In Quellwasser baden
Das Freibad in Lenzkirch-Kappel gibt es bereits seit 1934. Seitdem pilgern Generationen von Einheimischen und Gästen hierher, um selbst im heißesten Sommer schwimmend einen kühlen Kopf zu bewahren, sich zu entspannen und zu treffen. Aber nicht nur das: Seit die Zukunft des Bades auf der Kippe steht, packen sie alle mit an, damit der idyllische Rückzugsort inmitten schönster Schwarzwaldlandschaft erhalten bleibt.
Das Bad ist geschichtsträchtig. Mit Kinderbecken, 50-Meter-Bahn und vor allem dem unter Denkmalschutz stehenden, schmucken Umkleidehäuschen inklusive Kiosk ist es fest im Dorfleben verankert – und bietet selbst Stoff für allerlei Geschichten. Wie die von Wolfgang Gfell. Spätabends von zu Hause aus durch den Wald machte er sich als achtjähriger Bub allein auf den Weg, dann hatte er endlich Zeit. Sein Ziel: das Kappeler Freibad. Seine Mission: schwimmen lernen. Allein, im mucksmäuschenstillen Bad. Am Rand hielt er sich fest, stieß sich ab und versuchte, ein, zwei Meter zurückzulegen, „ohne Wasseraufnahme“, erzählt er schmunzelnd. „Einmal wäre es fast schiefgegangen, da musste ich Wasser trinken, bis ich wieder stehen konnte.“ Aber schließlich schaffte er eines Abends die ganze Breite.
Heute, 70 Jahre später, zieht der Bademeister gerade die Badische Flagge neben dem Eingang hoch, die im Wind flattert als Zeichen, dass alles bereit ist. Während Wolfgang Gfell seine Schwimmerfahrungen noch auf eigenes Risiko machte, wacht Herbert Brenner heute am Beckenrand als eine von drei Aufsichten über die Badegäste. „Aber außer kleinen Verletzungen ist noch nie etwas passiert“, sagt er. Als weitere wichtige Aufgabe kontrolliert er drei Mal am Tag die Qualität des Wassers.
Doch noch hat Brenner nichts zu tun. Die Morgensonne strahlt auf die ruhige, spiegelglatte Wasserfläche, setzt Glanzlichter auf das fette Schwarzwaldpanorama, das bis zum Horizont reicht, wo weit in der Ferne der dunkelgrüne Waldsaum in ein sattes Himmelblau übergeht. Es ist ruhig, nur ein leises Glockengebimmel bringt der Wind von der angrenzenden Wiese mit, denn Kühe sind die einzigen Nachbarn des Kappler Freibads.
Dann trudeln auch schon die ersten Besucher ein, ein älteres Pärchen wünscht mit Schirm unterm Arm „einen schönen guten Morgen, allerseits“ und kurz darauf breiten zwei Familien ihre Badetücher auf der weitläufigen Liegewiese unter den alten Bäumen aus. Eine Frau krault ihre Bahnen, dann stürmen zwei Jungs herein und kaum, dass sie ihre Handtücher abgeworfen haben, lösen sie mit zwei satten Köpfern ein kleines Wellenbad aus.
Viele Köpfe halten das Bad am Laufen
Neben Bademeister Brenner braucht es noch weitere Leute, um das Bad zu betreiben. Zum Beispiel den Kappler Ortsvorsteher Roland Berr, der vollkommen hinter dem Erhalt des Freibads steht. Oder Sarah Leufke, die den Freibadförderverein leitet, ohne den dem Bad sicher schon längst das Wasser abgegraben worden wäre. Apropos Wasser: Das stammt aus drei Quellen im Wald und wird nur von der Sonne aufgeheizt.
Fast Trinkwasserqualität hat es, das Technik-Team Eugen Schlegel und Reinhard Schweda chlort nur minimal. Ohnehin kümmert sich Schlegel um alles, was Wasser, Becken und Filter angeht. „Eugen kennt das technische Innenleben des Bads auswendig, alle Geheimnisse, jedes Ventil und alle Schrauben. Wenn irgendetwas kaputt ist, dann ist er es, der die Leckage aufspürt und gemeinsam mit weiteren Helfern flickt“, preist Ortsvorsteher Roland Berr seinen langjährigen Mitarbeiter. Ganze 28 Jahre ist der gelernten Landmaschinenmechaniker bei der Gemeinde angestellt.
Charmantes Bad…
Sicher, mit einem modernen Spaßbad mit Sprungtürmen oder Hightech-Rutschen hat das Kappeler Freibad so viel zu tun wie die Apple Watch mit einer Kuckucksuhr. Aber wer statt Trubel eine Oase mitten in der Natur sucht, statt Palmen und Kunstkitsch echte Schwarzwaldtannen und Panoramablick, wer selbstgebackene Kuchen, Couscous- oder Wurstsalat vom denkmalgeschützten Kiosk dem Fastfood vom Schnellimbiss vorzieht, der ist hier richtig.
