Aus ganz eigenem Holz geschnitzt
Zu Dutzenden schauen sie von oben herab. Verschmitzt und übermütig, spöttisch und einfältig, verwegen und bedrohlich. Unter den Blicken vom „Dängeligeist“, „Gaudi-Hans“, „Galgenvogel“ und wie sie alle heißen, verrichtet der Holzbildhauer Simon Stiegeler seine Arbeit.
Als er klein war, hockte sein Vater im Winter am Küchentisch und schnitzte. 1965 hatte Adalbert Stiegeler in Grafenhausen eine Holzwerkstatt eröffnet und vor allem Weihnachtskrippen und Fasnetfiguren angefertigt. Das interessierte den Sohn nicht. Er hat von Kleinauf gezeichnet, vor allem Comics, „ebbe Menschen“.
Er war 19 Jahre alt, als sein Vater mit 52 Jahren starb. Simon Stiegeler hatte mit den Masken, die zur schwäbisch-alemannischen Fasnet gehören wie das Kirschwasser in die Schwarzwälder Kirschtorte, nichts am Hut. Schnitzer waren für ihn alte Männer mit Vollbart. Er war ein junger Mann mit erstem Flaum im Gesicht und ohne Orientierung.
Ausbildung mit Auszeichnung bestanden
Jetzt führt der 37Jährige, der mittlerweile einen Kinn- und Schnurrbart trägt und zwei Töchter hat, die Werkstatt schon seit über 15 Jahren. 30 Jahre nachdem sein Vater sie eröffnet hatte, übernahm er sie. Die Holzwerkstatt ist ein Familienunternehmen. Seine Mutter kümmert sich um Buchhaltung und Verkauf, das Bemalen der Masken übernimmt seine Frau, eine gelernte Floristin.
Simon Stiegeler musste seine Heimat verlassen, um sie und auch die Schwarzwälder Traditionen schätzen zu lernen. Nachdem ihn seine Mutter überredet hatte, bei der Aufnahmeprüfung an der Fachschule für Bildhauerei in Österreich anzutreten, traf er „auf lauter gleichgesinnte Kreative“ und war begeistert. Er bestand die Prüfung, beendete die Ausbildung mit Auszeichnung und besuchte anschließend die Hochschule für bildende Kunst in Freiburg. In dieser Zeit war er drei Tage an der Schule und drei Tage in der Werkstatt in Grafenhausen. Nachdem er die Werkstatt seines Vaters übernommen hatte, machte er sich viele Gedanken, wie es weiter gehen sollte.
Masken, Spielplätze, ganze Räume macht der junge Stiegeler
Bei den Masken konnte er auf den guten Namen seines Vaters zählen. Aber er wollte auch seine freien Sachen machen, von denen er nicht wusste, wie die ankommen würden. Stiegeler selbst zeigt, dass in einem Familienbetrieb der Junge Sachen machen kann, die der Alte nicht gemacht hat oder hätte und der trotzdem gut läuft - oder gerade deshalb. Stiegeler gestaltet Räume ebenso wie Kinderspielplätze. Und er schnitzt Krippenfiguren, übernimmt Auftragsarbeiten für Grabgestaltungen, Figuren für den Garten, Wappen und Kreuze, fertigt für fast einhundert Narrengruppen aus dem süddeutschen Raum Masken an.
erzählt er, während er an einem Familienrelief für ein Wandbild spachtelt. Auch wenn er viel gesehen hat von der Welt, spricht Stiegeler weiter von Kunscht. „Ich bin kei trendy Typ“, sagt er über sich.
Er hat seinen Platz gefunden zwischen Tradition und Moderne. Dazu gehören die schlicht schönen blauen Sternensucher im Skulpturenpark in Grafenhausen, die im Rahmen eines Symposiums entstanden sind, ebenso wie die Engel in seinem Geschäft, die Stiegeler „Flügelwesen“ nennt. Sie sind grob geschnitzt und doch fragil. Ihre Köpfe haben keine Gesichter und doch einen Ausdruck. Ihre Flügel sind verrostet und doch zart.
Stiegeler auf der Expo: Plötzlich Kulturträger
Während es bei den Fasnetmasken darauf ankommt, sehr detailliert zu arbeiten, liebt es Stiegeler bei den freien Arbeiten, „die Rauheit auszuleben“. Die im Schwarzwald typische Fichte und Tanne eignet sich dafür nicht. Stiegeler arbeitet mit Lindenholz, das mindestens fünf Jahre trocknen muss. Und er benutzt gerne Hölzer mit Verwundungen. „Es ist reizvoll, wenn sie nicht perfekt sind.“
Die Orientierungslosigkeit des jungen Stiegeler ist einer Zuversicht gewichen und der Überzeugung, den Spagat zwischen alt und neu, früher und heute zu schaffen. Einzel- und Gruppenausstellungen, Preise, Masken in öffentlichen und privaten Sammlungen im In- und Ausland, Symposien, Workshops, Simon Stiegeler bewegt sich zwischen seiner bodenständigen Heimat und der weiten Welt, ohne sich zu verlieren.
So übernahm er für die SWR-Fernsehsendung „Die Fallers“ – die „Lindenstraße“ des Schwarzwaldes - die künstlerische Beratung für Masken – und präsentierte auf der Expo, der Weltausstellung in Shanghai, deutsche Kunst, indem er Fasnetmasken aufhängte, hinter die die Besucher ihre Köpfe stecken konnten. „Da war die Hölle los“, erzählt er noch drei Jahre später begeistert. „Fünf Millionen Menschen!“ Simon Stiegeler aus dem Schwarzwald wurde in China zum Kulturträger.
Authentisch und selbstbewusst
Seine Arbeit und auch die Bestätigung dafür haben ihn selbstbewusst werden lassen. „Was ich mache, ist total authentisch.“ Auch die Fasnachtsmasken, die ihn früher nicht interessiert haben. Zu den alten, überlieferten Masken sind mittlerweile 28 eigene Entwürfe hinzu gekommen, von furchterregenden Dämonen, Teufeln, Hexen und Porträts. „Die Leute kommen aus Bayern und den USA, um sie zu kaufen, weltweit gibt es Sammler“, erzählt er.
Als Simon Stiegeler vor knapp zwanzig Jahren mit sich und seiner Berufswahl haderte, gab es noch in jedem Dorf einen Schnitzer. „Unser Betrieb“, sagt er, „ist jetzt einer der wenigen, die davon leben können“. In seiner Stimme mischen sich Befriedigung und Bescheidenheit.
Und dann, als hätte man es nicht schon längst verstanden, fügt er noch hinzu: „So ein erfüllender Beruf.“ Simon Stiegeler scheint auf dem besten Weg, eines Tages doch ein alter Schnitzer mit Vollbart zu werden.