Gruseleffekt: Die Holzmaske der Geisterwölfe hat leuchtend rote Augen.

Urhex meets Geisterwölfe

Närrisches Generationentreffen: Ein Interview
14.10.2016

von Florian Kech

Fastnacht ist ein uralter Brauch. Dagegen sind Narrenzünfte oft jünger als man annimmt. Viele Figuren gibt es erst seit den Sechzigern. In dieser närrischen Boomphase wurden auch die Unadinger Urhexen aus der Taufe gehoben. Einer ihrer Gründerväter ist Bruno Kramer.

Mit ihm treffen wir uns im urigen Jägerhaus in Neustadt. Der graubärtige Kramer, der nach seiner Hexenzeit zwanzig Jahre Narrenvater in Unadingen war, hat im Herrgottswinkel Platz genommen. Neben ihm sitzen Birgit Kürner und Corinna Ganz aus St. Peter. Die beiden jungen Frauen sind im Vorstand der Geisterwölfe, die es erst seit 2010 gibt. Was unterscheidet die beiden Zünfte, was verbindet sie? Ein launiges Stammtischgespräch über das Wesen von Fastnacht und eine unverwüstliche Tradition.

Florian Kech: Warum feiern Sie Fastnacht?

Corinna Ganz: Also ich bin von klein auf – ich konnte gerade mal so laufen - von meiner Oma genötigt worden, an Fastnacht mit zu machen. Man lernt Leute kennen, man trifft sich. Die Brauchtumspflege an sich war für mich zunächst einmal gar nicht so wichtig.

Bruno Kramer: Fastnacht gehört in Unadingen einfach dazu. Die Bedeutung erkennt man auch daran, dass nach dem Krieg die Tradition direkt wieder fortgeführt wurde. Auch ich bin da reingewachsen.  Schon ab der ersten Klasse hat man am Fastnachtmontag an einem Kinderumzug teilgenommen. Die Lehrer waren damals sehr aktiv. Bei uns im Ort machen so gut wie alle mit, das gilt bis heute.

"...aus der Zusammenarbeit entstehen aufwändige Wagen und Gruppen mit tollen Kostümen."
"...aus der Zusammenarbeit entstehen aufwändige Wagen und Gruppen mit tollen Kostümen." © Bruno Kramer

Florian Kech: In den Sechzigern herrschte eine närrische Gründerzeit. Damals entstand auch die Figur der Unadinger Urhexen. Wie kam es dazu?

Bruno Kramer: In Unadingen gibt es schon sehr lange einen Hexenumzug, wo sich jeder verkleidet hat, wie er wollte. 1968 hatte der Narrenvater dann die Idee, eine einheitliche Hexengruppe zu gründen. Anfangs waren wir sieben Burschen, alle ziemlich groß und kräftig, heute sind es mehr als zwanzig. 

Florian Kech: Seit 2010 spuken in St. Peter die Geisterwölfe. Warum ausgerechnet Wölfe - und nicht Hexen?

Birgit Kürner: (lacht) Hexen waren tatsächlich ein Thema. Doch dann erinnerten wir uns an die alte Sage, die von einer Wolfsplage in St. Peter erzählt. Ich kenne sie von meiner Oma.

Corinna Ganz: Es gibt bei uns auch einen Wolfsweg. Über diesen soll das Rudel eingewandert sein.

Birgitt Kürner: Die Wölfe seien sehr ausgehungert gewesen und hätten angefangen, Ziegen und Rinder zu reißen.

Florian Kech: Woraus besteht euer Häs?

Corinna Ganz: Wir schnallen uns eine Kette um die Hüfte, mit der man die Wölfe früher gefangen hat. Dazu tragen wir ein dunkles Fell und einen breiten Ledergürtel. Das Wertvollste ist die Holzmaske mit den roten Augen für den Gruseleffekt.

Dunkles Fell, gefletschte Zähne und böser Blick: Ein Geisterwolf!
Dunkles Fell, gefletschte Zähne und böser Blick: Ein Geisterwolf! © P.H.otography

Florian Kech: Was kostet das alles zusammen?

Birgit Kürner: Für das ganze Häs kommen rund siebenhundert Euro zusammen.

Bruno Kramer: Unsere ersten Masken waren noch aus Plastik. Ein Jahr nach der Gründung ließen wir uns echte Holzlarven schnitzen und bemalen. Der Stückpreis lag damals bei fünfzig D-Mark. Das muss man sich mal vorstellen. Heute kostet eine fertige Larve zwei- bis dreihundert Euro. Untenrum trägt die Urhexe einen Rock, eine Schürze, eine weiße Hose und Strohschuhe. Deren Sohle bestand ursprünglich aus alten Autoreifen. Mit denen hatte man einen wunderbaren Halt auf Eis und Schnee. 