„Wir haben viele Stammgäste, die kommen aus Basel, Karlsruhe, aus Stuttgart her, nur, um in das Bad zu gehen. Das spricht schon für sich“, sagt Leufke vom Förderverein. Mit einer Mischung aus Ruhe, Naturgenuss und vielfältigem Veranstaltungsprogramm hat sich das Bad zum Besuchermagneten entwickelt. So findet bereits seit 25 Jahren einmal jährlich ein stets gut besuchtes Beachvolleyballturnier statt. Und auch das seit 2003 ausgerichtete Badezuberrennen ist legendär, dazu kommen Schwimmfeste. „Die Bevölkerung trägt das Bad zu 100 Prozent. Das ist kein Freibad für die Bevölkerung, sondern die Bevölkerung hat ihr Bad“, fasst Ortsvorsteher Berr die besondere Stimmung zusammen.
… in seiner Existenz bedroht
Also angekommen im Paradies? Fast. Doch es ist ein existenzgefährdetes, das mit veralteter Technik, einem Filter, der nicht mehr allzu lange durchhält und Rohrbrüchen zu kämpfen hat. Denn die Gemeinde Lenzkirch als Betreiberin des Kappler Freibads und eines weiteren direkt in Lenzkirch kann keine teure Sanierung stemmen. „Die Kommunen sind recht knapp bei Kasse und Lenzkirch leistet sich zwei Bäder. Deswegen gründete sich in den 1980er Jahren auch der Förderverein“, fasst Leufke zusammen. Die Kappler und auch weitgereiste Gäste kämpfen um das Bad; mittlerweile zählt der Schwimmbadförderverein mehr als 1000 Mitglieder – das sind mehr, als Kappel Einwohner hat, 840 Seelen zählt der Ortsteil.
Seither unterstützt der Förderverein den Erhalt, pflegt das Bad und hält es instand. Die Gemeinschaft trifft sich im Frühjahr, lässt mit der Feuerwehr das Wasser ab. Dann rücken 40 Helfer mit Kärcher, Besen und Gummistiefeln an und schrubben das ganze Becken, ehe geschweißt und repariert wird. Auch das jährliche Beckenstreichen stemmt der Verein, schneidet die Hecken, reinigt die Plättchen, zupft Unkraut, besorgt die Sonnenschirme, schreibt Förderanträge oder organisiert gleich einen ganzen Spielplatz. Insgesamt kam so eine Rekordarbeitszeit von 2000 Stunden in der Saison 2020 zusammen. Außerdem sammelt der Verein eifrig Spenden, verkauft Socken, backt Weihnachtskekse und Kuchen, sammelt Müll an einem Festival – und alles nur, um an Geld zu kommen. Denn sie haben große Pläne, die Kappler.
Naturschwimmbad für die Region
Zwar gewährt die Gemeinde Lenzkirch dem Bad Bestandsschutz, solange alles noch läuft. Doch jedes Frühjahr kommt das große Zittern und die Kappler bangen, ob sie ihr Bad noch einmal in Betrieb nehmen können. Deshalb kam der Verein auf die Idee, das Freibad in ein Naturschwimmbad umzubauen. „Naturbäder sind im Kommen. Viele denken an einen Tümpel mit Seerosen. Aber es ist ein ganz normales Schwimmbad, bei dem das Wasser nur nicht mehr gechlort, sondern natürlich gefiltert wird“, erklärt Leufke. Einmal mehr wurde der Schwimmbadförderverein aktiv, ließ eine Machbarkeitsstudie auf eigene Kosten durchführen. Das Ergebnis: Ein Bad, das viel günstiger ist als ein konventionelles. Eines, mit natürlichem Schwimmbecken und einem sogenannten Infinity-Edge-Pool mit freiem Blick, der vorgaugelt, direkt in die Schwarzwaldlandschaft hineinzuschwimmen. Der Filterteich liegt ein Stück abseits und liefert das Nass in Trinkwasserqualität. „Das heißt, es wäre ein Becken, gefüllt mit Trinkwasser. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal und würde gut in die Region und zum Thema Nachhaltigkeit passen“, schwärmt Leufke.
Doch bis es soweit ist, müssen noch einige Gelder fließen. Und so sammeln sie weiter für das neue Naturschwimmbad mit Filterteich, großer Holzterrasse und für einen vergrößerten Kiosk. Denn der jetzige ist unter Wirt Jannik Kötting, der viel Wert auf Regionalität und Qualität legt, längst ein Renner. „Im Sommer ist das hier die Gartenwirtschaft von Kappel. Hier trifft sich wirklich jeder“, stellt Ortsvorsteher Berr fest. Kötting genießt den bunten Mix aus Beachvolleyballern, ambitionierten Schwimmern, den Landfrauen und Familien. „Ich habe meine Damen, die frühschwimmermäßig unterwegs sind, genauso wie den Handwerkerstammtisch am Abend“, erzählt er. Bis 21 Uhr hat Kötting geöffnet, und auch mal länger, wenn sich die Leute „verhocken“, wie er sagt. Kein Wunder: „Wenn man hier abends mit seinem Cocktail sitzt und sieht die Sonne untergehen überm Feldberg – das ist Lebensqualität, die ich anderswo vermisse. Man vergisst Stress, Termine und entschleunigt.“ Und auch die Badische Flagge, bevor sie morgens wieder hochgezogen wird, nimmt ein letztes Sonnenbad am Abend.