Bier gibt Kraft
Das Etikett weckt Erinnerungen an die gute alte Zeit. Eine fröhliche junge Frau mit roten Bäckchen trägt ein rotes Mieder und eine gestärkte blaue Haube, in den Händen hält sie zwei Biergläser, hinter ihr hängen sieben Tannenzapfen. Das Etikett stammt aus dem Jahr 1972, als in Baden-Württemberg Hans Filbinger von der CDU noch Ministerpräsident war, die Polizei in beige und grün gekleidet war und Vertriebsmitarbeiter klagten, dass sie außerhalb von Baden-Württemberg kaum Abnehmer finden.
Längst reagiert ein grüner Ministerpräsident im Ländle, sind die Polizeiuniformen blau und fließt das Bier mit dem Schwarzwaldmädchen auch durch durstige Kehlen außerhalb des Schwarzwaldes. Das Tannenzäpfle Bier aus der Rothaus Brauerei in dem gleichnamigen Ortsteil der Gemeinde Grafenhausen macht weder Fernseh- noch Radiowerbung und ist trotzdem in Großstädten wie Hamburg, Frankfurt und Berlin zum Kultbier avanciert. Etwa 80 Prozent des Umsatzes werden aber nach wie vor in Baden-Württemberg gemacht.
Darüber freut sich auch der baden-württembergische Finanzminister. Denn die Brauerei auf 1.000 Meter Höhe, die 1791 gegründet wurde, gehört zu 100 Prozent dem Land und das gut 200 Mitarbeiter zählende Unternehmen zahlt eine zweistellige Millionendividende an seinen Eigentümer. Aufsichtsratschef ist Minister Kretschmann.
Biergit Kraft!
Das Trachtenmädchen mit dem Bier ist in die Jahre gekommen. Seit über
40 Jahren prangt es auf den Flaschen. Und doch wirkt es ganz und gar nicht altbacken, sondern jung und frisch wie eh und je. In Zeiten, in denen alles immer schneller, höher, mehr und billiger sein soll, wirkt diese Beständigkeit sehr beruhigend und authentisch. Und sie passt zur Philosophie der Brauerei, generell keine Angaben über die verkauften Biermengen zu machen. Besonders treue Tannenzäpfle-Trinker haben der Frau auf dem Etikett in den 90er Jahren sogar einen Namen gegeben: Biergit Kraft. Der Name leitet sich ab von dem alemannischen Ausdruck „Bier git Kraft“, Bier gibt Kraft.
Geschaffen hat das Etikett der Grafikdesigner Roland Jenne. Der gebürtige Freiburger, damals 32 Jahre alt, hatte in München eine Schriftsetzerlehre gemacht und in Basel Design studiert und sich nach einigen Jahren als Artdirector einer Werbeagentur selbständig gemacht.
erinnert sich Jenne, dessen Haar und Bart mittlerweile weiß sind. Jenne sitzt im Gasthaus Birke in Kirchzarten, das sein Sohn und die Schwiegertochter führen, wo er ein gern gesehener Gast ist. Rothausbier findet sich aber hier nicht auf der Karte.
Als sein Sohn das Lokal übernahm, gab es schon einen Vertrag mit einer anderen Brauerei. Jenne ist ohnehin kein großer Biertrinker. „Aber“, sagt er und hebt den Zeigefinger, „wenn ich Bier zu Hause habe, dann Rothaus“.
Die Idee gab es schon
Dass sein Entwurf noch heute auf den Flaschen prangt und der langlebigste aller seiner Entwürfe ist, darauf reagiert Jenne gelassen.
Jenne hat damals nicht das Rad neu erfunden. Er orientierte sich an dem Etikett im Stil der 1920er Jahre, das es vorher gab, eine Hochschwarzwälderin mit kantigem Gesicht und strenger Backenhaubentracht, in den Händen zwei gefüllte Biergläser, im Hintergrund das Brauereigebäude und Tannen. Als Kind hat Jenne oft mit seinem Vater Ausflüge zum Schluchsee, zum Feldberg und nach Bonndorf unternommen und dabei viele Trachten gesehen, die damals noch allgegenwärtig waren. „Ich habe die Farbe und die Schrift geändert“, erzählt er weiter, „und eine Kopfleiste mit hängen Zapfen gestaltet“.
Natürlich weiß Jenne , der gern mit einem Skizzenblock in der Natur unterwegs ist, dass Tannenzapfen auf dem Zweig stehen. Ganz nüchtern betrachtet ist das auch so. Dass er sie trotzdem hängend gezeichnet hat, hat eine simple Erklärung: „Sie hätten dann phallisch in den Bereich der Schwarzwälderin hineingereicht mit dem wahrscheinlichen Ergebnis, dass der Volksmund das Bier zum Aphrodisiakum gestempelt hätte.“ Beim Trinken, wenn die Flaschen auf dem Kopf stehen, bekommt die Natur ohnehin wieder recht.
Eine kleine Veränderung muss sein
„Es gibt Leute, die sagen, das Etikett sei altmodisch“, sagt Jenne. „Tracht ist immer altmodisch“, entgegnet der Grafikdesigner. Jenne, der noch immer Aufträge für die Rothaus Brauerei übernimmt, weiß, wann das funktioniert. „Wenn es gut ist, bleibt es.“ Dass sein Enwurf bis heute Bestand hat, auch dafür hat er eine simple Erklärung: „Weil das Etikett richtig ist und Signifikanz hat.“
Ein ganz klein wenig wird sich das Etikett aber doch verändern. Um neuen gesetzlichen Kennzeichnungsverordnungen nachzukommen, hat die Brauerei beschlossen, die erforderlichen Angaben auf ein Etikett auf der Flaschenrückseite unterzubringen. So hat Birgit Kraft die gesamte Vorderseite für sich und ihr Bier.
Roland Jenne ist überzeugt, dass sein Etikett ihn überleben wird. „Das hält noch hundert Jahre“, sagt er.