was sie einmal waren."
(Sebastian Fischer)

Die Herstellung des Belags ist eine Wissenschaft für sich und wird von einer Gruppe Ehrenamtlicher bewältigt. Sie haben sich den Namen „Helferinitiative Hermeshof-Eisstadion Titisee“ gegeben – kurz: HiHET. Der harte Kern besteht aus fünf bis zehn Personen, die sich nicht zu schade sind für stundenlange Nachtschichten mit dem Wasserschlauch in der Hand – bei zehn bis zwanzig Grad unter dem Gefrierpunkt. So kalt sollte es sein, damit das Spritzwasser festfriert. Und genau da liegt der Haken. „Die Winter sind nicht mehr das, was sie einmal waren“, sagt HiHET-Präsident Sebastian Fischer. Die Klimaerwärmung ist der natürliche Feind der Natureisbahn. Im vergangenen Winter kam noch ein weiterer übermächtiger Gegner hinzu: Corona. Aufgrund der Pandemie blieb die Anlage komplett gesperrt. Doch die Eismacher lassen sich nicht unterkriegen, wie Fischer versichert. „Wir werden einen neuen Anlauf unternehmen.“

HiHET Titisee mit Präsident Sebastian Fischer

Eine Helferinitiative um Sebastian Fischer kümmert sich heute um den Erhalt des Stadions. ©Baschi Bender

Auf der Suche nach den Initiatoren der 1958 erbauten Anlage stößt man wieder auf den Namen Winterhalder. „Damals gab es noch echte Winter“, sagt der Senior des Hermeshofs, Klaus Winterhalder. Der Mann geht auf die Achtzig zu, macht aber immer noch einen sportlichen Eindruck. Für die Seemer Jugend gab es einst nur zwei Jahreszeiten: „Im Sommer kicken, im Winter Eishockey“, so eine geläufige Redensart. An dieses Naturgesetzt hielt sich auch Klaus Winterhalder. „Beim Fußball hatte ich allerdings zwei linke Beine“, sagt er. Dafür stellte er sich umso geschickter auf den Kufen an. Was kaum mehr jemand weiß: In den 1960er-Jahren zählte Titisee neben Schwenningen und Freiburg zu den drei Hockeyhochburgen im Schwarzwald. Und Winterhalder war einer der Leitwölfe. Die Gegner kamen bevorzugt aus der Schweiz, wo ebenfalls auf Natureisbahnen gespielt wurde. Aber auch in Schwenningen und Freiburg waren die Cracks damals noch im Freien unterwegs.

Eiskockey Mannschaft Titisee um 1980

Eishockey-Mannschaft Titisee mit Klaus Winterhalder (vorne rechts). © Klaus Winterhalder

Das Eisfieber grassierte in Winterhalders Heimatdorf aber schon viel länger. Als kleiner Bub bekam er vom Vater Geschichten von früher erzählt, etwa von dem großen Eisfest 1924. Im darauffolgenden Jahr wurden auf dem Titisee sogar die Deutschen Eislaufmeisterschaften ausgerichtet, bei denen kein Geringerer als Werner Rittberger den nach ihm benannten 360-Grad-Sprung vorführte. Eigentlich war Hamburg als Austragungsort fest eingeplant. Weil im hohen Norden in jenem Februar jedoch der Wind zu stark blies und das Eis zu tauen anfing, wich man in den Hochschwarzwald aus. Doch auch hier waren die Bedingungen alles andere als optimal. Föhnwind brachte den zugefrorenen Titisee zum Schmelzen. Die Veranstaltung stand auf der Kippe, wurde aber durchgezogen. Den Sieg errang der Favorit, dem angeblich erstmals sein Paradesprung in zweifacher Ausführung gelang. Der doppelte Rittberger war geboren, der Titisee sozusagen sein Kreißsaal.

 

"Wenn es sein muss, könnte ich gleich morgen wieder angreifen."
(Klaus Winterhalder)

Nur einen Tag nach den Meisterschaften wurde auf dünnem Eis das erste Eishockeyspiel im Schwarzwald angepfiffen. Bald schon sollte ein professionelles Stadion her. Dafür vergrößerten etliche ehrenamtliche Hände durch Aushub den Eisweiher und errichteten nebenan ein kleines Clubheim. In den 1930er-Jahren begannen auf dem zugefrorenen Titisee die ebenso skurrilen wie legendären Wettkämpfe zwischen Autos, Motorrädern und Sportflugzeugen. Bis zu 15 000 Menschen verfolgten die Spektakel, an denen auch die weltbekannte Kunstfliegerin und Weltumrunderin Elly Beinhorn teilnahm.

Nach dem Krieg brach das Seemer Eisfieber von Neuem aus. Klaus Winterhalder und weitere jugendliche Hockeyverrückte verwirklichten sich den Traum eines neuen Eisstadions am heutigen Standort. Im Laufe der Zeit wurde die Freiluftarena immer professioneller. 1967 erhielt sie einen Asphaltbelag, 1988 sogar eine Flutlichtanlage. Das änderte nichts daran, dass die Eishockeymannschaft in der Auflösung begriffen war. Klaus Winterhalder war bereits in den 1970ern zum ERC Freiburg gewechselt, wo er in der neu errichteten Franz-Siegel-Halle beim Spielen plötzlich ein Dach überm Kopf hatte. Seine aktive Laufbahn beendete er bei den Schwenningern, ebenfalls überdacht.

Sein letztes Mal auf dem Eis? Klaus Winterhalder muss kurz grübeln. „Das dürfte zehn Jahre her sein.“ Aber er verfüge nach wie vor über ein Paar Schlittschuhe samt Ausrüstung, lacht er. „Wenn es sein muss, könnte ich gleich morgen wieder angreifen.“