
Abenteuer unter Tage
Schroffe Wände, dunkle Stollen, tiefe Schächte und – hier und da – ein Funkeln im Gestein. Wo einst Bergleute nach Bodenschätzen gruben, können heute Besucher auf eigene Faust oder bei einer Führung den Todtmooser „Hoffnungsstollen“ erkunden. Sommerliebe-Redakteurin Freya Pietsch hat sich mit ihrer Familie auf die Spuren der Vergangenheit gemacht.
Hui, ist das kalt. Von einem warmen Empfang kann keine Rede sein. Wir stehen am Eingang des Hoffnungsstollens. Wie ein hohler Riesenregenwurm, der sich durch den Berg gefressen hat, reckt er uns seinen nassen Schlund entgegen. Dunkel, lang und mit zerklüfteten Wänden verliert sich sein Innerstes in der Ferne. Kälte kriecht unter unsere Jacken, Feuchtigkeit macht sich breit. „Daraus könnte man gut eine Geisterbahn machen“, meint meine Zehnjährige, Friederike, pragmatisch. Was für ein ruppiger Gastgeber, dieser Berg, denke ich. Sollen wir da wirklich hinein?
„Glück auf!“, ruft Elisabeth Müller fröhlich und schwingt eine Bau-Leuchte wie einen Zauberstab. Die 57-Jährige bietet seit knapp 20 Jahren Kinderführungen im „Hoffnungsstollen“ an. Berührungsängste? Kennt sie nicht. Sie ist im Ruhrgebiet aufgewachsen, wo der Bergbau quasi zum Alltag gehörte. Mit roter Jacke, Trekkingschuhen und weißem Helm schreitet – pardon, fährt sie, wie es in der Bergmannssprache heißt – in den knapp mannshohen Stollen ein. Ihre fröhliche Präsenz hat etwas Vertrauenerweckendes. Also rücken wir die Helme zurecht, geben uns einen Ruck. Na dann: Glück auf! Das Abenteuer Bergwerk kann beginnen.

Unter unseren Füßen knirschen Steine, Wasser tropft von oben, landet – plopp – auf unseren Helmen oder sammelt sich in Rinnsalen am Boden. Die Luft ist glasklar. Alle paar Meter leuchtet eine Lampe an der Wand. Haben Zwerge für uns schon einmal das Licht angeknipst? Möglich ist alles in dieser geheimnisvollen Welt unter Tage.
An den Wänden hängen Schilder. Sie erklären Gesteine und tektonische Besonderheiten: Helle und dunkle Gneise, Erzmuttergestein, Granit, Adern und Schlieren gibt es hier … Wir überfliegen nur die Überschriften, denn an all dem marschiert Elisabeth Müller vorbei. „Das interessiert Kinder doch nicht“, winkt sie ab und deutet stattdessen auf eine andere Stelle. „Schaut mal, hier! Da haben sich Schneider hineinverirrt.“ Und tatsächlich kleben tote Weberknechte an der Wand, mit seltsam weißen Körpern und Beinen, wie mit Deckweiß bemalt. „Gibt es hier noch andere Tiere“, fragt meine Jüngste, Viktoria, acht Jahre, nachdem sie die toten Schneider inspiziert hat. Leider nicht.
Wendeltreppe in die Vergangenheit
Aber ganz hinten, wo der Stollen in einen anderen mündet, wartet schon eine andere Überraschung auf die Mädchen: Eine stählerne Wendeltreppe schraubt sich durch das Gestein 17 Meter in die Höhe. Das Besucherbergwerk in Todtmoos ist nämlich nicht – wie man es vielleicht erwarten würde – von oben nach unten, sondern in die entgegengesetzte Richtung aufgebaut: Man startet unten im „Hoffnungsstollen“, der in den 1930er-Jahren von der Seite in den Berg gehauen wurde, und erreicht dann über Treppen die höher gelegenen älteren Stollen. Beim Anblick der Wendeltreppe flitzen Friederike und Viktoria los. „Kommt ihr endlich?“, hallen kurz darauf ihre Stimmen herunter. Von Höhenangst keine Spur. „Nein, wir gehen jetzt raus“, scherzt Elisabeth Müller und verschwindet gleich darauf in der stählernen Spirale. Patrick, mein Mann, und ich steigen hinterher. 92 Stufen geht es aufwärts, immer ringsum, hinein und hinauf in den Berg, dessen kühler Atem uns jetzt von allen Seiten umfängt.
