Schwarzwälder Uhrenhandwerk - auch heute noch gefragt

Die Uhrzeit? Weiß der Kuckuck
13.09.2022

von Manuela Müller

Wie eine technische Spielerei aus dem 18. Jahrhundert noch heute den Schwarzwald prägt: Wir haben uns auf die Spur von Deutschlands berühmtester Uhr begeben.

„Die Menschen sind hier technischer drauf als anderswo“, sagt die Kunsthistorikerin Eva Renz am Ende der Führung durch die Ausstellung des Deutschen Uhrenmuseums in Furtwangen. Schon Ende des 17. Jahrhunderts wurden im Schwarzwald Holzuhren hergestellt. Inspiriert von Automatenuhren aus Italien wurde dann im 18. Jahrhundert etwas geschaffen, wofür die Region bis heute bekannt ist: aus einem kleinen Türchen erschien ein Vögelchen.

„Kuckuck, kuckuck“, klingt es nun im Zentrum der Ausstellung. Ein riesiger Kuckuck empfängt die Besucher:innen auf ihrem Rundgang durch die Geschichte der Uhren im Schwarzwald. Als im nahen Schwenningen 2010 die Landesgartenschau stattfand, wurde die mannshohe Figur in einem historischen Bahnwärterhäuschen von 1869 platziert, was das Gebäude zu einer überdimensionalen Kuckucksuhr machte. Im Museum lotst einen der Vogel zu den vier Exemplaren, die man auf keinen Fall verpassen sollte: die älteste in der Ausstellung, die 1780 bei Eisenbach im Schwarzwald hergestellt wurde; die globalisierte, die von fair bezahlten Frauen in Asien mit afrikanischer Bio-Baumwolle umhäkelt wurde; außerdem das Vorbild für alle späteren Kuckucksuhren, die vom Bahnbeamten Friedrich Eisenlohr entworfene „Bahnhäusleuhr“; und zuletzt die Welt-Kunst-Uhr von August Noll, die so groß wie eine komplette Schrankwand ist und Ende des 19. Jahrhunderts als Attraktion durch halb Europa reiste.

Handarbeit ist in der Schnitzerwerkstatt von Christophe Herr angesagt.
Handarbeit ist in der Schnitzerwerkstatt von Christophe Herr angesagt. © Corina Beha_Firma Robert Herr

Bauernsöhne verdienten mit den Uhren ihren Lebensunterhalt

Die Uhrenproduktion war ein guter Geschäftszweig für diejenigen, die keinen Hof geerbt hatten. „Die Schwarzwälder mussten aus der Not – sie lebten abseits der großen Verkehrswege – eine Tugend machen“, sagt Eva Renz. Bauernsöhne schnitzten Uhren und Zahnräder, bemalten die ebenfalls für den Schwarzwald bekannten Lackschilduhren, gossen die Glocken für den Stundenschlag oder schnallten sich Uhrenkästen auf den Rücken und luden sie auf große Wägen, um sie in ganz Europa zu verkaufen. Zwischen 1800 und 1850 wurden aus dem Schwarzwald bereits 20 Millionen Uhren verkauft.

Dann trat Robert Gerwig auf den Plan, und die regionale Uhrenproduktion erlebte einen weiteren Aufschwung. Der Eisenbahningenieur wurde zum Direktor der neu gegründeten Uhrmacherschule in Furtwangen und rief dazu auf, alte Uhren an die Schule zu schicken. Dass er damit den Grundstock für das Deutsche Uhrenmuseum, eines der vier weltweit bedeutendsten Häuser dieses Fachbereichs gelegt hatte, war ihm nicht bewusst.

Und dass sein Designwettbewerb eine Siegeruhr hervorbringen wird, die bis ins 21. Jahrhundert hinein ein Sinnbild für den Schwarzwald sein wird, auch nicht. Der Siegerentwurf hatte die Form eines Bahnwärterhauses. „Alles, was mit der Bahn zu tun hatte, war um 1850 der Inbegriff von Modernität“, sagt Eva Renz. So wurde diese Uhr schnell zum beliebten Souvenir aus dem Schwarzwald. Schon ab 1860 kamen dann mit Wald- und Jagdmotiven reich verzierte Kuckucksuhren auf den Markt, geschnitzte Tannenzapfen als Gewichte inklusive.

Nach alter Tradition in Handarbeit gefertigt werden solche Exemplare nur noch an wenigen Orten. Die Deutsche Uhrenstraße führt uns an solche, wenn wir ihr von Furtwangen über Schönwald nach Schonach folgen. Vor der Ortseinfahrt ragen gleichförmig aufgereiht kleine Fichten aus dem Schnee. Bergab liegt in einer Rechtskurve mitten in Schonach ein Haus am Hang. Im ersten Stockwerk ist die Fassade von den typischen Schindeln bedeckt, darauf drei Schilder: Kuckucksuhren – Robert Herr – Holzkunst.

Die berühmte Kuckucksuhr muss zu erst von Hand aus Holz geschnitzt werden, bevor sie in am Ende an der Wand hängen kann

Die berühmte Kuckucksuhr muss zu erst von Hand aus Holz geschnitzt werden, bevor sie in am Ende an der Wand hängen kann © Corina Beha_Firma Robert Herr

Eine Bandbreite vom Massenprodukt bis zum Holzkunstwerk

Hinter den Fenstern ist das Reich von Christophe Herr, der in fünfter Generation – sein Ururgroßvater Robert war der Firmengründer – Kuckucksuhren schnitzt. Er ist Holzbildhauer. „Auch wenn ich kein Uhrmacher bin, mache ich alles rund um die Schwarzwalduhr von der Auswahl der Baumstämme bis zum Ladenverkauf selber“, sagt der 43-Jährige.

