Alemannisch im Hochschwarzwald

"Numme mol langsam, numme mol it huddle". Was hat es mit dem alemannisch auf sich, das im Hochschwarzwald gesprochen wird?
18.04.2013

von Barbara Bollwahn

Werner Schnettelker, aus Lenzkirch, ist der Vorsitzende der 1979 in Neustadt gegründeten Regionalgruppe „Hochschwarzwald“ der „Muttersproch-Gesellschaft“. Sein Vater stammte aus dem Ruhrgebiet, er selbst wurde in Lenzkirch geboren und ist mit Alemannisch aufgewachsen.

Barbara Bollwahn: Johann Wolfgang Goethe hat gesagt: „Beim Dialekt fängt die Sprache an.“ Ist das beim Alemannisch auch so?
Werner Schnettelker: Ja, das ist richtig. Aus dem einfachen Grund, dass ein Dialekt von der Farbenvielfalt und den Untertönen mehr bieten kann als die deutsche Hochsprache.

Barbara Bollwahn: Ist Alemannisch eine Mundart oder ein Dialekt?
Werner Schnettelker: Im Prinzip ist es beides, weil es einerseits regional in unterschiedlichen Formen gesprochen wird. Andererseits hat das Alemannisch eine räumliche Ausdehnung, die über die Landesgrenzen hinaus geht. Es wird in Südbaden eingegrenzt vom schwäbischen und fränkischen Sprachraum, es wird im Elsass in Frankreich gesprochen, in der Schweiz und in Österreich in Vorarlberg.

Barbara Bollwahn: Wie verbreitet ist heutzutage die alemannische Mundart im Hochschwarzwald?
Werner Schnettelker: Sie ist noch sehr verbreitet, wird aber nicht mehr so aktiv gesprochen wie vor 30, 40 Jahren. Als Ursache sehe ich die Veränderungen in der Bevölkerung, den Zuzug aus anderen deutschen Regionen und den Zuzug von Ausländern. Daraus ergeben sich sehr interessante Konstellationen, wie sich eine Mundart verändert.

Barbara Bollwahn: Haben Sie ein Beispiel für diese Veränderung parat?
Werner Schnettelker: Bei Italienern, die in den Hochschwarzwald gezogen sind und deren Kinder hier geboren sind, vermischen sich italienische und alemannische Ausdrücke und es kommt zu „Lambrusco us de Guttere“. Guttere bezeichnet eine bauchige Flasche aus Glas oder Steingut, in die man früher Wein, Schnaps oder Medizin früher abgefüllt hat. Sprache ist lebendig und ändert sich, weil sich auch Dinge ändern. Für mich ist ein Dialekt oder eine Mundart keine tote Sprache, sondern aktiv und lebt davon, dass er oder sie gesprochen und gepflegt wird.

Barbara Bollwahn: Wie würden Sie einem Urlauber die alemannische Mundart erklären?
Werner Schnettelker: Gerade im zwischenmenschlichen Bereich ist beim Alemannisch der Umgang sehr viel liebenswerter und angenehmer. Das Norddeutsche empfinde ich im Gegensatz als sehr hart und brutal. Es geht natürlich auch schon mal herzhaft zu bei einem Streit, aber im Umgang menschelt das Alemannisch mehr und strahlt mehr Herzenswärme aus.

Barbara Bollwahn: Gibt es Unterschiede zwischen den verschiedenen Gegenden des Hochschwarzwaldes?
Werner Schnettelker: Sehr groß sind die Unterschiede nicht, aber es gibt sie. So verläuft eine Sprachgrenze zwischen Lenzkirch und dem achtzehn Kilometer entfernten Bonndorf. Während man in Lenzkirch sagt „I hann dir doch geseit“, ich habe dir doch gesagt, heißt es in Bonndorf „Ich han g’sägt.“ Das geht Richtung „sägen“, sage ich immer.

Barbara Bollwahn: Sie sind Leiter der Gruppe Hochschwarzwald, die 1979 in Neustadt gegründet wurde. Wie viele Mitglieder hat der Mundartkreis und was machen Sie bei den Treffen?
Werner Schnettelker: Wir haben etwa 60 Mitglieder und wenn wir uns treffen, pflegen wir sehr stark den Dialekt. Die Treffen sind wie ein Stammtisch. Zum anderen pflegen wir Dinge, die mit dem Dialekt zusammen hängen. Im Januar hatten wir eine Versammlung, wo wir uns mit Fasnachtssprüchen beschäftigt haben. Viele brachten Unterlagen alter Fasnachtsveranstaltungen mit von vor 20, 30, 40 Jahren. Gerade der Dialekt hat in der Fasnacht eine große Bedeutung, weil man da Dinge ausdrücken kann, die im Hochdeutsch nicht gehen würden.

Barbara Bollwahn: Was meinen Sie genau?
Werner Schnettelker: Es geht darum, etwas mitteilen ohne zu verletzen. So ist ein „Schmurli“ ein Mensch, der Dreck anzieht. Ab und zu entsteht aus unseren Treffen auch etwas Neues. Im vergangenen Jahr ist im G. Braun Buchverlag ein alemannisches Liederbuch erschienen, „Woni sing und stand“, wo ich singe und stehe. Einige Lieder wurden erstmals in Noten gesetzt und abgedruckt.

