Unter Hochdampf im Hochschwarzwald
Margrit Matyscak kennt den Schwarzwald seit ihrer Kindheit, als sie mit ihren Eltern viele Jahre die Ferien am Schluchsee verbrachte, immer in der gleichen Pension, die es auch heute noch gibt.
Sie kann sich gut an die vielen Eichhörnchen erinnern, die sie fütterte und die Wanderungen und Spaziergänge. Auch als sie in Trier studierte, Germanistik, Anglistik, Kunst und Musik, verbrachte sie, wann immer es ging, die Urlaube am Schluchsee. Mit ihrem Mann Kamil, der das erste Mal als Kind im Geografieunterricht vom Schwarzwald gehört und prompt ein Bild ganz in Schwarz gemalt hatte, saß sie oft am Ufer des Schluchsees. Das Paar träumte davon, eines Tages für immer dort zu leben.
Erst Amerika, dann Brenden
Bis es soweit war, haben sie andere Ecken der Welt bereist. Mit einem VW Bus waren sie ein Jahr in Amerika unterwegs, später sind sie mit tausenden Dias durch Deutschland getourt. Sie lebten in Mannheim und Weinheim, bis sie 1991 ihren Traum erfüllten. Die ersten zwei Jahre wohnten sie zur Miete, dann fanden sie ein Baugrundstück in Brenden, einem Ortsteil der Gemeinde Ühlingen-Birkendorf, und ihr eigenes Zuhause bauten - wenige Kilometer vom Schluchsee entfernt. „Seitdem sind wir seßhaft“, sagt Margrit Matyscak zufrieden.
Die Landschaft, ist sie überzeugt, präge auch die Menschen. „Man wird ruhiger.“ Trotzdem ist die 69jährige noch regelmäßig unterwegs, als freie Journalistin schreibt sie für die Badische Zeitung über Konzerte und Ausstellungen.
„Auch ich fühlte mich sofort von der Landschaft angezogen“, sagt Kamil Matyscak, der einen tschechischen Vater und eine deutsche Mutter hatte und 1969 aus Tschechien geflohen ist. „Die Farbenpracht im Herbst“, schwärmt er. „Das Pilz-Eldorado und die reine Luft.“ Er hat sich ein Elektrofahrrad zugelegt, geht gern in den Wald, sucht Pilze, Heidelbeeren, Holunderblüten. Die Matyscaks sind, wie die meisten der knapp 500 Brendener, Eingeschmeckte, Zugezogene. Aber Ablehnung haben sie nie erfahren. Margrit Matyscak ist Fördermitglied im Trachtenverein, ihr Mann gehört dem Schützenverein Schluchsee an.
Die Liebe zum Schwarzwald inspiriert
Ihre Liebe zum Schwarzwald zeigt sich auch in dem, womit sie sich beschäftigen. Margrit Matyscak fotografiert den Schwarzwald, viele Jahre hat sie Schwarz-Weiß-Fotos in der eigenen Dunkelkammer entwickelt, die Kamera fehlt bei kaum einem Spaziergang. Steine liebt sie so sehr, dass sie sich als „Steinfetischistin“ bezeichnet. „Wir gehen darauf“, sagt sie, „und sie geben uns Bodenhaftung“. Steine im Haus und im Garten sorgen dafür, dass sie die Bodenhaftung nicht verliert. Zudem inspiriert der Schwarzwald die ehemalige Lehrerin zum Schreiben von Fabeln und Geschichten, und zuletzt zu einem Krimi, „Der Tannenzäpflemord“, und in dem der Schluchsee natürlich nicht fehlen darf.
Der Garten wird zur Werfte
Kamil Matyscak hat noch nie so lange am gleichen Ort gelebt wie im Schwarzwald. Seit 25 Jahren ist er nun dort zu Hause. Und in Brenden hat er sich einen langgehegten Wunsch erfüllt: Der Maschinenbauingenieur, der unter anderem in der Schweiz bei einer Firma gearbeitet hat, die Dampfturbinen entwickelt und konstruiert, hat ein Dampfboot gebaut. Von Dampf war er schon als Kind fasziniert. Sein Vater war Bahnhofsvorsteher in Mähren und als kleiner Junge konnte er gar nicht genug kriegen von dem Dampf der Lokomotiven.
Drei Jahre lang baute er im Garten, der ihm als Werfte diente, an seinem Dampfboot „Heron“, das er nach einem griechischen Physiker und Ingenieur benannte, der etwa 200 Jahre vor Christus lebte und die erste bekannte und dokumentierte Wärmekraftmaschine erfand. Als Bootsrumpf verwendete Kamil Matyscak ein Rettungsboot, 1,3 Tonnen schwer, das in einer Bremer Werft hergestellt wurde. Das Boot hat eine Länge von 6,50 Metern, ist 2,20 Meter breit, den Rumpf hat er mit verschiedenen Hölzern ausgebaut, die Dampfmaschine aus einem Bausatz konstruiert. Den Treibstoff für das Dampfboot liefert ein Kessel, der 71 Liter Wasser fasst. Dieser produziert den Dampf, der die Kolben der Maschine in Bewegung setzt und dafür sorgt, dass das Dampfboot mit fünf bis sechs PS bis maximal elf Stundenkilometer auf stehenden Gewässern fahren kann.
Vom Schluchsee in die großen Gewässer
Nachdem der Schwarzwald Kamil Matyscak und seiner Frau schon zur Heimat geworden war, sollte der Schluchsee, mit fast 70 Quadratkilometern der größte See im Schwarzwald und der höchstgelegene Talsperrensee Deutschlands, zum Heimathafen für ihr Dampfboot werden. Im Sommer 2012 war die Jungfernfahrt auf dem Schluchsee. Das Landratsamt erteilte eine wasserrechtliche Genehmigung für eine Testfahrt. Auch bei den Hochschwarzwälder Dampftagen auf dem Schluchsee war „Heron“ willkommen. Doch dauerhaft darf das Dampfboot nicht auf den Schluchsee, obwohl der Gemeinderat und die Schluchseewerk AG als Betreiber der Pumpspeicheranlage nichts dagegen haben. In ganz Deutschland, sagt Kamil Matyscak, gibt es nur etwa 40 Dampfboote, jedes davon ein Unikat.
Das Paar musste die bittere Pille schlucken. Da „Heron“ auf einen Bootsanhänger passt, kann das Boot problemlos transportiert werden, beispielsweise zum Bodensee. Dort darf das Dampfboot fahren. Im August dieses Jahres waren die Matyscaks mit „Heron“ in Schweden unterwegs und sind auf dem Rückweg den Rhein entlang gefahren, an Waldshut vorbei, gegen die Strömung.
Wird es eines Tages zu beschwerlich mit dem Dampfboot, dem Autofahren oder dem Schneeschippen, können Margrit und Kamil Matyscak sich vorstellen, nach St. Blasien oder Waldshut umzuziehen, um auch die letzten Jahre in ihrem geliebten Schwarzwald zu verbringen.