Egal ob Frühling, Sommer, Herbst oder Winter, Fasnet in unserem Herzen ist immer Fasnet.

Meister der Masken

Holzbildkunst für die schwäbisch-alemannische Fastnacht
15.10.2020

von Freya Pietsch

In Lenzkirch fertigt Holzbildhauer Robert Stoll Masken für die schwäbisch-alemannische Fastnacht. So, wie es sein Vater bereits getan hat. Eine Geschichte über Familientraditionen, Handwerkskunst, eigene Wege – und einen Geist.

Holzmasken mit überraschendem Inhalt

„Schauen Sie mal, was ich entdeckt habe!“ Robert Stoll steht in seiner Werkstatt und greift nach einer Holzmaske. Eine rotwangige Fratze mit hervorstehenden Zähnen und braunem Filzhut grinst uns entgegen. Es ist der Dengele, die Fastnachtsfigur der Lenzkircher Narrenzunft. Sein Vater Heiner hat die erste dieser Art 1951 entworfen und geschnitzt. Das Exemplar, das Stoll jetzt in den Händen hält, ist lädiert, die Farbe zerkratzt, der Fuchsschwanz am Hut baumelt zerfetzt herunter. Der Holzbildhauermeister soll die Larve, wie die Masken im süddeutschen Raum auch genannt werden, restaurieren und wieder in neuem Glanz erstrahlen lassen. Aber darauf möchte der 64-Jährige jetzt nicht hinaus. Er dreht die Maske um, greift von hinten in den Hut hinein und zieht – als krame er im Gedächtnis des Dengele – ein vergilbtes Zeitungsblatt heraus. „Es ist aus dem Jahr 1960“, freut er sich und breitet es auf dem Tisch aus. Irgendjemand hat es damals hineingestopft – vielleicht, um dem Hut eine bessere Form zu geben.

Holzbildhauer Robert Stoll.
Holzbildhauer Robert Stoll. © Freya Pietsch

Überall lagen Masken herum

Die Zeitung ist ein Zeugnis aus Stolls Kindheit und der Zeit, als die Hochschwarzwälder Larvenschnitzerei einen Höhepunkt erlebte. Damals stapelten sich in der Werkstatt des Vaters die Aufträge. Heiner Stoll war ein gefragter Künstler im süddeutschen Raum. „Überall lagen Masken herum. Und Sägespäne: So viele, das können Sie sich gar nicht vorstellen.“ Hier, im Duft von Holz und Leim, hielt sich „s’Bobbele“, wie der Jüngste von fünf Geschwistern vom Vater genannt wurde, gerne auf. „Die Werkstatt war unser Spielzimmer.“ Schnitzeisen, Hammer, Farben, Masken, die Nähe des gutmütigen Vaters: „Hier gab es alles, was man als Kind brauchte.“

Ein Dengele schnitzt er im Schlaf

An der Werkbank in der Ecke spannt Robert Stoll einen ovalen Holzklotz ein. In der Mitte ist ein kleineres Stück Holz aufgeleimt: Es soll die Nase werden und ist das einzige Zugeständnis, das der Künstler macht, um sich die Arbeit zu vereinfachen. Ansonsten haut und schnitzt er die Dengele-Larve – wie schon sein Vater – aus einem einzigen Stück Lindenholz heraus. Zack. Mit Schwung landet der Hammer auf dem Schnitzeisen. Späne fliegen, ein Stück bricht ab. Routiniert arbeitet Stoll die groben Konturen einer Nase heraus, redet dabei, lacht. Von Kindesbeinen an kennt er diese Arbeit. „Ja klar, mussten wir als Heranwachsende mithelfen. Mit den Masken hat’s ja immer pressiert. Einen Dengele schnitze ich Ihnen im Schlaf.“

Handwerkskunst bei Robert Stoll.
Handwerkskunst bei Robert Stoll. © Freya Pietsch

Wie soll die neue Fastnachtsfigur aussehen?

Als Heiner Stoll die erste Dengele-Maske entwarf, war Robert noch nicht geboren. Die Mitglieder der Lenzkircher Narrenzunft, die sich 1949 nach dem Krieg frisch formiert hatte, wünschten sich eine neue Fastnachtsfigur. Doch welche ortstypische Gestalt sollte dem Schnitzmeister als Vorlage dienen? Mit dem Dengele-Geist, der in einer Erzählung des alemannischen Heimatdichters Johann Peter Hebel 1820 erstmals schriftlich auftauchte, wurde man fündig. Jeder in der Gegend kannte ihn vom Hörensagen. Seit Generationen erzählte man sich rund um den Feldberg, dass ein Geist in den Tälern herumgehe. Bauern wollten gehört haben, wie er „dengelte“, also seine Sense mit dem Hammer schliff. Sprachen sie schlecht über ihn, spielte der Dengele ihnen Streiche. Mal trieb er Kühe in den Wald, mal brachte er schlechtes Wetter. Aber er war auch hilfsbereit, half beim Mähen und beim Einbringen der Ernte.

Eine Holzmaske mit 2 Gesichtern

„Mein Vater war als Holzbildhauer eng mit der Region verbunden. Er war Gründer des Heimatvereins und kannte sich gut mit den Geschichten aus.“ Auf jeden Fall muss er von den zwei Gesichtern des Geistes gewusst haben, denn in seiner Maske arbeitete er beide meisterhaft heraus. So sind beim Dengele freundlich-verschmitzte Züge zu erkennen, aber auch böse und listige, wenn man die Maske aus dem Profil von einer Seite betrachtet.

Schleifen der Masken war wie Sträflingsarbeit

Robert Stoll legt Holzhammer und Schnitzeisen beiseite und setzt sich auf einen Stuhl. In seinen Schoss bettet er eine andere Holzmaske, eine freundliche Frauenlarve, die mit dicker Knollennase, Pausbacken und einem breiten Grinsen fast fertig ist. Sie muss geschliffen werden. Als Kind hat er das nie gemocht. „Eine Sträflingsarbeit war das. Ich habe immer geschaut, dass ich Land gewinne“, schmunzelt Stoll. Der Vater, der große Stücke auf Robert hielt, nahm es ihm nicht übel, auch nicht, als dieser nach der Schule zunächst einen anderen Beruf erlernte und Vermessungstechniker wurde. In einer Familie, in der schon Urgroßvater, Großvater, Onkel und Bruder Schnitzer oder (Holz-)Bildhauer waren, war dieser Schritt etwas Besonderes.

Eine fertige Larve der Grafenhausener Galgenvögel.
Eine fertige Larve der Grafenhausener Galgenvögel. © Freya Pietsch

Holzbildhauer aus Familientradition

Doch wirklich losgelassen hat Robert Stoll die Schnitzkunst nie. Als sein Vater krank wurde und 1984 starb, sprang er, der sich schließlich doch noch hatte zum Holzbildhauer ausbilden lassen, ein und erfüllte liegengebliebene Aufträge. Er arbeitete eine Zeitlang als Künstler, nahm dann eine Stelle bei der Gemeinde an, um das Einkommen zu sichern. In seiner Freizeit restaurierte er weiter alte Larven seines Vaters oder fertigte neue an. Auch eigene Masken und Kunstwerke stammen aus seiner Werkstatt. Jetzt, im Ruhestand, möchte Stoll das intensivieren. „Ums Geld geht es mir dabei nicht“, betont er, „Ich bleibe aus Respekt vor der Familientradition dabei.“ Das Kunsthandwerk soll weiterleben und: „Irgendwie muss man das Ganze doch in die Zukunft hinüberretten.“