
Berg- und Talfahrt der Gefühle
Am Hochtag zieht es unsere Mitarbeiter in den schönen Schwarzwald und sie berichten von ihren individuellen und spannenden Erlebnissen.
Hier stellt Petra Bär ihren Hochtag vor.
Ich erinnere mich an meinen ersten Sommer in der Tourist-Information Hinterzarten. Eines schönen Sonntags bin ich zum Dienst eingeteilt und schaue in einer ruhigen Minute aus dem Fenster. Alles ist beschaulich und ruhig. Aber, was ist denn das? Von weitem sehe ich einen Riesen-LkW auf der Freiburger Straße fahren. Was soll das denn am Sonntag?Es bleibt aber nicht bei dem einen Lastwagen nein, gleich drei von diesen Riesendrums fahren vor und parken vollbeladen mit Mountainbikes ausgerechnet vor dem Kurhaus. Mit einem Mal ist die Atmosphäre um mich spannungsgeladen, die Luft beginnt zu vibrieren, ein Klackern von tausenden von Bikerschuhen ist zu hören.

Von einem Augenblick zum anderen strömen tausende von Bikern vom Bahnhof über die Straße zu den Trucks. Sie schauen suchend auf die LKWs bis sie endlich ihr Bike entdecken. Voller Erwartung strecken Sie den Helfern ihre Hände entgegen um ihr Wertvollstes zu empfangen. Bei dem einen sehe ich ein zweifelndes Gesicht, eine Frau steht angstvoll mit angespannter Miene da, bei den meisten aber spiegelt sich die reine Vorfreude, auf das was sie erwartet.

Das muss ich auch machen!
Staunend schaue ich dem Szenario zu. Urplötzlich ergreift mich eine nie gekannte Sehnsucht. Ich möchte bei all den Menschen dort sein und deren Gefühle teilen. In diesem Moment beschließe ich, ich werde noch in diesem Leben Teil des Geschehens und bei einem Ultra Bike Marathon starten!
Schnellvorlauf... 2013
Trotz schlechter Vorbereitung wegen des langen Winter melde ich mich zu meinem 4. Ultra Bike Marathon für den Short Track, über 43 km und 900 hm, an. Vielleicht ist der 16. Ultra Bike ja tatsächlich der Letzte, das darf ich mir doch nicht entgehen lassen.
Pünktlich um 11:35 Uhr stehe ich mit meinem „Poison Graphine“ im Startblock Nr. 56. Als Frau habe ich den Vorteil meinen Startblock auswählen zu können. So entgehe ich womöglich dem Stau der sich evtl. vor der Brücke zwischen Campingplatz Bankenhof und Bärental bildet.

Mit jedem Vorrücken des Blocks, wenn ein neuer Block gestartet ist, wird mir mulmiger zumute. War es wirklich die richtige Entscheidung? Schaffe ich all die Höhenmeter, Spitzkurven und Abfahrten ohne Blessuren? Gott sei Dank kommt kurz vor dem Start noch Martina zu mir und drückt mich ganz ganz feste.
Mein Block ist als nächstes dran. Der Stadionsprecher zählt runter. Ach wenn ihr wüsstet wie oft ich den Start beim Feuerwehrhaus schon heimlich geübt habe.
„0“ – es geht los.
Gleich die ersten Meter ist so ein kleiner, blöder Anstieg, den man bewältigen muss, jeder Gang ist der Falsche, danach geht es aber schwungvoll über die Winterhalde bis zum Bahnübergang, scharf rechts auf einem gut befestigten Forstweg nach Titisee. Diesen Abschnitt mag ich, hier kann man das Fahrrad schön rennen lassen.
Schwungvoll geht die Fahrt weiter rein in die Seestraße entlang der Seepromenade. Schade, dass hier heute, wohl wegen des eher mittelmäßigen Wetter, wenige anfeuernde Zuschauer stehen. Wir fahren weiter am Seerundweg an den Campingplätzen „Sandbank“ und „Bankenhof“ vorbei. Jetzt kommt der erste Anstieg. Über 5 km geht es bergauf. Erst jetzt merke ich wie zäh und schwer der Boden vom Regen der letzten Nacht ist. Na das kann ja heiter werden, wenn der Boden überall so klebrig ist – „Gute Nacht“. Ich kann schon jetzt vormerken, der Boden wurde noch klebriger.
Viele Feuerwehrmänner, die im Block hinter mir gestartet sind und heute die 5. Internationalen deutschen Feuerwehrmeisterschaften austragen, überholen mich. Nach der ersten Hälfte auf einem schönen, breiten Forstweg nach Bärental, kommt ein sehr steiniges und unwegsames Stück. Hier muss ich unbedingt die Spur halten und mich auf die Strecke konzentrieren. Die besagte Brücke mit dem anschließenden Matschloch komme ich ohne Probleme runter, danach geht es wieder über einen relativen schmalen Weg über sehr spitze Steine. Nach einigen Minuten wird es vor mir lichter, d.h. ich habe es gleich geschafft und bin in Bärental. Wie schön, hier steht Jürgen der mich sofort anfeuert und weiter motiviert.

