Wenn das Wetter gut ist, sein Kreuz nicht schmerzt und auch ihre Knochen mitspielen, fährt das Ehepaar Waldvogel in den Wald.

Die Waldvogels und ihre Reiswellen

Das Geheimnis der Schwarzwälder Kachelöfen
02.07.2015

von Barbara Bollwahn

Nach dem Mittagessen legen sich Adolf und Johanna Waldvogel gern für ein Stündchen ab. Danach fahren sie, wenn das Wetter gut ist, sein Kreuz nicht schmerzt und auch ihre Knochen mitspielen, in den Wald. Dort machen die Eheleute, Jahrgang 1937 und 1940, seit Jahrzehnten zusammen Riswellen.

Reiswellen, das sind Bündel aus Reisig und Tannenästen mit denen im Schwarzwald die Kachelöfen geheizt werden.

An diesem Tag fühlt sich Johanna Waldvogel nicht so gut, deshalb zieht ihr Mann alleine los. Er lädt den Reiswellenbock, ein eisernes Gestell, das sein Bruder vor einem halben Jahrhundert gebaut hat, in den Schaufellader, legt e weng Draht dazu, schiebt das Hütchen zurecht und steigt auf den Traktor Baujahr 1974. Gemütlich tuckert er zum Wald hinauf, der über dem „Vierig“ am Rudenberg liegt, einer viereckigen Wiese wenige Kilometer von Titisee-Neustadt entfernt, wo früher seine Kühe grasten.

Mit Reiswellen bleibt der Ofen bis zum nächsten Tag warm

Viecher hat Adolf Waldvogel schon lange keine mehr. Und nachdem er an der Schulter operiert wurde, soll er nicht mehr schwer arbeiten. „Wenn's heut nicht geht, dann morgen“, sagt er.

“Ich geh gern in den Wald. Bisch an de frische Luft und es isch notwendig für den Kachelofen.“
(Adolf Waldvogel)
Mit geübten Griffen kürzt er das Holz und schlägt mit der Axt Seitenäste ab.
Mit geübten Griffen kürzt er das Holz und schlägt mit der Axt Seitenäste ab. © Barbara Bollwahn

Kachelöfen gehören zum Schwarzwald wie das Brandenburger Tor zu Berlin. Um ihn nicht nur ordentlich, sondern auch möglichst lange einzuheizen, braucht es keine dicken Holzscheite. Mit einer Reiswelle bleibt der Ofen bis zum nächsten Tag warm.

Adolf Waldvogel stellt seinen Traktor ab und platziert den Wellenbock neben einem Baumstumpf, auf dem ein Deckel aus Blech liegt – als Nässeschutz. „Wenn der Baumstumpf trocken ist“, erklärt er, „federt der Schlag mehr“. Er nimmt den Deckel ab, setzt sich auf den Baumstumpf und genießt einen Moment die Stille, die nur ab und an von dem Gezwitscher eines Vogels unterbrochen wird. „Auch das Reisig muss schön trocken sein, sonst fallen später die Nadeln ab“, fährt er fort und erhebt sich langsam. Dann greift er sich Äste und Zweige von der Rottanne, die wenige Meter weiter auf der Wiese liegen und die er schon vor einiger Zeit geschlagen hat. „Rottanne isch immer e weng besser“, sagt er.

Im Wald hat man Ruh

Mit geübten Griffen kürzt er das Holz auf eine Länge von gut einem Meter und schlägt mit der Axt Seitenäste ab. Die Länge einer Reiswelle kann variieren, je nach der Tiefe des Ofens. „Nai, nai“, sagt Adolf Waldvogel,

“da müsse auch so Bengel dabei sein, kräftige Äste, sonst bringt es nicht genug Wärme“.
(Adolf Waldvogel)

Bald hat er einen ordentlichen Haufen im Wellenbock zusammen. Immer wieder presst er das Holz mit den Händen zusammen. Zum Schluss wird das Bündel von dem gezackten eisernen Bügel des Wellenbocks in die Zange genommen, indem Adolf Waldvogel ihn mit aller Kraft nach unten drückt.

Zum Schluss bindet er das Ganze mit einem Stück Draht zusammen, hebt das Bündel aus dem Bock und wirft es in den Schaufellader. Etwa sieben, acht Kilogramm wiegt eine Reiswelle. Als Adolf Waldvogel nach dem Krieg mit seiner Mutter Reiswellen gemacht hat, nahm er weich geklopfte grüne Äste zum zusammen binden.

“Du häsch nix weg gworfe damals.“
(Adolf Waldvogel)
Zum Schluss wird das Bündel von dem gezackten eisernen Bügel des Wellenbocks in die Zange genommen.
Zum Schluss wird das Bündel von dem gezackten eisernen Bügel des Wellenbocks in die Zange genommen. © Barbara Bollwahn

Zu Hause wird er schon von seiner Frau erwartet. „Wie wars?“ „Schee.“ Sie holt ihm ein Glas Wasser, das er in großen Zügen trinkt. Dann zeigt sie eine kleine Axt, Bäxer oder auch Däxel genannt, um zu zeigen, wie sie damit im Wald das Holz bequem zu sich heranziehen kann. Auch sie liebt es, draußen in der Natur zu sein.

“Im Wald isch es andersch, schön, die frische Luft un man hat sei Ruh.“
(Johanna Waldvogel)

Manchmal, erzählt sie lachend, bleiben „Kurgäschd“ so lange am Reiswellenbock stehen und „stelle Froge“, dass sie vor lauter Erzählen kaum zum Riswellen machen kommen.

Als junge Frau wollte Johanna Waldvogel, die siebenfache Großmutter ist, Kindergärtnerin werden. Aber an eine Ausbildung war nicht zu denken. Sie musste im Haus, Stall, Wald und auf dem Feld helfen, dann kamen die Kinder, 1964, 1965, 1969, 1973, 1975, 1976. Auch Adolf Waldvogel hat immer gearbeitet, ohne in eine Lehre gegangen zu sein. Er hat Holz geschlagen, Langholz transportiert, war bei einem Schweizer Fuhrunternehmen, auf dem Bau, bei der Bahn.

Früher gab es kein "Keine Lust".

Johanna Waldvogel zündet auch an kühlen Frühlingstagen eine Reiswelle im Kachelofen an. Auf das Ofenstängle hängt sie Socken und Küchentücher zum Trocknen. Im Warmhaltefach an der Seite hat sie ein mit Kirschkernen gefülltes Kopfkissen, Socken und ihr Nachthemd deponiert – so friert sie abends nicht, wenn sie schlafen geht. Auch sie hat schon als Kind Reiswellen gemacht. „Da gab es kein 'Keine Lust'“, sagt sie und lacht. Ihr Mann ergänzt: „Kei Bock, nai, nai, das gab es nicht.“ Kei Bock auf den Wellenbock, unvorstellbar für Adolf und Johanna Waldvogel.

Kei Bock auf den Wellenbock, unvorstellbar für Adolf und Johanna Waldvogel.
Kei Bock auf den Wellenbock, unvorstellbar für Adolf und Johanna Waldvogel. © Barbara Bollwahn

„Wir machen es immer noch gern miteinander“, sagt Johanna Waldvogel. „Solange wir können“, sagt Adolf Waldvogel. Wird es ihnen irgendwann zu schwer, hoch in den Wald zu fahren, bleibt der Kachelofen in der guten Stube trotzdem nicht kalt. Einer ihrer Söhne hat wie sie das Reiswellenmachen als Kind gelernt. Sie haben es ihm gezeigt.