Über dem mittleren Fall des Zweribachs, wo das Wasser rauscht und spritzt, führt eine eiserne Brücke.

Eine Wanderung am Zweribach

Uns zieht's hinab in den Urwald von morgen
17.05.2022

von Patrick Kunkel

Im Herrgottswinkel des Schwarzwalds gibt’s eine Ecke, die ist so wild, steil und urwüchsig wie kaum eine andere im Hochschwarzwald. Eine Wanderung durch den verwunschenen Bannwald am Zweribach – Klettern, Wasser, Abenteuer!

Frühling am Plattenhof: Ein lauer Wind streift über die vom langen Winter noch gelblich-grünen Weiden, am Himmel treiben Wolkenfetzen Richtung Kandelgipfel und am Waldsaum sieht man hie und da letzte weißbraune Flecken hartgebackenen Firns. Wir laufen auf einem kleinen Asphaltsträßchen, das in einen Schotterwerg mündet und kurz darauf zum schmalen Steig wird. Dann ein Schild. „Bannwald“ steht darauf: „Hier entsteht der Urwald von Morgen.“ Und eine Telefonnummer der Bergrettung. Dahinter krümmt sich der Pfad in steilen Schleifen zwischen kräftigen Baumstämmen den Hang hinab.

Abwärts!

Mit dem Bus sind wir in der Früh von St. Peter heraufgekommen. Um kurz vor zehn standen wir dann, die leichten Tagesrucksäcke auf dem Rücken, mitten im Wald auf der Kandelstraße. Neuwelt heißt der kleine Weiler und von dort aus stapften wir eine halbe Stunde lang bergan auf der kleinen steilen Straße. Keine Autos, dafür gluckerte der Glotterbach fröhlich in den vom Schmelzwasser noch satten Matten. Weit verstreute Einzelhöfe prägen die Kulturlandschaft hier oben, so wie sie es seit Jahrhunderten tun, nur dass die Walmdächer heute anstatt mit Schindeln oder Stroh mit Ziegeln gedeckt sind – und so manch eines trägt eine moderne Solaranlage. Über den Urgraben erreichten wir die Hochfläche, die Platte oberhalb von St. Märgen und St. Peter, die kurz hinterm aufgestauten Plattensee jäh ins Simonswäldertal abfällt. Und auch uns zieht's hinab in den „Urwald von Morgen“!

Hier krallen sich kleine Gütle an den Steilhang, hier rauscht der Zweribach ins Tal: „Eis und Schnee und Wasser haben da einen Dumpf, dort einen Ebel in den Hang gedrechselt und gehobelt, dass kleine runde See sich bildeten, von denen aber nur noch etwa ein Moos übrig geblieben ist. Auch im Zweribach haben Eis und Schnee und Wasser ihr Werk getan und ein wildes Tal in den Berg genagt; sie haben dem Berg das Fleisch ab den Knochen geschunden, dass die bluten Schrofen heute noch herausstehen.“ So hat der alte St. Märgener Förster Fritz Hockenjos in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts in einem kleinen Büchlein den Zweribach beschrieben: „Ein häldiges, steiniges Loch“, schrieb Hockenjos damals – und so ist es bis heute „im Zweribach da hinten“.

Hinter einem Holzsteg  verliert sich ein alter, aufgegebener Trampelpfad ohne Markierung im Gehölz, den kaum noch einer geht
Hinter einem Holzsteg verliert sich ein alter, aufgegebener Trampelpfad ohne Markierung im Gehölz, den kaum noch einer geht © Patrick Kunkel

