Der Mythos um das Kolmen- Wible
Der Kolmen ist nicht nur ein fünf Hektar großer bewaldeter Rücken auf den Höhen über Titisee-Neustadt, an der Wasserscheide zwischen Rhein und Donau, wo es sich wunderbar wandern lässt. Dort, wo der 250 Seelen zählende Ort Schwärzenbach liegt, dort, wo der Wald immer dunkler wird, kann es passieren, dass einem seltsame Dinge widerfahren.
Eine alte Schwarzwälderin, Maria, kann gleich mehrere Begebehheiten erzählen, die nicht ihr, aber Verwandten geschehen sind. Ihrem Enkelsohn ist auf dem Kolmen einmal das Moped ausgegangen, einfach so, als er durch den Wald fuhr. Ihre Schwester Hedwig hat sich einmal verirrt, obwohl sie mit der Gegend bestens vertraut ist. Das Pferd eines Knechtes, der auf dem Hof arbeitete, auf dem sie aufgewachsen ist, hat auf dem Weg von Eisenbach nach Hause auf einmal heftig zu schwitzen begonnen und war nicht mehr zum weiterlaufen zu bewegen. „Das wird alles dem Kolmen-Wible in die Schuhe geschoben“, sagt die Schwarzwälderin mit einer Stimme, die zwischen Ehrfurcht und Ungläubigkeit klingt.
Die Streiche des Kolmen-Wible
Das Kolmen-Wible ist eine der zahlreichen Sagen- und Mythengestalten, die in den dunklen Wäldern und tiefen Tälern des Schwarzwald und auch in den Köpfen der Menschen ihr Unwesen treiben. Das Bergweibchen soll Wanderer foppen, sie in die Irre leiten, dafür sorgen, dass sie nach stundenlangem Umherlaufen wieder an der gleichen Stelle ankommen, an der sie vom Wege abkamen, oder eine völlig andere Richtung einschlagen.
Wer nun über den Kolmen wandert und hofft, das Kolmen-Wible zu sehen, muss wissen, dass das nur wenige Menschen können, nur die sogenannten Quatemberkinder. So werden Menschen genannt, die in den Fronfastenwochen geboren sind. Quatember sind die Wochentage, die ungefähr mit dem Beginn der vier Jahreszeiten zusammen fallen. Nach dem Volksglauben verfügen Quatemberkinder über eine besondere Verbindung zur Welt der Geister und übersinnlichen Erscheinungen.
Die, die dem rätselhaften Wesen begegnet sind, beschreiben es als kleine, gedrungene Gestalt mit einer Hutte – einem Tragkorb – auf dem Rücken, und einem langen Stock in der Hand. Sie trägt die Tracht der Gegend um Sankt Märgen: eine kurze Jüppe, einen Rock und eine dreifarbige unten vorstehende sogenannte B'lege, ein Besatz an Frauenröcken.
Der Obervogt und das Wible
In dem 1846 erschienen „Badischen Sagen-Buch“ wird eine Begebenheit mit dem Kolmen-Wible erzählt. Der Obervogt von Neustadt ritt an einem nebligen Herbstmorgen über den Kolmen. Er trug lederne Handschuhe und um eine Prise Tabak aus der Dose nehmen zu können, zog er den rechten Handschuh aus und wollte ihn unter den linken Arm klemmen. Doch der Handschuh fiel hinunter. Als der Vogt vom Pferd steigen wollte, sah er eine kleine weibliche Person eilig auf ihn zukommen und rief ihr zu: „He Weible, sei so gut und hebe mir gegen eine Belohnung meinen Handschuh auf!“ Doch das Weible ignorierte ihn. „Dieses bleibt, beide Hände auf den Stock gestützt und auf diese das Kinn legend, unbeweglich und starr ihn anblickend, stehen.“ Als sie auch das angebotene Sechskreuzerstück ignorierte, begann der Obervogt zu fluchen.
Im Nu verlängerte sich die Gestalt des Kolmen-Wible um das Doppelte und verschwand im Wald. Der Obervogt musste den Handschuh selbst aufheben und sein Pferd ließ ihn nicht mehr aufsitzen, so oft er es auch versuchte. Er musste seinen Weg zu Fuß fortsetzen und nach einiger Zeit merkte er, dass er das Ende des Waldes nicht finden konnte und er sich wieder an der gleichen Stelle befand, an der ihm das seltsame Weiblein begegnet war.
In Schwärzenbach, wo es im Wald auch eine Quelle namens „Kolmenbrünnele“ gibt, findet sich das Kolmen-Wible gleich 39 Mal. Es sind die Mitglieder des Fasnetvereins „Kolmewiber“. Ausschließlich Männer verbergen sich hinter den Holzmasken einer pausbäckigen, listig dreinschauenden alten Frau und tragen eine blaue Arbeitstracht. In der Satzung des Vereins ist festgeschrieben, dass nur volljährige Männer das Kostüm tragen und die Menschen narren dürfen.