Barbara Bollwahn: Haben Sie, ähnlich wie Gesangsvereine, die oft überaltert sind, Nachwuchsprobleme oder begeistern sich auch junge Menschen für die alemannische Sprache?
Werner Schnettelker: Es gibt schon jüngere Leute, die sich begeistern, aber zahlenmäßig sind sie nicht so stark vertreten. Es gibt aber einen stetigen Nachzug von Leuten, die nicht mehr ganz so jung sind und sich in einem gewissen Lebensabschnitt für Dialekt und Sprache stärker interessieren.

Ein Interview mit Werner Schnettelker, dem Vorsitzenden der Regionalgruppe „Hochschwarzwald“ der „Muttersproch-Gesellschaft“.
Ein Interview mit Werner Schnettelker, dem Vorsitzenden der Regionalgruppe „Hochschwarzwald“ der „Muttersproch-Gesellschaft“. © Werner Schnettelker

Barbara Bollwahn: Befürchten Sie, dass das Alemannisch irgendwann im Hochschwarzwald aussterben wird?
Werner Schnettelker: Nein, das glaube ich nicht. Es wird weiter leben. Ich sehe, dass auch junge Menschen Dialekt sprechen und kommunizieren. Unter Jugendlichen, wenn sie im Internet bei facebook sind, wird im ländlichen Bereich oft im Dialekt kommuniziert. Weil das Hochdeutsch zu wenig flüssig ist, sie es nicht so richtig schreiben können, und sie das Alemannisch so schreiben können wie sie es sprechen.

Barbara Bollwahn: Vor zwei Jahren gab es die Idee, für den Fortbestand des Alemannisch und als Plattform für junge Leute ein Internetradio „Radio Alemannenland“ zu gründen. Was ist daraus geworden?
Werner Schnettelker: Bis jetzt ist es noch nicht dazu gekommen. Aber das Projekt ist nicht vom Tisch. Bei dem Liederbuch hat es auch einige Jahre gedauert, bis es heraus gekommen ist. „Numme mol langsam numme mol it huddle.“

Barbara Bollwahn: Wie bitte?
Werner Schnettelker: Nun mal langsam, nicht so schnell. Oder auch: Gut Ding will Weile haben.

Barbara Bollwahn: Was glauben Sie, wie lange braucht man, um Alemannisch zu verstehen und zu sprechen?
Werner Schnettelker: Grundsätzlich, wenn man begeistert ist vom Alemannisch, kann man es lernen. Perfekt wird man es aber nicht sprechen. Am Besten kann man es lernen, wenn man unter die Menschen geht, gut zuhört und mit ihnen spricht, oder man arbeitet eine Zeit lang hier und erhält seine Arbeitsanweisungen auf alemannisch, wie zum Beispiel.“Gang emol d’Stegg nuf un hol de Anke rabb.“

Barbara Bollwahn: Eine Frau namens Anke soll abgeholt werden?
Werner Schnettelker: Nein, Anke ist das althochdeutsche Wort für Butter. Der Satz heißt: „Gehen sie mal die Treppe hinauf und holen Sie die Butter herunter.“

Barbara Bollwahn: Anke ist Butter?
Werner Schnettelker: Ja, Anke ist das althochdeutsche Wort für Butter. Aber im Laufe der Zeit wurde das Wort Anke durch das Wort Butter verdrängt. Es gibt übrigens alemannische Wörter, bei denen die Artikel anders sind als im Hochdeutschen. So heißt es „der Butter“ und nicht die Butter. Da Butter sehr wichtig war im Haushalt, wurde der Begriff mit einem männlichen Artikel belegt. In einem Dorfladen kann es bisweilen heute noch passieren, dass statt Butter Anke gesagt wird.

Barbara Bollwahn: Können Sie bestimmte Sachen auf Hochdeutsch nicht so auf den Punkt bringen wie auf Alemannisch?
Werner Schnettelker: Das ist oftmals so, wenn man persönliche Befindlichkeiten ausdrücken will.

Barbara Bollwahn: Ein Beispiel?
Werner Schnettelker: „Ranzepfiffe“, Bauchschmerzen. Durch das Wort Pfiffe wird der Schmerz deutlicher.

Barbara Bollwahn: Haben Sie alemannische Lieblingswörter?
Werner Schnettelker: Ein Lieblingswort von mir ist „Kunkelstube“. Der Begriff Stube ist bekannt, der schönste Raum im Haus, wo Besuch empfangen wird und die Mahlzeiten eingenommen werden. Kunkle ist ein Zusammensein in der Nachbarschaft an Winterabenden. Da trifft man sich nach der Arbeit und erzählt das neueste vom Tage. Früher hat man bei dieser Gelegenheit zusammen die Heimarbeit erledigt. Die Frauen haben gestopft und genäht, die Männer haben Uhren gebaut. Und ab und zu wurde „Arschlochsuppe“ gegessen.

Barbara Bollwahn: Wie bitte, Arschlochsuppe? Das müssen Sie erklären!
Werner Schnettelker: Das ist ein Saueressen, bestehend aus sauer eingelegtem Pansen mit Fleischstückchen und „Brägele“, Bratkartoffeln. Wenn man dann müde geworden ist, „hät mer sich ins Bett glegt zum pfuse“, dann hat man sich ins Bett gelegt zum schlafen.