Groß und Klein im Leibgeding
Sie kennen sich seit Ewigkeiten, einige sind zusammen zur Schule gegangen, jahrelang sind sie gemeinsam in den Urlaub gefahren, mit Zelt und Rucksack, nach Italien oder Kuba. Mittlerweile sind sie Eltern geworden. Weil sie aber weiter mit den Freunden weg fahren und ebenso als Selbstversorger unterwegs sein wollen, ist guter Rat teuer. Wo können zehn Erwachsene, drei Kinder zwischen einem und sieben Jahren und fünf Säuglinge Ferien machen, ohne sich auf die Füße zu treten und ohne ein Vermögen auszugeben?
Fündig geworden sind die Männer und Frauen zwischen Mitte 30 und Mitte 40, die in Kirchheim-Teck, Karlsruhe, Stuttgart und Esslingen leben, im Schwarzwald. Auf dem Schwörerhof im oberen Jostal, 15 Kilometer vom Titisee entfernt, haben sie eine Bleibe ganz nach ihrem Geschmack gefunden. Zu dem Bauernhof gehört ein jahrhundertealtes Leibgedinghaus, das Hiesli, das mit 140 Quadratmetern und sechs Schlafzimmern groß genug für alle ist. Bingo.
Einander wiedersehen und Zeit zum Reden
An der Haustür des 300 Jahre alten Hauses mit den dunklen Holzschindeln hängt als Klingel eine eiserne Glocke, die ein kleiner Hahn ziert. Im Innern des Hauses heißt ein Holzschild die Gäste willkommen: „Herr segne dieses Haus und alle, die da gehen ein und aus.“ Sowohl in der Küche als auch in den anderen Räumen gibt es genug Platz, um alles unterzubringen, was so eine große Gruppe braucht. Zudem können sie auf dem Schwörerhof, einem Bio-Bauernhof mit Mutterkuhhaltung, Ziegen, Gänsen und Hühnern, frische Milch und Eier kaufen.
Weil entweder eins der Kinder, Tim, Liam, Jakob, Ana, Hannah, Vincent, Sophie oder Laura etwas will oder braucht, ein Vater oder eine Mutter Essen oder Trinken zubereiten, sprechen drei der Freunde für alle. „Hier ist es super!“, sagt Sebastian Sielemann.
Die Gruppe war froh, etwas gefunden zu haben, das in etwa gleich weit entfernt ist von den unterschiedlichen Wohnorten. Das Wichtigste seien das Wiedersehen und Zeit zum Reden. „Wenn wir ein bisschen Schlaf kriegen und ein bisschen spazieren gehen, ist das schon ein gelungener Urlaub“, fügt er lachend hinzu. „Herrlich, die frische Luft!“, freut sich Stefan Roth.
Volker Gerwig, leidenschaftlicher Angler, ist begeistert, weil man ganz in der Nähe noch dazu Forellen fangen kann. „So geht's den Armen“, fasst er lachend alle Vorzüge zusammen. „Wie soll es da den Reichen gehen?“
Das Leibgedinghaus ist bestens für die Bedürfnisse von Groß und Klein geeignet. Dass es so urig und manche Wand vom jahrelangen Schinkenräuchern dunkel ist, stört niemanden. Im Gegenteil, das gefällt den Freunden ausgesprochen gut, wie auch die Tatsache, dass es im Haus keinen Internetanschluss gibt, dafür aber eine Biokläranlage. Die meiste Zeit verbringen die Großen und Kleinen ohnehin draußen. Auf den Wiesen rund um das Haus, im Sandkasten, auf der Schaukel, im Wald oder auch mal am Titisee oder beim Eselreiten, abends am Grill oder Lagerfeuer. Wenn die Kinder schlafen, genießen die Eltern die Stille, die sich in der Dunkelheit über den Schwarzwald legt. Als einer aus der Runde fragt, „Grillen wir heute?“, schallt es aus vielen Mündern laut „Ja!“
Eine Kuh macht Muh, viele Kühe...
Einige der Eltern kennen den Schwarzwald bereits aus ihrer Kindheit, als ihre Eltern mit ihnen dort Urlaub gemacht haben. Eine Frau hat als kleines Mädchen im Titisee gebadet, eine andere kann sich noch gut daran erinnern, wie sie vor Jahrzehnten auf einem Bauernhof in der Nähe von Freiburg mit der Bäuerin Brot gebacken und dem Bauer beim Viehabtrieb geholfen hat. „Das sind ganz, ganz tief festgesetzte Erinnerungen“, sagt sie. Sebastian Sielemann ist vor einigen Jahren mit seiner damals schwangeren Freundin durch die Wutachschlucht gewandert und sie haben drei Nächte in Bonndorf verbracht. Stefan Roth hat in der Wutachschlucht oder einer Nebenschlucht, so genau weiß er das nicht mehr, vor einigen Jahren beim Geocatching einen Schatz versteckt.
Volker Gerwig und seine Frau sind einmal an einem kindfreien Wochenende von Blumberg nach Rötenbach gewandert und in der Schattenmühle abgestiegen. Amüsiert erzählt Gerwig, dass er den gleichen Nachnamen trägt wie der Bauingenieur aus Karlsruhe, der zwischen 1863 und 1873 die Schwarzwaldbahn konstruiert hat. Und es freut ihn, wie aufgeschlossen die Schwarzwälder sind. „Man muss sie nur ansprechen“, sagt er. „Wie man in den Wald hinein ruft, schallt es hinaus.“ Stefan Roth gibt schließlich zum Besten, ganz der stolze Papa, wie sein fast einjähriger Sohn im Jostal zum ersten Mal bewusst eine Kuh gesehen und laut gelacht hat. Dazu hat er den Satz aufgesagt, den auch er als Kind gelernt hat: „Eine Kuh macht Muh, viele Kühe machen Mühe.“
Zählt man all die alten und neuen Erlebnisse zusammen, sind die Freunde aus Kirchheim-Teck, Karlsruhe, Stuttgart und Esslingen auf dem besten Weg, bald richtige Stammgäste des Schwarzwaldes zu werden. „Wir kommen auf jeden Fall wieder“, versichern sie.