Gestatten, Gevatter Tod. Respektive: Hermann Nägele, Fasnets-Urgestein, mit einem Laternenbruder.

Fasnet im Hochschwarzwald

„Fasnet ist eine ernste Sache“
24.05.2013

von Moritz Baumstieger

Einmal durch den Hochschwarzwald, von West nach Ost: Moritz hat sich auf einen Roadtrip begeben. Auf allen Sorten Skiern, im Kanu, zu Fuß. Heute: Warum Fasnet nichts zum Lachen ist – und warum man Alemannisch manchmal besser nicht übersetzt.

„Fasnet ist eine ernste Sache“, sagt Matthias Wider und schaut dabei recht schmerzgeplagt. „Im Gegensatz zum weinseeligen Karneval der Rheinländer sogar bierernst.“ Es ist nicht der Inhalt des Satzes, der dem Mann den leidenden Ausdruck ins Gesicht treibt, es ist ein wirkliches Leiden. Hat er ja gerade erklärt, als er die Sitzung eröffnet hat.

Lachen verboten?

„Übrigens“, sagte Matthias Wider da, „ich darf heute nicht Lachen. Auf keinen Fall! Ich habe so eine Bronchitis, dass ich mir vor lauter Husten eine Rippe gebrochen habe. Ehrlich wahr!“ Nachdem ich mich nach meiner Wasserwanderung durch die Rötenbachschlucht in einem Hotel wieder trocken gefönt und für ein Nachmittagsschläfchen ins Bettchen gekuschelt habe, um guter Laune zu meiner Verabredung mit den Löffinger Narren zu erscheinen, ist dort was verboten? Das Lachen. Der Hauptdarsteller, Regisseur und Verfasser des zu probenden Stückes bittet darum. Unglaublich, aber möglich: 

“Fasnet, das ist gelenkte Anarchie“
(Matthias Wider)

Von Anarchie ist im Wohnzimmer der Widers aber recht wenig zu spüren. Gelbe Wischtechnik an den Wänden, Holzbalken an der Decke, Kachelofen. Um den Esstisch sitzen fünf Männer, die gemeinsam den Text proben wollen, der vor dem alten Löffinger Stadttor zur Aufführung kommen wird. Auf dem Wohnzimmertisch steht ein Laptop für die Musik, außerdem Fanta, Cola und auch Wasser, Chips, Schokolade und ein paar Gummibärchen.

Narren beim Närrischsein. Matthias Wider (rechts) schmerzt aber die Rippe.
Narren beim Närrischsein. Matthias Wider (rechts) schmerzt aber die Rippe. © Moritz Baumstieger

Ein deutscher Verein trifft sich, zu Beginn wird Organisatorisches besprochen und entschuldigt, wer nicht da ist. Auch, wenn die Absenzen jetzt nicht ganz ideal sind: keine zwei Wochen, dann beginnt die heiße Zeit der Fasnet. Auf die man in Löffingen so stolz ist, seit jeher. Erstmals urkundlich erwähnt im Jahre 1764, als ein Bewohner der Nachbarstadt auf dem Heimweg in Bach ersoff, weil die Anarchie wohl doch nicht zu stark gelenkt war und er in Löffingen zu viel gefeiert hatte. Napoleon, dessen Truppen die Nachbarstadt besetzt hielten, hatte nämlich was gegen das lustige Treiben, in den Städten unter seiner Kontrolle war Fasnet verboten. Ob die Humorlosigkeit des französischen Feldherren durch eine gebrochenen Rippe bedingt war, ist nicht überliefert.

Jetzt komme erst der Rauch und der Blitz von der Pyrotechnik, sagt Matthias Wider, „und dann mache ich mein Tamtam. Das lass ich jetzt aber echt weg.“ Die Rippe. Dann: Auftritt Hermann Nägele. Das Fasnets-Urgestein. Das Löffinger Original. Jetzt hier im Stück: Gevatter Tod – und als solcher auch in Freizeitkleidung glaubhaft.

Das Fasnets Oberhaupt und sein Gefolge 

Hermann Nägele hatte ich schon vor der Probe bei den Widers getroffen, am alten Stadttor. Dort haben die Narren ihr Hauptquartier – und wenn es jemand gut kennt, dann Nägele: 18 Jahre lang war er Vorsitzender der Fasnets-Vereins, was sehr anstrengend ist, wenn man im Nebenberuf noch Bäcker ist und manchmal um zwölf Uhr nachts direkt von der Narretei in die Backstube eilen muss.

Gestatten, Stadttor: Hauptquartier der Narren, Sitz des Fasnets-Museums.
Gestatten, Stadttor: Hauptquartier der Narren, Sitz des Fasnets-Museums. © Moritz Baumstieger

Herrmann Nägele trägt einen Hut, hat recht grob geschnitzte Gesichtszüge und erinnert so manchmal an ein wenig an den berühmten Plastinator Gunther von Hagens. Die Figuren, die Nägele im kleinen Fasnesmuseum präsentiert, sind aber keine haltbar gemachten Leichen. Sondern Schaufensterpuppen, die die Figuren repräsentieren, die in der Löffinger Fasnet wichtig sind (und die alle auch in Widers Stück vorkommen): Das Hansili, eine lokale Weiterentwicklung der klassischen Narrenfigur. Die Narrenpolizei, die im Chaos für Ordnung sorgt, die Laternenmänner. Die Hexen, erst später dazu gekommen, dafür durch einen eigenen Orden institutionalisiert, dessen Mitglieder ihre Masken selber schnitzen müssen. Die Hemdklunker, deren Kostüm in einem weißen Büßer-Nachthemd besteht. Und zum Schluss und am kompliziertesten: Das Reichburgmali, halb Mensch, halb Eichhörnchen, über das Nägele einen wunderbaren Satz zitieren kann. Allerdings nur auf Alemannisch, seiner Muttersprache. „Oh, da wird’s schwierig“, sagt Nägele, wenn man ihn um eine Übersetzung bittet. Einerseits, weil dem Deutschen die richtigen Worte fehlen. Andererseits, weil der Satz ein kleines bisschen unanständig ist.

Gestatten, Gevatter Tod. Respektive: Hermann Nägele, Fasnets-Urgestein, diesmal mit dem Hansili.
Gestatten, Gevatter Tod. Respektive: Hermann Nägele, Fasnets-Urgestein, diesmal mit dem Hansili. © Moritz Baumstieger

Die Goldenen Zeiten waren auch nicht ganz so glänzend

Als im Widerschen Wohnzimmer auch der zweite Durchgang einigermaßen geklappt hat, fährt Nägele schnell heim, schlafen. Den Text kann er eh als einziger komplett auswendig. Matthias Wider lehnt sich in seinem Stuhl zurück, hält sich die schmerzende Rippe und philosophiert ein wenig über die Fasnet. Das Stück, das er geschrieben hat, „hat ein bisschen was Pädagogisches“, die alten Figuren sollen der nächsten Generation näher gebracht werden. Die Fasnets-Aktivisten sind auch ein wenig am Kämpfen, dass ihre Tradition nicht ausstirbt. Aber auch das hat schon fast Tradition: Vor der Probe hat Wider Protokolle von Vereinssitzungen aus den vermeintlich Goldenen Zeiten vorgelesen. Schon damals hieß es „früher war alles besser“, die Worte „Übersättigung“, und „Niedergang“ fielen. Aber es geht weiter, immer weiter, denn: „Wenn das hier aufhört“, sagt Wider, „dann fällt alles auseinander.“ Fasnet ist eine ernste Sache.