Das Buch steckt in der Seitentasche des Rucksacks und wenn wir an einer besonders lauschigen Stelle rasten, ziehe ich es aus der Tasche und einer liest vor. Acht Gütlein hätten sich ab dem 16. Jahrhundert in der unwirtlichen Gegend angesiedelt. Als der Schwarzwald ringsum längst erschlossen und gerodet gewesen war, vergab das nahe Kloster St. Peter in seinem Gebiet Siedlungsrechte in den bisher wenig berührten Urwäldern des Zweren-und Wildgutachgebietes – an Osttiroler Holzfäller, die bis das Holz für die Eisenschmelze im Simonswäldertal schlugen, weshalb die steilen Hänge alsbald vom Wald entblößt dalagen. Das Leben war hart: „Die drunten am Bach sahen knapp eine Zaine voll Himmel über sich und mangelten die Sonne vier Monate im Jahr. Die droben an der Halde hausten in den Schrofen und mußten die Kinder anbinden, daß sie nicht hangab rollten.“

Heute ist der felsige Steig mit Geländern und an manchen Stellen mit Stahlseilen gesichert. Wir kraxeln den steilen Weg bergab, der entlang der zerfurchten Halde führt. Die Kinder lieben die Kletterpartie. Der Fels unter den Füßen ist glitschig und nass, umgestürzte Bäume rotten vor sich hin, riesige, nackte Wurzelteller ragen knorrig in die Luft. Eine große Tanne ist abgeknickt wie ein Streicholz, der tote Wipfel ruht auf moosigen Felsen. Über dem mittleren Fall des Zweribachs, wo das Wasser rauscht und spritzt, führt eine eiserne Brücke.

Der Fels unter den Füßen ist glitschig und nass, umgestürzte Bäume rotten vor sich hin, riesige, nackte Wurzelteller ragen knorrig in die Luft
Der Fels unter den Füßen ist glitschig und nass, umgestürzte Bäume rotten vor sich hin, riesige, nackte Wurzelteller ragen knorrig in die Luft © Patrick Kunkel

Die lichte Insel im Waldpelz

Dass der Wald wieder so „dicht wie ein dunkler, zottiger Pelz“ ist, haben wir auch dem alten Förster Hockenjos zu verdanken, der dafür sorgte, dass das Gebiet seit den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts von der Waldwirtschaft verschont blieb und 1970 sogar als Bannwald ausgewiesen wurde – wo Säge und Axt verbannt sind und alles der Natur überlassen ist. Manche der alten Güter sind im Lauf der Zeit verfallen, manche abgebrannt. Wir sehen Mauerreste im Wald, Haufen von Lesesteinen, die anzeigen, dass dort einmal Feld gewesen war. Auf einer lieblichen Lichtung mit Schutzhütte und Kapelle stand einst der Brunnenhof, ehe er 1984 – längst nur noch als Ferienhaus genutzt – abbrannte. Wir kraxeln wieder ein Stück bergan, über hohe Felsstufen und kleine Stege. Vom Hohwartsfelsen sehen wir weit übers hintere Wildgutachtal, ringsum wogt ein endloses Wäldermeer und ganz klein in der Tiefe liegt unser Rastplatz von vorhin, der Brunnenhof, als hellgrüne lichte Insel im dichten Waldpelz.

Lang war dieser Schwarzwald-Winter, so lang, dass jetzt noch, Ende April, die Wiesen rund um den Plattenhof mehr gelb als grün sind.
Lang war dieser Schwarzwald-Winter, so lang, dass jetzt noch, Ende April, die Wiesen rund um den Plattenhof mehr gelb als grün sind. © Patrick Kunkel

Einer zaubert roh geräucherte Burebratwurst, Speck, Käse und Brot aus dem Rucksack. Das Vesper schmeckt gut, aber auch gefährlich, so nah am Abgrund des Hohwartsfelsen. Hier herauf geht es nur über einen steilen Pfad, der am anderen wilden Bach dieses Tals entlangführt. Der Hirschbach, schreibt Hockenjos, „hat dem Zweribach vollends geholfen, das Loch zu zerwühlen und zu zernagen.“

