Der Gasthof Engel auf dem Hochberg in Schollach, seit 1919 im Besitz der Familie Waldvogel.

Amors Pfeil auf dem Hochberg

Die Liebe ist auch in der Höhenlage zielsicher
09.02.2016

von Barbara Bollwahn

Bereits mit sechs Jahren wusste der kleine Thomas, dass er, wenn er groß ist, die Gastwirtschaft seiner Eltern übernehmen würde, den Gasthof Engel auf dem Hochberg in Schollach, seit 1919 im Besitz der Familie. 

Während seine zwei älteren Brüder in der Küche Salate richteten oder spielten, war er, der Kleinste, im Service in der Gaststube der Größte. Mit Begeisterung unterhielt er die Gäste und bediente sie und ließ sich auch gern von ihnen bei den Hausaufgaben helfen, die er in der Gaststube machte. Als er mit der Schule fertig war, wurde er Koch und übernahm einige Jahre später tatsächlich den Gasthof. Doch bevor es soweit war, beschlich ihn bisweilen die Angst, die im Schwarzwälder Idiom zur Angscht wird, dass er vielleicht keine Frau finden würde, die zu ihm auf den Hochberg zieht, wo auf 1.135 Meter Höhe der Gasthof thront.

Heute helfen seine Töchter gerne mal in der Küche mit.
Heute helfen seine Töchter gerne mal in der Küche mit. © Barbara Bollwahn

Ein Hamburger Dirn mit langen blonden Haaren

Die Angst war unbegründet. In einem anderen Gasthaus, im nicht weit entfernten Jostal, wo er seine Kochlehre gemacht hatte, lernte er in der Küche die 15-jährige Sonja kennen, ein Hamburger Dirn mit langen blonden Haaren, die mit ihren Eltern in der Nähe von Karlsruhe wohnte. Während der Vater eine neue Gasanlage in dem Gasthof installierte, machte sie einen Ferienjob in der Küche. Einige Jahre später, Sonja machte eine Lehre als Hauswirtschafterin im etwa 200 Kilometer entfernten Murgtal im nördlichen Schwarzwald, liefen sie sich auf einer Tanzveranstaltung wieder über den Weg. Ab da an, es gab noch kein Internet und Handy, schrieben sie sich regelmäßig Briefe.

Amors Pfeil traf sie dann auf dem Hochberg. Denn um in die Gaststube zu gelangen, muss man unter dem Namensgeber der Wirtschaft hindurchgehen, einem Engel, der mit Pfeil und Bogen auf einer schmiedeeisernen Lampe über der Eingangstür hängt. Über Weihnachten hatten die Wirtsleute nicht genug Personal und Thomas hatte Sonja gefragt, ob sie helfen könne. Doch dann war gar nicht so viel los und so saßen die Beiden eines Abends in der Gaststube am Kachelofen auf der Kuscht, auf der Ofenbank, und tranken Glühwein. Ab da an kam sie jedes Wochenende zu ihrem Engel.

„Da zogen wir das Ding durch“

Trotzdem dauerte es noch e weng, bis der Schwarzwälder und die Norddeutsche ein Paar wurden. Manchmal sahen sie sich mehrere Monate nicht, weil er nicht weg kam vom Hochberg und oder sie Wochenendschicht hatte. Dann telefonierten sie stundenlang in der Nacht. Und nach etwa vier Jahren „zogen wir das Ding durch“, wie Thomas Waldvogel es nennt. Sie beschlossen, das 1778 errichtete Haus auf dem Hochberg gemeinsam so umzubauen, dass sie ihr eigenes Reich und eine Tür zum Abschließen haben.

Sonja fiel die Umstellung zu seiner große Erleichterung gar nicht so schwer.

“Ich lebte vorher ja schon im Nordschwarzwald und wusste in etwa, worauf ich mich einlasse“
(Sonja Waldvogel)

Doch es gab viel Stress und wenig Zeit für die junge Liebe. „Oftmals war es hart, das muss man sagen“, erinnert sich Thomas Waldvogel, 45, „besonders für Sonja“. Doch die widerspricht prompt, im Schwarzwälder Dialekt, den sie längst angenommen hat. „Sell net.“ Sie nennt die Zeit damals lediglich „angespannt“. Als Thomas Waldvogel einen Unfall hatte und einige Wochen in der Klinik war, saß sie regelmäßig an seinem Krankenbett, und half zu seiner großen Freude seinen Eltern, die ihn noch immer in der Wirtschaft und der Küche unterstützen. Thomas Waldvogel fiel ein großer Stein vom Herzen. Denn für ihn war klar, dass er eine Frau braucht, die mitzieht. „Sonst geht das nicht.“

Nach dem Antrag ließen die kleinen nicht lange auf sich warten.
Nach dem Antrag ließen die kleinen nicht lange auf sich warten. © Barbara Bollwahn

Und Sonja zog mit. Als der Umbau fertig war, machte er ihr einen Antrag und sie musste nicht lange überlegen.

