45 Jahre lang hat Fehrenbach als Feinmechaniker Zahnräder, Wellen und Getriebe für Maschinen hergestellt.

Der Uhrenbauer

"Die ticken so schön langsam hin und her."
16.05.2013

von Barbara Bollwahn

Ticken die Uhren im Hochschwarzwald anders? Nach einem Besuch bei Otmar Fehrenbach lässt sich die Frage eindeutig mit Ja beantworten. Zur Zeit, dem stetigen und unwiderruflichen Vergehen von Sekunden und Minuten, hat der pensionierte Feinmechaniker ein ganz besonderes Verhältnis.

Schon der Ort, an dem der 67 Jährige wohnt, scheint, als wäre die Zeit vor langem in ihrer schönste Form stehen geblieben. Fehrenbach lebt in einem Weiler, der zu dem Höhenluftkurort Hinterzarten gehört, und etwa zehn Kilometer außerhalb des Ortes am Waldesrand idyllisch am Alpersbach liegt. Sein Zuhause ist die alte Sägemühle des erstmals 1446 urkundlich erwähnten Urbanshofes, auf dem er aufgewachsen ist. Seit seinem 22. Lebensjahr lebt er hier, umgeben von grünen Wiesen und vom schwarzen Wald. Auf 1.010 Meter Höhe ist nicht nur das Verhältnis zur Zeit ein gelassenes. Auch das der Menschen miteinander ist es. „Über eintausend Meter duzt man sich“, sagt Fehrenbach mit wachen blauen Augen und versteckt ein schüchternes Lachen unter seinem Schnauzbart.

Die Passion des Herrn Fehrenbach

Bereits die Uhren im Garten künden davon, dass hier jemand mit viel Phantasie wohnt. An der Holzschindelfassade des Hauses erhebt sich ein Zeitanzeiger, den Fehrenbach selbst gebaut hat – aus dem Kammrad einer Mühle, einem Kronenrad, großen und kleinen Zahnrädern, einem langen Pendel, einigen Wagenrädle, einem zehn Kilogramm schweren Stein und einem Kletterseil. Diese Uhr läuft nur zwei Stunden. Dann muss sie aufgezogen werden, oder nicht. Wenige Meter daneben steht Fehrenbachs rollende Werkstatt, das „Museumshüttl“, ein Holzwagen, mit dem er immer mal wieder auf Festen das Drechseln von Spindeln und Fräsen von Zahnrädern vorführt.

Das Kammrad einer Mühle, ein Kronenrad, große Zahnräder, ein langes Pendel, Wagenrädle, Stein und Kletterseil: Diese Uhr läuft nur zwei Stunden. Dann muss sie aufgezogen werden, oder nicht.
Das Kammrad einer Mühle, ein Kronenrad, große Zahnräder, ein langes Pendel, Wagenrädle, Stein und Kletterseil: Diese Uhr läuft nur zwei Stunden. Dann muss sie aufgezogen werden, oder nicht. © Barbara Bollwahn

Im Innern des Hauses setzt sich seine Passion fort. In so gut wie jedem Raum sind fein säuberlich Zahnräder, Anker, Pendel und Werkzeuge sortiert, an den Wänden hängen Schilderuhren, Pendeluhren, Kastenuhren, Kuckucksuhren, Lackschilduhren und Waagbalkenuhren. Das sind Holzräderuhren, die ab dem 17. Jahrhundert in einigen Schwarzwaldtälern in Heimarbeit hergestellt wurden. Auf dem Ziffernblatt gibt es nur einen Zeiger, der die Viertelstunden anzeigt. Dazu kommen Fehrenbachs Eigenkreationen wie die Uhr, die aus einer alten Herdplatte und einer Auto-Bremsscheibe besteht. „Ich sehe fast in allem eine Uhr“, gesteht er lachend. Auch an den Wänden rechts und links der steilen Treppe, die hinunter in zwei kleine Werkstätten mit Bohr- und Fräsmaschinen stehen, die mit Fußpedalen angetrieben werden, tickt es leise und bedächtig.

45 Jahre lang hat Fehrenbach als Feinmechaniker Zahnräder, Wellen und Getriebe für Maschinen hergestellt, bei denen es auf die Hundertstelsekunde ankam. „Das hat mich nervös gemacht“, erzählt er. Ausgerechnet bei den Uhren, deren Aufgabe darin besteht, die Zeit möglichst genau anzuzeigen, hat der Junggeselle einen Ausgleich gefunden. „Die ticken so schön langsam hin und her“, sagt er, „das ist sehr beruhigend“. Fehrenbach betont immer wieder, dass er kein Uhrenmacher ist, auch wenn viele ihm ihre kaputten Uhren bringen, sondern Uhrenbauer. Bevor er los legen kann, fließt viel Wasser die Alper hinter seinem Haus hinunter.

