
Rettung aus der Luft
Auf einmal bleibt der Sessellift stehen. Runter kommt man immer, heißt es. Nur wie?
Das haben wir bei einer Übung der Bergwacht in Todtnau selbst erleben dürfen …
Jetzt lassen sie mich hängen. Endlich! Die Zeit im Sessellift kam mir ewig vor. Der Lift blockierte. Es ging nicht mehr vorwärts und auch nicht mehr rückwärts. Runterspringen wäre der pure Wahnsinn. Zu hoch. Mindestens zehn Meter sind es bis zum Hang unter mir. Vielleicht sogar mehr. Aber vielleicht sollte ich erst einmal erzählen, wie ich hierhergeraten bin ...

Wenn der Sessellift stillsteht: Übung für den Ernstfall mit der Bergwacht
Normalerweise läuft der Hasenhorn-Sessellift in Todtnau nonstop und tadellos. Was wäre, wenn er mal einfach stehen bliebe? Das kam noch nie vor, könnte aber passieren. Dann kommt die Bergwacht. Dieser vor mehr als 100 Jahren gegründete Verein ist Partner der Sommerrodelbahn Hasenhorn Coaster, zu der der Sessellift gehört. Sollte eine Situation wie diese eintreffen, dann wären die Helden in Rot und Blau zur Stelle. Die Bergwacht ist im ganzen Schwarzwald präsent und hilft, wenn ein Segelflieger im Baum landet, ein Pistengott sich die Haxen bricht oder ein Biker stürzt. Oder wenn es darum geht, aus einer blockierten Seilbahn die Menschen zu retten. Für den Fall der Fälle findet einmal im Jahr eine Übung statt. Dieses Mal sind acht Bergwachtstationen aus dem Südschwarzwald dabei. Das Ziel ist, eine vollbesetzte Bergbahn zu retten. 70 Leute! Die Bergwacht arbeitet gegen die Zeit:
Bevor es dunkel ist, sollen alle Menschen in Sicherheit sein. Denn ohne Tageslicht wird es noch kniffliger.

Eine Fahrt voller Erwartung im Hochschwarzwald
Wo kommen all die Leute her? Der Auftrieb schaut so aus, als würde es gleich mit
Reinhold Messner auf den Mont Blanc gehen. Die beste Ski- und Winterkleidung wurde für diesen Anlass angezogen. „Hallo, ich bin ein Opfer!“, sagt eine gutgelaunte Frau. „Wo kann ich mich retten lassen?“, ruft eine tiefe Männerstimme. Viele sind hier, weil sie als Wanderer und Wintersportler die Bergwacht wertschätzen oder weil sie selbst bei der Bergwacht sind. Nach und nach leert sich der Platz, und jetzt bin ich an der Reihe und steige in den Sessellift. Mein Mitfahrer klappt den Sicherheitsbügel nach vorne und beißt
ins Käseweckle. Ich stiere in die Tiefe, wo aus einem Meter zwei werden, vier, sechs, acht, zehn...

Stillstand in luftiger Höhe: Der Ernstfall beginnt
Eigentlich fährt der Lift zur 1026 Meter hohen Hasenhorn Bergstation 13 Minuten. Meine Fahrt aber endet viel eher. Wie weiter? Na, gar nicht. Zwischen zwei und zweieinhalb Stunden kann es dauern, bis ich wieder unten bin. Über einen Lautsprecher kommt eine Ansage: „Wir bedauern sehr, dass es leider bis jetzt noch nicht gelungen ist, die technische Störung zu beheben.“ Währenddessen läuft die Hilfe an. Der Alarm ist ausgelöst, der Liftbetreiber informiert die Leitstelle, und diese zieht den Bergeplan aus der digitalen Schublade. Die Sache kommt sprichwörtlich ins Rollen. Die acht Rettungsteams kommen aus Freiburg, Hinterzarten, Münstertal, vom Notschrei und anderswo. Wir warten. Es schlägt drei viertel. Es schlägt die volle Stunde. Wenn ich mir den Hals verrenke, sehe ich die Zwiebeltürme von Todtnau.
„Eigentlich fährt der Lift zur 1026 Meter hohen Hasenhorn Bergstation 13 Minuten. Meine Fahrt aber endet viel eher.“