Nach sehr wenigen Metern auf geteerter Straße geht es gleich wieder rechts weg, weiter Richtung Kunzenmoos. Zuerst über einen schönen Forstweg, dann über die Straße, der Verkehr wird Dank der guten Organisation von der Polizei geregelt, danach kommt ein echt brutalen Weg, der auf die Seestraße führt. Der Weg ist eigentlich für Fahrradfahrer gesperrt und das ist auch gut so, hier kommt so eine saublöde steile Rechtskurve, die nur aus Kies besteht. Bei meinem ersten Start lag hier eine, aus dem Bein stark blutende, verletzte Person, das prägt natürlich.
„Geschafft“, auf der Seestraße angekommen, kann man das Bike wieder schön laufen lassen. Der Genuss währt jedoch nicht lange. Für mich kommt nun der meist gehasste Abschnitt. Das erste Stück beginnt noch ganz moderat. Schnaufend ziehe ich an dem einen oder anderen Biker vorbei, andersrum ziehen jedoch andere Biker an mir vorbei, darunter auch, winkend mein Partner, der im Block 58 gestartet ist. Wie blöd, eigentlich wollte ich ihm im Ziel entgegen laufen, na ja dann ist es eben anders rum und er kann schon mal ein Radler für mich bestellen.
Wer sein Rad liebt der schiebt... aber ich nicht
Der Boden ist zäh wie Lehm und will das Hinterrad fest im Boden verankern, der Schweiß läuft mir nun in Strömen runter, nach den ersten Kilometer biegt der Weg links ab auf den Imberywaldweg, hier kommt eine arglistige Täuschung, es wird etwas eben, man kann ein paar Gänge hochschalten, aber nach einigen Metern kommt das Grauen. Vor mir liegt dieser breite Forstweg, man glaubt das ist doch ganz easy, die Autobahn hoch und dann… ist es aber nicht. Manch Mountainbiker schiebt hier das erste Mal sein Bike. Und wenn du glaubst den Horizont erreicht zu haben, hast du es noch lange nicht geschafft, der Weg windet sich weiterhin bis zum Rufenholzplatz.
Dort angekommen, kann ich mein Hirn wieder anschalten und muss nicht mehr nur stupide treten. Hui, nach dem Rufenholzplatz geht es abschüssig links weg. Was für eine Wohltat, erst mal kräftig trinken und das Rad einfach laufen lassen. Dieser Augenblick reicht um Kräfte für den nächsten kurzen Hügel nach ca. 2 km zu tanken. Ein kurzer giftiger Anstieg und wir fahren direkt auf den Raimartihof zu. Leider fehlt die Zeit für eine Einkehr.
Nun kommt der dritte schwere Anstieg. Wegen des schweren Bodens empfinde ich die ca. 1 km lange Strecke als sehr sehr schwierig. Kein Vergleich zu früheren Trainingseinheiten auf trockenem Boden. Der Anstieg ist jedoch absehbar und so setze ich die Fahrt Richtung Rinken weiter fort. Am Rinken angelangt stehen viele von den fleißigen Helfern und da reichen den Bikern bibbernd die Getränke und kleine Häppchen, Riegel, Zopf, Bananen usw.