Florian Kech: Hexen beziehen bei Umzügen ja gern das Publikum mit ein – vornehm ausgedrückt. Wie führen sich die Unadinger Urhexen auf?

Bruno Kramer: Ein Gründungsmitglied war ein leidenschaftlicher Bastler. Von dem hatten wir auf einem Wagen ein Drehrad, an dem wir Personen festschnallen konnten. Meistens wurden aus dem Publikum natürlich Maidle geholt. Später bauten wir noch einen Käfig. Heute treiben sie ihre Späße mit einem rotierenden Schesenwagen, den die Hexen vor sich herschieben.

Närrische Gründerzeit: Die Masken der Urhexen bestanden am Anfang aus Plastik
Närrische Gründerzeit: Die Masken der Urhexen bestanden am Anfang aus Plastik © Bruno Kramer

Florian Kech: Und was machen die Geisterwölfe bei Umzügen – außer heulen?

Corinna Ganz: (lacht) Das meiste wird ja verboten.

Florian Kech: Zum Beispiel?

Corinna Ganz: Konfetti zum Beispiel. Wir hatten früher Kabelbinder dabei. Das ist mittlerweile auch nicht mehr gern gesehen. Jetzt wedeln wir den Leuten halt mit einem Fuchsschwanz durchs Gesicht.

Florian Kech: Was ist für euch der schönste Tag an Fastnacht?

Birgit Kürner: Unser Umzug am Fastnachtssonntag. Den hat früher die Landjugend organisiert, seit zwei Jahren machen wir das. An dem Umzug nehmen um die zwölf einheimische Gruppen mit Mottowagen teil. Das ganze Dorf ist auf den Beinen.

Bruno Kramer: Unser Höhepunkt ist ganz klar der Fastnachtsdienstagsumzug. Vor der Fasnet wird vom Elferrat ein Motto festgelegt. Jeder der Räte übernimmt dann quasi als Pate eine Gruppe aus Einheimischen. Aus dieser Zusammenarbeit entstehen aufwändige Wagen, begleitet von Fußgruppen mit tollen Kostümen. Ein Wahnsinnsaufwand wird da betrieben. Bei gutem Wetter lockt der Umzug tausend Besucher an. Das ist schon etwas Außergewöhnliches für einen kleinen Ort wie Unadingen mit seinen tausend Einwohnern.  

Umzug mit Mottowagen: Das ganze Dorf ist auf den Beinen.
Umzug mit Mottowagen: Das ganze Dorf ist auf den Beinen. © Bruno Kramer

Florian Kech: Narrenzünfte sind berüchtigt für ihre speziellen Aufnahmerituale. Was ist da bei Ihnen Sitte?

Bruno Kramer: Bei uns gibt es am Fasnetmontag am Hexenbrunnen, wo der Umzug immer Halt macht, eine kleine Aufnahmezeremonie. Neumitglieder bekommen dann halt was Spezielles zu essen und trinken. (lacht) Ich halte zur Sicherheit meistens etwas Abstand.

Corinna Ganz: Wir sehen für Neumitglieder ein Probejahr vor, wo man sozusagen als nackter Wolf nur im Pulli mitläuft. Wer dabei bleibt, erhält eine Taufe, verbunden mit jährlich wechselnden Mutproben und Spezialcocktails aus Gurkenwasser und Leberwurst.

Birgit Kürner: Ich gehöre in der Zunft zu den Vorkostern und muss sagen: Es war noch immer alles essbar.  

Florian Kech: Wie wichtig sind für Sie Narrentreffen und andere Auswärtsspiele?

Bruno Kramer: In Unadingen hat schon immer die Meinung vorgeherrscht, Fasnet muss im Ort bleiben. In einem Nachbarort war es so, dass sie kaum mehr einen Bunten Abend zustande gebracht haben, weil alle auswärts gingen. Das ist im Übrigen auch ein Grund, warum wir nie einer Vereinigung beigetreten sind. An einzelnen Narrentreffen nehmen wir aber natürlich trotzdem teil.

Birgit Kürner: Es sind vor allem die jüngeren Narren, die es auswärts zieht. Da bieten sich halt mehr Kontaktmöglichkeiten.

Corinna Ganz: (lacht) Früchte aus dem anderen Garten schmecken immer besser.

Florian Kech: Die größte Sorge eines Narren besteht darin, an Fastnacht zu kränkeln. Wie beugt man vor?

Bruno Kramer: Es gilt das alte Gesetz: Wer vor der Fasnet zu oft weggeht, hat keine Luft mehr, wenn es darauf ankommt.

Birgit Kürner: Und ganz wichtig: Urlaub nach Fastnacht.

Narren aus zwei Generationen: Birgit Kürner, Corinna Ganz und Bruno Kramer.
Narren aus zwei Generationen: Birgit Kürner, Corinna Ganz und Bruno Kramer. © Florian Kech