Oben wischen wir unsere vom Treppengeländer feuchten Hände ab. „In den Anfangsjahren gab es noch keine Wendeltreppe wie diese“, erzählt uns die Führerin, „und auch kein Dynamit. Die Bergleute mussten sich mit Werkzeugen in den Berg hineinarbeiten.“ Apropos Anfangsjahre: Die Geschichte des Todtmooser Bergwerks reicht zurück bis ins 18. Jahrhundert. Zwei Landwirte machten 1798 einen aufregenden Fund. Auf den Wiesen oben auf dem Berg entdeckten sie sonderbar aussehende Steine – Erze, wie sich später herausstellte. Kurzerhand beantragten sie die Schürfrechte. Womöglich hofften sie auf Silber, das im Mittelalter anderen Hochschwarzwälder Ortschaften wie Todtnau zu erheblichem Reichtum verholfen hatte. Für wenige Jahre wurde in Todtmoos Erz abgebaut und zur Herstellung von Grundstoffen verwendet. „Dies war bis zum heutigen Tag das erste und einzige Mal, dass jemand etwas Geld mit den Todtmooser Erzvorkommen verdiente“, erläutert eine Tafel am Eingang des Hoffnungstollens. Ein ernüchterndes Fazit.

Hoffnung auf Reichtum
„Bergbau ist wie Lottospielen“, meint Elisabeth Müller mit einem Achselzucken, „man gewinnt selten, aber macht doch weiter.“ Und so versuchten im Laufe der Jahre immer wieder Menschen ihr Glück – angetrieben von der Hoffnung, die dem unteren Stollen in den 1930er-Jahren seinen Namen gab: endlich wertvolle Rohstoffe zu finden und davon reich zu werden. Doch letztlich förderten die Bergleute nicht kostbares Silber, sondern lediglich Magnetkies- und Nickelerze zu Tage – und das auch nur in kleineren Mengen. Einen letzten Versuch unternahm die Deutsche Nickelbergwerk AG in den Dreißigerjahren, erneut mit wenig Erfolg. Danach wurde die Grube wegen zu geringer Erzvorkommen aufgegeben und erst Jahrzehnte später – im Jahr 2000 – als Besucherbergwerk wiederbelebt.
Ein kalter, harter Job
„Das war ein kalter, harter Job damals für die Bergleute, insbesondere in den Anfangsjahren“, erzählt Elisabeth Müller. „Sie arbeiteten sieben Tage die Woche, von morgens bis spätabends. Um vorwärtszukommen, verwendeten die Männer nicht Hammer und Meißel, sondern Hammer und Hammer. Einen hielten sie waagrecht an den Stein, mit dem anderen schlugen sie auf den Hammerkopf. Könnt ihr euch vorstellen, warum sie keine Meißel verwendeten?“, wendet sie sich an die Mädchen. „Um sich nicht auf die Hand zu hauen und zu verletzen?“, spekuliert Friederike. – „Genau, denn damals gab es noch kein Antibiotikum. Eine Wunde konnte lebensgefährlich sein.“
Um fünf Zentimeter vorwärtszukommen, schufteten die Kumpel eine ganze Woche, erzählt uns die Bergwerksleiterin. Sie mussten immer auf der Hut sein. „Die Bergleute trugen helle, weiße Klamotten, damit man sie besser erkennen konnte. Denn als Beleuchtung hatten sie nur offene Öllampen. Das Feuer ging schnell aus: Es musste nur ein Wassertropfen hineinfallen, schon war es dunkel. Habt ihre eine Idee, welche weißen Kleidungsstücke ein Bergmann damals getragen haben könnte?“ – „Ein Brautkleid?“, scherzt Viktoria und springt über ein Rinnsal. Patsch. Das rostbraune Wasser spritzt ihr bis in die Kniekehlen. „Falsch“, schmunzelt die Rheinländerin. „Im 18. Jahrhundert hatten die Bergleute Leinenhosen an. Todtmoos war damals ein armes Dorf, aber Flachs wuchs hier in Hülle und Fülle. Daraus und auch aus Wolle fertigten die Menschen ihre Kleidung. Als Schuhe banden sie sich mit Stoff ein Brett unter die Füße. Oder sie trugen ,Straufinken‘, die typischen Schwarzwälder Strohschuhe.“
Viktoria schiebt ihre kalte Hand in meine. Sie möchte noch weitere Gänge erkunden. Also führt uns Elisabeth Müller die Treppe hinunter und über eine weitere Wendeltreppe hinauf in einen anderen Stollen. Sie deutet auf einen Holzstamm, der die gegenüberliegenden Felswände im Schacht miteinander verbindet – ein Überbleibsel aus der Zeit, als es noch keine Wendeltreppe gab. „Die Kumpel mussten sich erst ihren Weg von unten durch den Berg nach oben bahnen. Hatten sie eine gewisse Höhe erreicht, befestigten sie Stämme. Darauf legten sie schräg abfallende Bretter, damit das Wasser von oben abfließen konnte.“ So hatten sie eine neue „Etage“, von der aus sie sich weiter durchs Gestein arbeiten konnten.
