So muss das Paradies aussehen. Mit Plumpsklo.

Paradies mit Plumpsklo

"Ich will hier nie mehr weg!"
13.11.2014

von Patrick Kunkel

Ein Hüttenwochenende mit Kindern im Hochschwarzwald macht selbst bei Nebel und Nieselregen Spaß.

So muss das Paradies aussehen: Kein elektrisches Licht, kein warmes Wasser. Keine Heizung, kein Kühlschrank. Aber dafür ein Plumpsklo. Gekocht wird auf dem gusseisernen Holzherd. Und gewaschen wird sich mit eiskaltem Wasser aus dem Brunnen.

Waldau - so sieht's auch aus!

Komisch, vor gut fünfzig Jahren lebten nicht wenige Menschen im Schwarzwald noch genau so. Und sie setzten alles daran, möglichst schnell den alten Holztisch gegen einen schönen neuen mit Resopalplatte zu ersetzen. Den Ofen rauszuwerfen und eine Ölheizung einzubauen. Endlich ein Klo mit Wasserspülung zu bekommen. Einen Fernseher. Kurzum: Mehr Wohlstand, weniger Hütte.

Für meine zentralheizungsverwöhnte Wohlstandsfamilie der Gegenwart gibt es dagegen nichts Schöneres, als ein Wochenende in einer einsamen Holzhütte mitten im Wald – auch wenn das heute bei der Abfahrt in Freiburg gar nicht danach aussieht: „Muss das wieder sein, eine Hütte? Das ist doch sooooo langweilig,“ sagt meine Tochter Mila. „Das Klo stinkt so“, mault Maj. „Außerdem regnet es“, bemerkt Meret.

Es duftet nach Räucherkammer und durch kleine Fenster mit kleinkarierten, blauweißen Vorhängen fällt schummriges Licht.
Es duftet nach Räucherkammer und durch kleine Fenster mit kleinkarierten, blauweißen Vorhängen fällt schummriges Licht. © Patrick Kunkel

Eine halbe Stunde später biegen wir von der B500 ab, bei Waldau – und so sieht es hier auch aus: Viel Wald und erst ein kleines Sträßchen, das sehr schnell sehr schmal wird. Und steil. Und dann im Wald verschwindet. Aus Asphalt wird Schotter. Aus Schotter werden Schlaglöcher und um Schlaglöcher wachsen schließlich kräftige Wurzeln herum. Einmal die Stichstraße herabgeholpert – sind wir überhaupt noch richtig? - und da ist es schon, unser Traumdomizil für die nächsten Tage. Nebel wabert zwischen den Bäumen, es nieselt.

Das ist es. Das Paradies.

Ein kleines, solides Holzhäuschen steht vor uns auf einer Waldlichtung, das Schindeldach ist auf einer Seite mit Moos bewachsen, vor der Tür sprudelt ein Brunnen. Ein paar Kühe von der Weide nebenan kommen vorbei und, ja, und was? Grüßen? Gucken? Wer weiß. Und auch die Sonne lässt sich wieder blicken und blinzelt zwischen den Baumwipfeln hervor. „Kinder“, will ich sagen: „Ist doch gar nicht so schlimm. Ist doch eigentlich ganz . . .“ Aber sie sind schon weg. Alle drei. Drinnen. Entdecken.

Die Hütte besteht aus einem größeren Raum mit zwei mächtigen Holztischen drin und einer soliden Bank entlang der Wand. Im Eck steht ein eiserner Herdofen, das Holzregal daneben ist voller Kochutensilien und Geschirr. Die Deckenbretter sind schwarz gebeizt vom Holzrauch aus dem Herd, es duftet etwas nach Räucherkammer und durch drei kleine Fenster mit kleinarierten, blau-weißen Vorhängen, fällt schummriges Licht.

„Ich will hier nicht mehr weg, nie wieder“, sagt meine jüngste Tochter Maj.
„Ich will hier nicht mehr weg, nie wieder“, sagt meine jüngste Tochter Maj. © Patrick Kunkel

Im Raum nebenan befinden sich vier Hochbetten – und meine drei Töchter, die schon voll damit beschäftigt sind, sich häuslich einzurichten: „Ich will hier nicht mehr weg, nie wieder“, sagt meine jüngste Tochter Maj. Und dabei sind wir doch gerade erst seit zwei Minuten hier. Wochenende gerettet und die alte Weisheit bestätigt: Egal ob Wanderung, Schneeschuhtour oder Hüttenurlaub; erst wird gequengelt und dann doch alles toll gefunden!

„Wo ist das Klo?“ kreischt Meret. Und sogleich verschwinden die Kinder in den Wald Richtung Plumpsklohäuschen. Das ist aus Holzbrettern gezimmert und hat keine Tür, dafür aber eine tolle Aussicht mitten ins Walddickicht hinein – wie romantisch. Draußen hängt ein Holzschild: „Frei“ steht auf der einen, „Besetzt“ auf der anderen Seite.

Bereit für die Hüttensause?