In der Werkstatt riecht es nach Holz, Kisten mit dem Rohschnitt der Nadelbäume auf dem Boden, ein geschnitztes Kunstwerk auf der Werkbank – an dessen linker Dachseite ein erlegter Auerhahn, an der rechten Dachseite ein erlegter Hase. Hängt nicht genau dieses Uhrenmotiv auch in Furtwangen im Museum? „Ja, das ist das Jagdstück“, sagt Christophe Herr. Eine weltberühmte Uhr aus dem Schwarzwald um 1900. Heute bildet Herr dieses Holzkunstwerk nach. Er sieht sich als Bewahrer einer jahrhundertealten Tradition: „Ich lasse alte Motive weiterleben“. Dafür setzt er auf hohe Qualität und Regionalität der Materialien sowie auf Handarbeit.

Auch Josef Dold hat sich der Kuckucksuhr verschrieben und baute die erste weltgrößte Kuckucksuhr. Sie liegt am Schonacher Ortsausgang Richtung Triberg rechter Hand. Besucher:innen klingeln nebenan, woraufhin sich Gabriele Dold Zeit nimmt und erklärt, wie es zu dieser Tourist:innenattraktion kam: „Mein Schwiegervater musste bei Uhrenreparaturen den Kunden immer erklären, wie das alles funktioniert“. Schwer in Worte zu fassen sei das gewesen, weshalb er einfach Ende der 1970er Jahre ein Modell in Hausgröße baute. Eine Vielzahl an Holzzahnrädern setzt sich zur halben und vollen Stunde vor den Augen der Besucher:innen in Bewegung, es rattert, klackert – ein komplexes System. Und dann geht oben ein Türchen auf und der Kuckuck erfüllt seine Pflicht.

Nach einem Schlenker durch das Gutach- und das Kinzigtal führt uns die Deutsche Uhrenstraße in einem Mix aus Rechts- und Linkskurven wieder steil hinauf nach St. Georgen. Neben der Straße plätschert ein Bach über bemooste Felsen, entlang an mit Eiszapfen geschmückten, kahlen Büschen. Wer die komplette Uhrenstraße abfahren möchte, passiert auf knapp 300 Kilometern durch den mittleren und südlichen Schwarzwald einstige Zentren der deutschen Uhrenindustrie wie etwa Eisenbach, Lenzkirch oder St. Märgen.

Zurück am Ausgangspunkt in Furtwangen gewährt Museums-Uhrmacher Matthias Beck einen Blick in seine Werkstatt. Keine Schnitzspäne, kein Holzgeruch, dafür ein Computer, kleinste Schraubendreher, Pinzetten, Lupen und eine große Schreibtischleuchte. Wie der Holzbildhauer Christophe Herr versteht auch Beck sich als Bewahrer.

Auf Entdeckungstour: Im Furtwanger Uhrenmuseum lernen auch die Kleinsten, wie Uhren eigentlich ticken
Auf Entdeckungstour: Im Furtwanger Uhrenmuseum lernen auch die Kleinsten, wie Uhren eigentlich ticken © Deutsches Uhrenmuseum

Die frühere Uhrmacherschule Furtwangen legte den Grundstein für die heutige Hochschule

Seine Ausbildung hat er an der benachbarten Robert-Gerwig-Gewerbeschule, die aus der ursprünglichen Uhrmacherschule hervorgegangen ist, gemacht. Den großen Unterschied seiner Arbeit zu der anderer Uhrmacher beschreibt der 37-Jährige mit einem Schmunzeln: „Im Uhrenmuseum müssen die Uhren nicht laufen – alles soll im Originalzustand erhalten bleiben“.

Die Liebe zur Materie ist ihm anzumerken, wenn er erzählt, wie wichtig es sei, bei einer Uhr erst hinzuschauen. „Bevor ich sie aufmache, frage ich mich, was hat sich der Mensch gedacht, der sie konstruiert hat; welche Veränderungen hat die Uhr schon erlebt.“ Kommen Besucher:innen mit technischen Fragen, geht er rüber in den Ausstellungsraum und erklärt. Technikbegeisterte können sich über die Geschichte informieren, aber auch den Brückenschlag in die Moderne erleben. Denn noch heute prägen Unternehmen das Wirtschaftsleben Furtwangens, die in den vergangenen Jahrhunderten als Uhrenproduzenten oder Zulieferer begonnen hatten. Und an der Hochschule Furtwangen, die an das Uhrenmuseum angrenzt, wird schon an den nächsten technischen und elektronischen Zukunftsfeldern geforscht.

Mehr Informationen

  • Deutsche Uhrenstraße
    Durch den gesamten mittleren und südlichen Schwarzwald zieht sich die touristische Route und führt vorbei an landschaftlichen Highlights und spannenden Schauplätzen der Uhrengeschichte. 
  • Robert Herr Kuckucksuhren
    Triberger Strasse: 38/40
    78136 Schonach
    Tel.: +49 (0)7722/5274
  • Deutsches Uhrenmuseum 
    In Furtwangen findest Du die größte Sammlung von Schwarzwalduhren weltweit. Aber auch weitere Uhren der Geschichte sind hier ausgestellt.