Doch endlich der ersehnte Schatz?
„Woher kommt eigentlich das viele Wasser?“, frage ich. „Über uns im Berg befindet sich ein Becken, in dem es sich sammelt“, sagt Elisabeth Müller, „das Wasser tropft und fließt das ganze Jahr.“ Dann hält sie ihre Leuchte an die Decke. Wir legen unsere Köpfe in den Nacken: Es glitzert und funkelt im Gestein. Doch endlich der ersehnte Schatz? „Nein, das ist Magnetkies“, antwortet die Bergwerksleiterin, die diese Stelle trotzdem besonders findet: „Für mich sieht das aus wie ein kleine beleuchtete Stadt.“
Mit diesem schönen Anblick endet unsere Führung. Wir klettern die Wendeltreppe hinunter und spazieren den Hoffnungsstollen entlang zum Ausgang zurück. Draußen im Eingangsbereich schließt die Leiterin das große Tor zum Stollen. Friederike breitet ihr Taschentuch auf dem Holztisch aus: Schwarze Steine, schroff und ungeschliffen wie der Berg, kullern auseinander. „Sind die nicht schön“, fragt sie. „Ich bringe meinen Freundinnen einen mit.“ Elisabeth Müller blickt ihr über die Schultern: „Jetzt bist du steinreich“, sagt sie und lacht.

Glück auf!
Das Besucherbergwerk in Todtmoos-Mättle ist familienfreundlich angelegt. Auch kleinere Kinder können sich mit Grubenhelm und Lampe auf Expedition durch die geheimnisvollen Gänge machen. Der 155 Meter lange Tiefstollen ist für Rollstuhlfahrer geeignet. Da es im Berg das ganze Jahr zwischen acht und 14 Grad Celsius hat und feucht ist, bitte warme Kleidung und gutes Schuhwerk anziehen. Helme gibt es vor Ort.
Öffnungszeiten:
Donnerstag, Samstag, Sonn- und Feiertag: 14 bis 16.30 Uhr
Auf Anfrage bietet die Tourist-Information Todtmoos Gruppenführungen an. Kontakt: Tourist-Information Todtmoos,
Tel. +49 (0) 7652/1206-30
todtmoos@hochschwarzwald.de
zum Schaubergwerk Hoffnungsstollen
Mit Schlägel und Eisen
Der Schwarzwald war schon in früherer Zeit als erzreiches Gebirge bekannt. In vielen Gegenden im Hochschwarzwald versuchten die Menschen ihr Glück und schlugen sich einen Weg in den Berg. Man vermutet, dass bereits Mitte des 12. Jahrhunderts im oberen Wiesental silberhaltiges Erz in größerem Umfang abgebaut wurde. Höher gelegene Siedlungen wie Todtnau, Todtnauberg oder Aftersteg verdanken ihre Entstehung maßgeblich dem Silbererzbergbau. Der mittelalterliche Bergmann war meist angesehen und genoss als gesuchte Fachkraft eine rechtliche und soziale Sonderstellung. Todtnau erzielte mit dem Silber erheblichen Wohlstand und verfügte als Filiale der Freiburger Münze über eine eigene Münzstätte. Das Wappen der Gemeinde – ein Bergmann mit Schlägel, Eisen und Fackel – zeugt bis heute von dieser Blütezeit. Auch St. Blasien verdankte seinen raschen Aufstieg und die wirtschaftliche Vorrangstellung im Südschwarzwald zu einem guten Teil dem Ertrag aus dem Silbererzbergbau. In Eisenbach, nordöstlich von Titisee-Neustadt, wurde mit Unterbrechungen von 1487 bis 1942 Brauneisenerz abgebaut – daher auch der Name der Gemeinde. Das Mineral Pyrolusit gehörte ebenfalls zu den Schätzen, die die Eisenbacher Kumpel zutage förderten. Es wurde in den Glashütten zur Herstellung von farblosem Schwarzwaldglas verwendet, das zuvor immer einen leichten Grünstich hatte.