Wütendes Wasser und totes Moos
Ob Titisee, Aha, Notschrei oder Blasiwald – viele Ortsnamen im Hochschwarzwald klingen beim ersten Hören sonderbar und lassen sich nicht ohne Weiteres herleiten. Einer, der sich mit Namen und ihrer Herkunft auskennt, ist der Namenforscher Konrad Kunze aus Freiburg. Der emeritierte Universitätsprofessor erklärt, wo Dörfer, Seen und Bergpässe in der Region ihre Namen herhaben.
Was hat es denn nun wirklich mit dem Namen Titisee auf sich, dem bei Besuchern aus aller Welt wohl bekanntesten Schwarzwaldsee? Hatte hier tatsächlich der römische Feldherr Titus bei der Namengebung seine Finger im Spiel? "Das ist eine Legende", widerspricht Konrad Kunze und klärt auf: „Der Titisee wurde nach einer Tita benannt. Tita ist die Kurzform von Dietlind oder Diethild, die einst am See gewohnt hat oder der das Land gehört hat.“ Der Wissenschaftler verweist auf ein Schriftstück aus dem Jahr 1150, in dem ein Titinsee genannt ist. Auch die Schreibweise Dittensee ist in Archiven aus dem 13. Jahrhundert belegt. Ähnlichen Ursprungs ist der Name des Dorfs Dittishausen bei Löffingen. Er geht auf einen Dietrich und dessen Häuser zurück, erklärt Kunze.
Der Germanist arbeitet, obwohl schon lange im Ruhestand, immer noch wissenschaftlich und hat 2019 den siebenbändigen Deutschen Familiennamenatlas herausgegeben – das Ergebnis 14-jähriger Forschung. Etwa 800 Jahre alt sind Kunze zufolge die Orts- und Familiennamen in ganz Deutschland und damit auch im Hochschwarzwald. Sie entstammen alle dem Dialekt, ein einheitliches Hochdeutsch gab es damals noch nicht.
Ein Beispiel dafür ist das Dorf Aha am nordwestlichen Ufer des Schluchsees. Aha ist ein althochdeutsches Wort mit germanischen Wurzeln, das auf das Wort „A“ für Wasser, Fluss oder Bach zurückgeht. „Aus A wurde schließlich Aha, das lässt sich besser sprechen“, meint Konrad Kunze. Somit verweist der Name Aha also auf einen Ort am Wasser. Aus dem Fluss Wuta hingegen, der bei Hochwasser "wütenden A" wurde die Wutach, Namensgeberin der Wutachschlucht.
Der Schluchsee hingegen – seit seiner Anstauung vor rund 90 Jahren der größte See des Schwarzwaldes – verdankt seine Bezeichnung der Schlucht, in der er sich einst befand. Ursprünglich ein Gletschersee des Feldberggletschers, lag sein Wasserspiegel etwa 30 Meter unter dem heutigen.
Vom Roden des Waldes und den Glasbläsereien
Andere Ortsnamen weisen auf kulturhistorische Entwicklungen und die Erschließung des einst riesigen Waldgebietes hin. Eine wichtige Rolle spielten hierbei die Glashütten, die für ihren Betrieb immense Mengen an Holz verschlangen. Sobald der Wald in der Umgebung kahlgeschlagen war, zogen sie weiter. Zurück blieben besiedelte Flächen mit gerodetem Weideland. Dieser Prozess lässt sich anhand der der Ortsnamen nachvollziehen. In Altglashütten wurde bis 1706 Glas hergestellt, dann verlagerte sich die Produktion einige Kilometer weiter, wo daraufhin das Dorf Neuglashütten entstand. Auch Blasiwald am Schluchsee verdankt seinen Namen einer ehemaligen Glasbläserei.
Um weiteres Land für die Besiedlung zu gewinnen, wurde im Auftrag des mächtigen Klosters St. Blasien auch abseits der Glashütten der Wald gerodet, meistens mithilfe von Feuer. „Die Brandrodung nannte man Schwende oder Schwand. Nach dem, der auf der gerodeten Fläche ansässig wurde, wurde die Schwand dann benannt“, sagt Konrad Kunze. So erklärt sich der Name Menzenschwand als eine Rodung des Manzo, vermutlich eine Kurzform von Manfred. Ein Hermann siedelte sich im heutigen Herrenschwand an, das mittlerweile zur Stadt Todtnau gehört, ebenso wie Geschwend. Weiler namens Rütte gibt es sowohl in Todtmoos als auch in Todtnauberg. Auch ihre Bezeichnungen verweisen auf Rodungen.
„Zu Todtnau gibt es eine schöne Sage“, weiß Konrad Kunze, „früher soll der Ort wegen seines Silberbergbaus Reichenau geheißen haben. Als der Silberbergbau dann aufgegeben wurde, wurde aus der reichen Aue eine tote und der Ort erhielt den Namen Todtnau.“ Eine originelle Herleitung – in Wahrheit verweise die ehemalige Bezeichnung Tottenauwe jedoch auf einen Grundherren Totto, so der Wissenschaftler. Der Name der Gemeinde Todtmoos hingegen wurde laut Kunze tatsächlich von einem abgestorbenen Sumpfgebiet abgeleitet: „Sagen erzählen von giftigen Dämpfen, die über dem Moos gewabert seien und dem Ort seinen Namen gegeben haben sollen.“
Lange dauerte es, bis der Notschrei erhört wurde
Einen relativ jungen Namen, der erst aus dem 19. Jahrhundert stammt, hat der Notschrei, die Passhöhe zwischen Wiesental und Dreisamtal. 30 Jahre lang mussten die Bewohner des Wiesentals die Obrigkeit bitten und quasi Notschreie ablassen, bis endlich die Straßenanbindung Todtnaus und des Wiesentals angegangen wurde. Planungen für den Bau einer Passstraße von Oberried nach Todtnau hatte es schon seit 1780 gegeben. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde dann der Bedarf immer größer: Nachdem der Silberbergbau im Wiesental sein Ende gefunden hatte, entwickelte sich die Gegend zu einem Zentrum der Bürsten- und Textilindustrie. Die prosperierenden Fabriken, Spinnereien sowie eine Papierfabrik wollten ihre Waren vom Todtnauer Talkessel nach Freiburg transportieren und brauchten dafür eine weniger gefährliche Straßenverbindung als den bestehenden steilen Weg über Aftersteg und den Schauinsland nach Günterstal. Erst das Hungerjahr 1847 sowie die Badische Revolution sorgten dafür, dass die Regierung den "Notschrei" der Bevölkerung erhörte. Zum Dank errichteten die Todtnauer Bürger dem badischen Großherzog Leopold und dem Prinzen Friedrich ein Denkmal, das noch heute an der Passhöhe steht.