Alte Kuckucksuhr aus Holz

Die “Schwarzwald-Engländer“

Schwarzwälder Uhrenhändler machten einst erfolgreich „Bisnis“ in England
17.11.2017

von Heidi Knoblich

Vor langer Zeit gingen Männer aus dem Schwarzwald mit prächtig bemalten Uhren auf dem Rücken über Berg und Tal. Sie waren Uhrenhändler und verkauften ihre Uhren in den großen Städten wie Freiburg oder Straßburg. Viele von ihnen zog es auch in die weite Welt hinaus. Wenn man sie fragte, wohin sie reisten, sagten sie alle: „Ins Uhrenland!“. Das Uhrenland war jedoch auf keiner Weltkarte zu finden. Es war immer genau da, wo sie ihre Uhren verkauften – in ganz Europa, bis hin nach Amerika, Australien, nach Russland und in die Türkei.

Unter all den vielen Schwarzwälder Uhrenhändlern hoben sich diejenigen besonders hervor, die im 19. Jahrhundert in England ansässig wurden. Der Volksmund nannte sie „Schwarzwald-Engländer“, eine Bezeichnung, die sich in den Uhrmachergebieten bis in unsere Tage gehalten hat und besonders für St. Märgen gilt. Aus diesem alten Uhrendorf zog es besonders viele Uhrenhändler nach England, insbesondere nach Manchester, Oxford, Cambridge und natürlich nach London, denn London war seinerzeit das wichtigste Handelszentrum überhaupt und die größte Stadt weltweit.

In einem Bericht über den Schwarzwälder Uhrenhandel im „Uhren-Gewerbsblatt aus dem Jahr 1848 ist vermerkt, „dass jeder fähige junge Schwarzwälder oft schon als Schulerknabe vor Verlangen brannte, seiner Zeit auch ein Uhrenhändler zu werden, teils um sich selbst ein schönes Fortkommen zu erschaffen, teils um arme Eltern unterstützen zu können und jüngeren Brüdern den Weg zu bahnen zu einer gleich schönen Wirksamkeit. Heimkehrende Uhrenhändler, die gute Geschäfte gemacht hatten, wurden bestürmt von jüngeren Brüdern, oder von jungen Vettern, um sie mitzunehmen auf den Uhrenhandel. Nicht selten zahlten Fremde eine beträchtliche Summe hierfür.“

Links: Uhrengeschäft Spiegelhalter, rechts: Josef Weber, St. Märgen
Links: Uhrengeschäft Spiegelhalter, rechts: Josef Weber, St. Märgen © Klaus Hog, St. Märgen

Die Uhrenhändler hatten in bedeutenden Städten ihre Niederlassungen. Von hier aus boten sie zunächst als fliegende Händler in einem Umkreis von 10 bis 30 Stunden ihre Ware an. Ihre „Wooden Black Forest Clocks“ waren gut und preiswert, denn sie waren in der Regel vollständig aus Holz. Das machte sie konkurrenzfähig. Doch der Handel war hart, und die Arbeit musste trotz aller Widrigkeiten, trotz schlechten Wetters, langer Wege und schlammigen Untergrunds, trotz nassen Strümpfen und wehen Füßen getan werden. Die Einführung von teuren Hausierscheinen in den 1840er Jahren erschwerte den Handel zusätzlich. Dennoch gelang es vielen, in England ihre Geschäfte und Werkstätten aufzubauen und Uhren aus der Heimat einzuführen. Viele von ihnen betrieben ihr Geschäft über mehrere Generationen. Um das Jahr 1840 war in fast jeder Londoner Straße ein Schwarzwälder mit Uhren auf dem Rücken anzutreffen. Schon zwanzig Jahre später lebten rund tausend von ihnen allein in London. Schwarzwälder Namen wie Löffler, Wehrle, Hummel, Schwär und Spiegelhalter sind zum Teil, oft der englischen Schreibweise angepasst, heute noch in England verbreitet, denn fast alle Personen, die im Laden, in der Werkstatt und im Haushalt eines Schwarzwälder Uhrenhändlers oder Uhrmachers beschäftigt waren, stammten aus dem verwandtschaftlichen Umkreis des jeweiligen Inhabers – aus dem Schwarzwald. Zwischen England und dem Schwarzwald fand ein reger Austausch statt: Uhrenladungen enthielten zerhackte Wacholderstauden aus der Heimat zur Herstellung heilender Fußbäder und Cegokarten für den sonntäglichen Zeitvertreib. Angeheiratete englische Frauen lernten im Schwarzwald die Herstellung von „Noodles“ und „Knödels“ und die Schwarzwälder machten anstatt Geschäfte „Bisnis“ (Business). Statt einer Jacke trugen sie einen „Sweater“.