Steil, schroff und wild

Es ist eine rechte Kletterpartie am Hirschbachfall, steil, schroff und wild. Hinter einem Holzsteg verliert sich ein alter, aufgegebener Trampelpfad ohne Markierung im Gehölz, den kaum noch einer geht. Doch weiter oben liegt versteckt ein Gutshof im Wald, auf einer Lichtung in den Steilhang gebaut. Schindeln, Walmdach und rundum Matten fürs Vieh – ein stattliches Haus, das heute den Namen des alten Försters trägt: Fritz-Hockenjos-Gut. Einst hieß es Geschwandersdobelgut und man kann es heute vom Badischen Familienferienwerk mieten. Wir erinnern uns an den vergangenen Winter, als wir dort mit Freunden, Kindern und Kegel bei Schneewehen, minus 15 Grad und zugefrorenen Leitungen saßen und den schönsten Winter seit langem hatten. Der Wanderweg im Hochwald war eine Loipe, der Zwerifall bizarr gefroren und die Nächte klar, sternenhell und eiseskalt, so dass man es kaum fünf Minuten draußen ausgehalten hat. Am Kapfenberg bauten wir am Tag eine Schneeburg – und genau da stehen wir jetzt wieder. Auf Gras, weil der Schnee längst weggetaut ist. Über uns spannt sich der blaue Himmel, die Luft ist frisch und rein, die Sonne wärmt. In der Ferne grüßt der Feldberg.

Auf einer lieblichen Lichtung mit Schutzhütte und Kapelle stand einst der Brunnenhof.
Auf einer lieblichen Lichtung mit Schutzhütte und Kapelle stand einst der Brunnenhof. © Patrick Kunkel

Du wirst du nicht fertig mit Schauen

Wir sitzen vor der Kapfenkapelle auf einer Holzbank. „Da liegen unter dem vorgewölbten unbewaldeten Kapf rechts und links auf der Hochfläche die beiden alten Klostersiedlungen St. Peter und St. Märgen, der Herrgottswinkel des Schwarzwalds, mit den Bauernhöfen, die zwischen Wald und Matten verstreut sind“ - so sah Fritz Hockenjos die Landschaft. Und so erscheint sie uns auch heute noch. Die Hochweiden zwischen den eingeschnittenen Tälern wellen sich lieblich und sind so viel sanfter und grüner als die Halden hinten im Loch des Zweribachs. In St. Märgen wartet schon der Bus – aber einfach ist es nicht, sich jetzt loszureißen und an den Abstieg zu machen, das wusste auch schon der alte Förster: „Da stehen die Leute aus der Stadt bei der Kapfenkapelle und werden so bald nicht fertig mit Schauen.“ Wie recht er doch hatte.

Mehr Informationen

  • Streckenwanderung am Zweribach
    Start: Neuwelt, St. Peter 
    Ziel: St. Märgen, Goldene Krone 
    Länge: 11,5 km 
    Aufstieg: ~370 m Abstieg: ~ 420 m 
    Route: Neuwelt, Plattenhof, Zweribachfall, Brunne, Hirschbachfall, Hohwartsfelsen, Gschwandersdobel, Kapfenkapelle, St. Märgen
  • Rundwanderung am Zweribach
    Start und Ziel: Plattenhof, St. Peter
    Länge: 7,5 km 
    Aufstieg und Abstieg: ~ 260 m
    Route: Plattenhof, Zweribachfall, Brunne, Hirschbachfall, Hohwartsfelsen, Gschwandersdobel, Jockenhof, Schönhöfe, Plattenhof
    Anfahrt: PKW
    Einkehr:
    Plattenhof, Tel: 07660 864 
    Café Goldene Krone, St. Märgen, Tel: 07669 9399988
  • Literatur, Infos und Karten:
    Fritz Hockenjos: „Wäldergeschichten. Aus dem Herrogttswinkel des Schwarzwalds,“ 3.Auflage 1994, Freiburg
    Freizeitkarte 505, Freiburg – Kaiserstuhl 1:50.000 ISBN 978-3-89021-598-3, 7,90 Euro