Herdplatte, Bremsscheibe - und jetzt eine Uhr!
Herdplatte, Bremsscheibe - und jetzt eine Uhr! © Barbara Bollwahn

Fehrenbach schlägt das Buchenholz bei abnehmendem Mond zwischen den Jahren im Winter, anderthalb Jahre lässt er es an der Luft trocknen, dann sägt er es in Scheiben und legt diese zum imprägnieren vier Woche lang in Gülle. Dass das Holz nicht nach Kuhurin oder Schweinekot riecht, liegt daran, dass Fehrenbach es nach dem Güllebad weitere anderthalb Jahre an der Luft trocknen lässt, bis er es schließlich zwei Winter in die Rauchkammer hängt. Durch diese Behandlung verzieht sich das Holz nicht und schrumpft auch nicht.

Lebt allein im Weiler - aber hat die Welt gesehen.

Fehrenbachs Zuhause mag einem Museum gleichen. Auch in der Küche, vor deren Fenster sich gemächlich das Mühlenrad dreht, setzt sich diese Zeitreise in die Vergangenheit fort. Während alte Kochbücher Staub ansetzen, kommt eine 100 Jahre alte Apfelschälmaschine noch immer regelmäßig zum Einsatz. Hin und wieder nimmt Fehrenbach auch die Schrotmühle in der Küche in Betrieb, die mit dem Mühlenrad angetrieben wird, „als Gaudi“, um Futter für die Hühner zu machen. Fehrenbach fühlt sich in der Abgeschiedenheit seines Weilers aber nicht von der Welt abgeschnitten. Das hat auch damit zu tun, dass er einiges gesehen hat von der großen weiten Welt. Anfang der 70er Jahre, als im Ausland deutsche Facharbeiter gesucht wurden, ging er nach Australien. In Bremerhaven stieg er auf ein Schiff, das vier Wochen für die Überfahrt nach Melbourne brauchte.

In so gut wie jedem Raum sind fein säuberlich Zahnräder, Anker, Pendel und Werkzeuge sortiert.
In so gut wie jedem Raum sind fein säuberlich Zahnräder, Anker, Pendel und Werkzeuge sortiert. © Barbara Bollwahn

Nach zweieinhalb Jahren kam er zurück in den Schwarzwald. Das Heimweh war größer als das Fernweh. Aber bis heute zieht es ihn immer wieder hinaus aus dem Hochschwarzwald. Entweder ganz weit weg, bis nach Nepal zum Wandern, oder so wie fast jedes Jahr für mehrere Wochen auf einen Campingplatz nach Südfrankreich. Wenn Otmar Fehrenbach seine Ruhe haben will, haut er ab.

Im Garten liegt ein Berg rostiges Eisen – jede Menge Material für weitere Uhren, die Fehrenbach mit „e kleiweng Phantasie“ auch in einem alten Türschloss sehen kann. Doch alles zu seiner Zeit. Fehrenbach lässt sich nicht hetzen. Deshalb und weil er ein Mensch ist, dem es schwer fällt, nein zu sagen, hängt ein Schild an seiner Tür, auf dem er um Verständnis bittet, dass er keine Reparaturen mehr annimmt. „Rückfällig“ geworden ist er zuletzt bei der Reparatur einer Uhr eines Pfarrers. Die hat er angenommen, weil er hofft, wie er lachend erzählt, dass der liebe Gott ihm seine Sünden vergeben werde.

"Mit e kleiweng Phantasie", werden auch daraus einmal Uhren!
"Mit e kleiweng Phantasie", werden auch daraus einmal Uhren! © Barbara Bollwahn

Urlauber und andere Uhreninteressierte, die Fehrenbach besuchen wollen, können ihn anrufen. Ob der bescheidene Mann die Tür zu seinem tickenden Reich öffnet, entscheidet die Zeit. Entweder hat Fehrenbach welche oder er hat keine. Das ist so verblüffend simpel und überzeugend wie die alten Uhren aus Holz, die mit einem einzigen Zeiger in Etwa angeben, was die Zeit geschlagen hat.