“Ich wusste immer, es gibt Sachen, die weiß ich einfach“
(Sonja Waldvogel)

„Wir lachen über die gleichen Sachen, haben ähnliche Interessen, spinnen gern zusammen, Thomas ist großzügig, das hat einfach gepasst.“ Sie kündigte ihre Arbeit und zwei Monate später, am 24. März 2007, heirateten sie auf dem Standesamt in Gernsbach im Murgtal. Drei Monate später ließen sie sich den kirchlichen Segen geben. Seitdem trägt die Frau aus dem Norden den im Hochschwarzwald verbreiteten Namen Waldvogel. „Schnell war klar, dass mein Mädchenname Bertram nicht akzeptiert wird“, sagt sie. „Hier bin ich Frau Waldvogel und das isch okay.“

Als Reingeschmeckte hat man es nicht leicht...

Gleich am Montag nach der Hochzeit fand im Gasthof eine Teambesprechung statt. „Es gab ja eine neue Chefin“, sagt Thomas Waldvogel und lacht wieder. „Ich habe mich schnell zu Hause gefühlt“, ergänzt seine Frau, ohne aber zu verschweigen, dass die Akzeptanz einer Zugezogenen, einer Reingeschmeckten, nicht vom Himmel gefallen ist. Ließen Stammgäste sie anfangs bisweilen auflaufen oder machten Sprüche, als sie während der Schwangerschaften, in denen es ihr oft nicht gut ging, immer mal wieder ausfiel, drehte sie irgendwann den Spieß um. „Dann habe ich die Gäste hochgenommen.“ Während Thomas Waldvogel die Küche schmeißt, ist sie für den Service und die Ferienwohnungen zuständig. Zur Freude vieler Gäste macht sie nicht nur Marmeladen selbst, sondern auch einen famosen Eierlikör mit vielen frischen Eiern und ordentlich Kirschwasser.

...aber ist das Schwarzwälder Dirn nun zu Haus

Ihre zwei Töchter, Nina und Conny, 7 und 4 Jahre, zwei lustige, aufgeweckte, handfeste Mädchen, sind oft in der Küche oder in der Gaststube, so wie der kleine Thomas früher. Doch die Eltern müssen sich darauf verlassen können, dass sie, wenn sie draußen allein spielen, keinen Unfug anstellen. Als Kind fand Sonja Waldvogel die soziale Kontrolle auf dem Land „ätzend“. Auf dem Hochberg im Schwarzwald aber ist sie froh, dass alle in der Gegend wissen, wo die zwei Waldvogel-Mädchen hingehören.

Die zwei Töchter, zwei lustige, aufgeweckte, handfeste Mädchen, sind oft in der Küche oder in der Gaststube.
Die zwei Töchter, zwei lustige, aufgeweckte, handfeste Mädchen, sind oft in der Küche oder in der Gaststube. © Barbara Bollwahn

Gewöhnungsbedürftig waren für Sonja Waldvogel die bisweilen harten Winter. Einmal war sie auf der schmalen Straße hoch zum Gasthof fast eingeschneit, weil der Schneeräumdienst nicht gekommen war. „Ich hab die Straße nicht mehr gesehen“, erzählt sie. Das fand sie so beängstigend, dass sie seitdem bei solchem Wetter nicht mehr zum Einkaufen fährt. Doch dem Winter kann sie trotzdem was abgewinnen.

“Wenn es dämmrig wird, draußen der Schnee fällt und wir am warmen Kachelofen sitzen, gibt es nichts Schöneres“
(Sonja Waldvogel)

Sonja Waldvogel wird immer eine Hamburgerin bleiben. Aber auf dem Hochberg im Gasthof Engel ist das Schwarzwälder Dirn zu Haus.