Ich stopfe mir ein Stück Powerriegel rein, getrunken habe ich ja schon und fahre weiter zum Klusen runter. Soeben noch geschwitzt, kühle ich auf der ca. 4 km langen Abfahrt zum Klusen relativ schnell aus. Ich habe einen guten Zeitpunkt erwischt. Für die Schnellen bin ich zu langsam und für die Langsamen zu schnell. Ich komme ohne große Überholmanöver runter. Unten angekommen kündigen ein Schild und ein paar Helfer die wirklich sehr scharfe Linkskurve an. Als Wiederholungstäter weiß man, dass nun wieder ein ziemlich ätzendes Stück kommt. Auch dieser Weg beginnt relativ harmlos und schlängelt sich an Wiesen vorbei. So ganz heimlich beginnt der Weg zu steigen und zu steigen und zu… Uuuuaaaghhhh, ist das anstrengend. Auch hier „Hirn aus“ und treten. Mich beherrscht der Gedanke“ du steigst nicht ab, trete, du steigst nicht ab, trete, du... Dieser Abschnitt ist auch deswegen sehr schwer, da viele Biker ihr Rad schieben und ich auf dem Mittelstreifen überholen muss. Das heisst hupps links hoch, plupp rechts runter.

Nach gefühlten 2 Stunden und 1000 km, sehe ich Biker, die alle sitzend rechts weg fahren. Dort muss es doch eben sein? Und wo es eben ist, bist du oben angekommen! Außerdem höre ich in der Ferne Menschen, die anfeuern? Schon wieder bin ich darauf rein gefallen. Es geht weiter hoch und hoch und hoch. Zwar nicht mehr so steil, das ist meinen Beinen aber egal. Endlich wird es wahr, ich fahre rechts ab und es ist tatsächlich eben, noch schöner, es kommt eine Abfahrt zur Stollenbacher Hütte. Welch Wohltat, welch Glück, welch…“uppps“ hier muss man ganz schön vor den tief eingegrabenen Regenrinnen, aufpassen.
Zufrieden es bis hier hin geschafft zu haben, fahre ich die nächste Verpflegungsstation an, trinke ein Schluck wohlschmeckender Cola, stopfe einen Zopf rein und nehme den letzten giften Anstieg auf mich. Ein tolles Publikum und Moderator sind hier, die aus den Bikern, mit ihren Zurufen, die letzten Kraftreserven raus holen. Ich gehe den Anstieg im kleinensten Gang an und habe ein gutes Gefühl, leider werde ich von einem absteigenden Biker ausgebremst und muss ebenfalls schieben.
Treten, treten und ach ja nochmal treten
Oben angekommen, wieder aufsatteln. Das kommende Gelände ist sehr schwierig. Tiefe Matschrillen furchen sich vorbei an glitschigen Wurzeln. Hier durch zu kommen, ist ein wahrer Balanceakt. Nach diesem Teil geht es ein Stück weiter über einen wiesigen Forstweg. Nach ein paar Metern geht es rechts weg, geradewegs in die Hölle. So sieht es zumindest aus. Ein dunkles Loch, ich sehe nichts und muss fast blind durch einen See von Matsch und voller Fahrrillen. Zwischendurch werde ich von den Fotografen geblitzt, die tatsächlich stundenlang in diesem Loch ausharren müssen, oder wollen? Die Armen. Auch das geht vorüber.
Von nun an geht es eigentlich nur noch ca. 10 km lang bergab. Über geteerte Straßen, kiesigen Wegen, schmalen Singletrails und hubbelige Steinlandschaften. Hey, trotz g'scheiter Federgabel, spüre ich meine Arme heute noch. Auch die Wiese, die jedes Jahr zwischen Oberried und Kirchzarten, befahren wird, besteht heute aus lauter Hubbel. Glücklicherweise schaffe ich bravourös die Senke, dort am Schluss. Mein Kopf und mein Bauch wissen, nach der Wiese ist der Rest der Strecke nur noch Pippifax. Naja, abgesehen von dem klitzekleinen Anstieg auf der Wiese, rechts hoch, links am Weidezaun vorbei. Der tut richtig weh.

Etwa 1 km vor der Zieleinfahrt sehe ich das Stadion von Kirchzarten. Die Stimme des Stadionsprechers tönt mir entgegen und ich reiße nochmals an meinen Lenkrad um mit hoch erhobenen Kopf und Stolz ins Stadion einzufahren. Die erste Rampe ist gar kein Problem, „zumm“ rauf und ….“huch“ geht das auch wieder „zumm“ runter. Gut das ich keine Zeit habe darüber nachzudenken. Auch die zweite Rampe geht es wieder… Mist, die Kette hat sich beim Schalten verhakt, macht nix, ich komme trotzdem hoch und wieder runter, geradewegs, erschöpft, aber überglücklich durch das Ziel.
Dort befinden sich Tausende von euphorischen, hoch zufriedenen Bikern, Zuschauern, Familien und Fans, und alle denke wohl das Gleiche: der „Ultra Bike Marathon“ in Kirchzarten darf nicht sterben.