Drinnen in der Hütte verstauen wir Erwachsenen derweil den Proviant – einen dicken Laib Bauernbrot, Speck, Käse, Butter, Mehl – was man so braucht für ein paar Tage Abgeschiedenheit. Draußen nieselt es wieder. Den Kindern ist das herzlich egal. Es gibt da ja noch einen Hochsitz, der erklommen, eine Kuhweide, die überquert und ein Bach, der durchwatet werden will. Unter den Tannen und Fichten ringsum wächst ein riesiger Teppich aus Heidelbeerpflanzen, daneben Walderdbeeren und Himbeeren. Nach einer halben Stunde ist eine große Schüssel zusammengekommen – das Dessert für den Abend. Und drei Kinder strecken mir sechs mit Beerensaft lila und rot verschmierte Kinderhände entgegen. Dann noch Holz gesammelt für das Lagerfeuer am Abend, und die Hüttensause kann beginnen.

Kerzenlicht erhellt den Raum, doch das orangefarbene Flackern dringt nicht in jeden Winkel vor.
Kerzenlicht erhellt den Raum, doch das orangefarbene Flackern dringt nicht in jeden Winkel vor. © Patrick Kunkel

Unser Häuschen gehört einem Verein namens Badisches Familienferienwerk, der im gesamten Südschwarzwald 20 solche kleinen Hütten und ein paar größere ehemalige Bauernhöfe an ihre Mitglieder vermietet. Vor ein paar Jahren, ehe Magazine wie Landlust damit begannen, die Segnungen des einfachen Landlebens gegen die Schwermut in den Ballungszentren zu propagieren, konnten wir Mitglied im Badischen Familienferienwerk werden – heute ist das schwieriger, es gibt eine lange Warteliste und zwischen der Anfrage und der Aufnahme als Mitglied können Jahre vergehen.

Inspiriert von wem? Dem Hockenjos natürlich!

Es ist ein spezielles Völkchen, das sich hier oben in den Wäldern zusammenfindet: In den Wandregalen steht Schwarzwälder Erbauungsliteratur – „Waldfacetten“ etwa oder die „Wäldergeschichten“ von Fritz Hockenjos. Das Büchlein wiederum ist eine Art Bibel in diesen Hütten, denn dessen Autor Fritz Hockenjos war nicht nur sein Leben lang Förster von St. Märgen, das ganz nah von hier liegt. Sondern er hatte in der Nachkriegszeit auch das Badische Familienferienwerk aus der Taufe gehoben. Sechs Hütten besaß der St. Märgener Forst damals und Hockenjos wollte eine davon den Förstern und Jägern vorbehalten, eine weitere für die Jugend des Schwarzwaldvereins, dessen Präsident er war. Und die anderen wollte er für Familien öffnen. Gute Idee, finden wir!

Lange bevor es dämmert, verschwindet draußen das Bergpanorama: Dicke, schwarze Wolken wälzen sich über die bewaldeten Kuppen heran, kurz darauf gießt es und wir lassen das lieber mit dem Lagerfeuer. Statt Stockbrot gibt es eben Pfannenbrot. Und Würstchen vom Herd sind auch lecker. Bald knistern die Holzscheite im Herd und heimelige Wärme breitet sich aus. Kerzenlicht erhellt den Raum, doch das orangefarbene Flackern dringt nicht in jeden Winkel vor. Einige Ecken bleiben düster – die richtige Zeit für Gruselgeschichten. Und für die Mäuse, die Nachts hinter den Holzwänden hin und herhuschen. Man hört sie rascheln und knistern. Auf der Hütte ist man eben nie allein.

So muss das Paradies aussehen. Mit Plumpsklo.
So muss das Paradies aussehen. Mit Plumpsklo. © Patrick Kunkel

Zwei Tage später sind wir mit Haut und Haaren in der Hüttenexistenz angekommen. Wir riechen wie echte Hochschwarzwälder Räucherwürste, die Klamotten sind voller Sägespäne und die Schuhe nass. Man muss das mögen. Wir mögen es. Ein typischer Hüttentag Tag fängt mit Holzhacken an. Sodann: Anheizen und wenn die wuchtige Eisenplatte des Herds heiß genug ist: Kakao und Kaffee kochen, Frühstücken und zuletzt am eiskalten Brunnen waschen. Dann die schweren Wanderschuhe an sechs Kinder- und zwei Erwachsenenfüße. Jacken übergezogen – und raus in den Nebel. Wer glaubt, dass man bei Dunst und Nieselregen keinen Spaß haben kann, irrt. Auf einem schmalen, glitschigen Wurzelsteig stapfen und rutschen wir bergab Richtung Glashütte durch das zottige und triefende Grün. Es plätschert und tropft, sonst ist es ist ganz ruhig hier im Bergwald. Ab und an kreischen Vögel, irgendwo knackt etwas. Ein Bach rauscht. Ruhe. Maj läuft neben mir, die dunklen Schatten der anderen verlieren sich im Nebel zwischen den Baumstämmen: „Das ist so schön gruselig hier“, findet Maj.

Wir stapfen weiter. Als sich der Nebel verzieht, tauchen auf dem Weg vor uns ein paar Schafe und Ziegen auf. Fast so wie im Schwarzwald-Bilderbuch. Nur schöner. Und riechen tun die Viecher . . . Wir aber auch! Ob sie deshalb so schnell weglaufen?