Hightech trifft Bergrettung: Drohnen im Einsatz und koordinierte Kommunikation
Vorher war’s kühl, jetzt ist es kalt. Wie kann ich mir die Zeit vertreiben? Das Geläut der Kirchenglocken zählen oder meinen Nachbarn zutexten. Im Stillen hoffe ich, dass es nicht regnen wird. Meine Grübelei wird von einer Drohne unterbrochen, auf der Kamera und Lautsprecher installiert sind. Sie spricht mich an. Wie im Film! „Wenn Sie medizinische Hilfe brauchen, machen Sie auf sich aufmerksam oder winken Sie.“ Nein, alles prima. Von weiter oben höre ich „Hilfe, Hilfe!“ Wie ich später erfahre, wurde ein medizinischer Notfall geprobt.
Unten stehen zeitgleich zig Leute vor dem Bildschirm, auf den die Drohnenbilder
gespielt werden. Hier spricht Einsatzleiter Jakob Schmid, 25, ins Funkgerät. „Drei Leute, 40 Minuten, verdammt“, ruft der Mann mit der Strickmütze. Es ist nicht klar, wie er das meint, ob die 40 Minuten schnell oder langsam sind. Die Helfer haben zwei Funkgeräte, eines für das größere Netzwerk und das andere für die Leute im Einsatz. Die Seilbahn ist für eine bessere Übersicht in Sektionen unterteilt, die nach Stützpfeilern nummeriert sind.

Die Rettung naht: Schritt für Schritt zurück auf festen Boden
Als ich das Geräusch von Metall höre, weiß ich, dass ich keine zwei Stunden warten muss und wahrscheinlich nicht nass werde. Zwei Leute steigen an der Metallstütze hoch. Sie machen das zielstrebig, Schritt für Schritt. Klong. Klong. Jeder Schritt wird mit Karabinern abgesichert. Die Stütze endet auf einer Plattform.
Jetzt geht es schnell. Der eine Helfer hängt einen Rollbock auf das gespannte Stahlseil zwischen den Stützen und rollt mit den Füßen voran in meine Richtung. Damit er mir nicht mit Karacho in den Schoß rauscht, reguliert der Hintermann auf der Plattform das Tempo. Keine Minute später lese ich „Floris“ auf der Jacke meines Helfers. Floris will wissen, wie es mir geht. Gut. Kurz muss ich meinen Po heben und bekomme einen Fetzen Stoff (das Rettungsdreieck) untergeschoben. Dann die Arme heben, es macht klack-klack, und ich fühle mich wie ein Rollbraten.
Jetzt bemerke ich das Seil. Unten steht Klara, die mit Bernd und Floris ein Team bildet. Sie hält das Seil und wird mich absichern. Ich soll nach vorne rutschen, sagt Floris. Noch ein bisschen! Und noch ein bisschen weiter vor. Aber wie lange noch? Meine Beine hängen schon in der Luft. Jetzt noch einmal. Da ich wohl keine Wahl habe, tue ich, was er sagt. Für einen Moment falle ich und spüre ich, dass da nichts ist. Ruckartig geht es dann Stück für Stück wieder auf die Erde, und ich verspüre ein flaues Gefühl des Sinkens im Magen. Weil nach oben schauen weniger aufregend ist als nach unten, bemerke ich auch gar nicht, dass ich schon so gut wie unten bin. So schnell geht’s. Das war’s? Fast!
„So schnell geht’s. Das war’s? Fast!“
Karabiner aufmachen, Gurte abstreifen, den brutal steilen Hang runterstiefeln und sich unten abmelden. So hat alles seine Ordnung, und keiner wird vergessen. Das würde aber garantiert nie passieren. Jakob spricht immer noch in sein Walkie-Talkie, die Drohne sichtet immer noch die Sektoren. Ein paar Leute hängen noch in der Luft – und jetzt regnet es auch.