Hochzeiten und Taufen wurden meistens im Schwarzwald gefeiert oder in der Deutschen Katholischen Kirche St. Bonifaz in Whitechapel, dem Zentrum der Schwarzwälder Einwanderergemeinde in London.

In England fielen die Schwarzwälder durch ihr Understatement auf. Hier lebten sie äußerst einfach und sparsam, um später in der Heimat mit ihren Ersparnissen ein Hofgut oder ein Wirtshaus erwerben zu können. Noch heute zeugen extravagante Gebäude im Schwarzwald vom einstigen Reichtum der Heimkehrer. Dem seinerzeit ungastlichen Schwarzwälder Winter zogen sie, wenn sie es sich leisten konnten, das mildere Freiburg vor und brachten ihr Kapital und ihre Kenntnisse als Packer oder Wirt ein. Im Auftrag der Uhrenhändler packten sie jeweils Hunderte von halbfertig montierten Uhren und deren Zubehör in große Kisten und brachten diese auf voll beladenen, von Sechsspännern gezogenen, Fuhrwerken per Land- und Seefracht zum Versand. Ihre Wirtshäuser fungierten als Börse. Hier, wo Uhrenhändler oft in mehreren Sprachen redeten und für weltstädtisches Flair sorgten, gab es regen Informationsaustausch und wurden Geschäfte abgeschlossen. Diese Packer stimmten die internationale Nachfrage und das lokale Angebot aufeinander ab. Im Vergleich zu den Uhrmachern, die nur sonntags zur Kirche und dem anschließenden Besuch des Wirtshauses ihre Werkbank verließen, machten sie hohe Gewinne. So manch einer in England wundert sich noch heute, dass die Kontrolleure der englischen Industriestädte ihre Zeitmesser von einer bäuerlichen Region bezogen, in der die Menschen mit den Hühnern aufstanden und wieder schlafen gingen.

Andreas Fehrenbach, St. Märgen
Andreas Fehrenbach, St. Märgen © Klaus Hog, St. Märgen

Den Begriff „Schwarzwald-Engländer“ verdanken die zurückgekehrten Schwarzwälder ihrem typisch „englischen“ Erscheinungsbild. Selbst in ihrer alten Heimat hielten sie noch an den aus England mitgebrachten Sitten und Umgangsformen fest. Von weitem schon waren sie an ihrem zurückhaltenden, vornehmen Wesen zu erkennen, was sie durch korrekte Kleidung und eine wertvolle Taschenuhr in ihrer Westentasche noch unterstrichen. Ihre Frauen hoben sich durch gediegenen Granatschmuck als „Engländerinnen“ hervor und zelebrierten regelmäßig ihre Tea Time, bei der sie sich ausschließlich in der englischen Sprache unterhielten. 

Gut zu wissen

Klappentext Kinderbuch „Xaver im Uhrenland – Weihnachten bei den Schwarzwald-Engländern“ von Heidi Knoblich:

Xaver aus dem Schwarzwald will Uhrenhändler in London werden, ein Schwarzwald-Engländer wie Onkel Johann. Hirtenjungen können aber keine Uhrenhändler werden, sagen die zurückgekehrten reichen Händler, die beim Kronenwirt von ihren Abenteuern im Uhrenland erzählen. Doch eines Tages nimmt ihn Onkel Johann als Gehilfen nach London mit. Der Vater hat aber eine Bedingung: Bis Weihnachten muss Xaver beweisen, dass er für den Uhrenhandel taugt, sonst muss er daheim wieder Kühe und Ziegen hüten. Schnell lernt er, Uhren zu verkaufen und zu reparieren. Doch dann passiert ihm vor Weihnachten ein großes Missgeschick. Ob ihm Vicky, deren Schwarzwälder Großvater ein Uhrengeschäft an der London Bridge besitzt, aus der Not helfen kann? Eine Geschichte über Heimweh und Freundschaft im weihnachtlichen London in der Zeit von Queen Victoria.

Mehr Informationen zum Buch erhalten Sie auf der Webseite von Heidi Knoblich.