Elias Weber setzt sich in seinem Heimatort St. Peter für die Öffnung und Modernisierung von Schwarzwälder Brauchtum ein.

Vielfalt bedeutet Stärke

Elias Weber - einer der Traditionen modern macht
11.04.2025

von Matthias Maier

Der Wald ist sein Rückzugsort. Hier tankt er Energie. „Schon als Kind war ich davon fasziniert“, erzählt Elias Weber: „Man kommt im Wald an Orte, wo so eine Ruhe und Ursprünglichkeit herrscht.“ Wie im Bannwald am Zweribach. Dorthin zieht er sich gern zurück, wenn er mal für eine Weile komplett raus sein will aus dieser großen, chaotischen Welt. In der so oft von Krisen die Rede ist…

Von der Klimakrise zum Beispiel: Um mit ihr zurechtzukommen, ist Elias überzeugt, braucht es einen gesunden Mischwald. Mit vielen unterschiedlichen Baumarten, jungen und alten, großen und kleinen. „Vielfalt bedeutet im Wald Stärke, Stabilität und Widerstandskraft“, sagt der ausgebildete Forstwirt. Ein Satz, der sich auch auf unser Zusammenleben als Menschen übertragen lässt, findet er. Dass ihm viel an einer offenen, vielfältigen Gesellschaft liegt, hängt nicht zuletzt mit seiner persönlichen Geschichte zusammen.

„Vielfalt bedeutet im Wald Stärke, Stabilität und Widerstandskraft“
(Elias Weber)
Der Wald liegt Elias am Herzen, deshalb machte er eine weitere Ausbildung zum Forstwirt

Der Wald liegt Elias am Herzen, deshalb machte er eine Ausbildung zum Forstwirt © Hochschwarzwald Tourismus GmbH

Ein mutiger Neuanfang

Im Jahr 2018 – er ist grade 22 Jahre alt – kann Elias wegen einer Handgelenksverletzung vier Monate nicht arbeiten. Er durchlebt eine schwierige Zeit, denkt viel über sich und sein Leben nach, ist unzufrieden. Irgendwann kommt er zu dem Entschluss: Er muss sich outen. Er wird seiner Familie und seinen Freunden von seiner Homosexualität erzählen. Doch allein der Gedanke beängstigt ihn zutiefst. Wie würden die Leute reagieren? Zumal in einem kleinen, eher konservativen Dorf? Elias erinnert sich: „Ich bin davon ausgegangen, dass mir mein ganzes Leben von heute auf morgen wegbricht.“ Ein Leben, dass er liebt. Hier, in St. Peter, wo er sich daheim fühlt, viele Freundschaften geknüpft hat, in der Trachtenkapelle Trompete spielt, sich im Jugendclub und weiteren Vereinen engagiert hat.

St. Peter, das barocke Kleinod an der Schwarzwald-Panoramastraße, liegt auf einem Hochplateau am Südhang des Kandels.
St. Peter, das barocke Kleinod an der Schwarzwald-Panoramastraße, liegt auf einem Hochplateau am Südhang des Kandels. © Hochschwarzwald Tourismus GmbH

Intensive Verbindung zur Heimat

Aufgewachsen ist Elias auf dem Bauernhof seiner Familie, gut 2 km außerhalb des Ortskerns. Von klein auf hilft er auf dem Hof mit. Mal widerwillig, meistens aber ziemlich gerne. „Landwirtschaft ist eine unheimlich befriedigende Arbeit“, sagt er, „und sie ist für das Erscheinungsbild des Schwarzwalds essenziell.“ Doch Elias will auch andere Berufe kennenlernen, macht in Freiburg eine Ausbildung zum Elektroniker, fängt danach in einem Betrieb in seinem Heimatort an, für den er heute noch arbeitet. „Durch diesen Job spüre ich eine ganz intensive Verbindung zu St. Peter“, sagt er. Weil er viele der alten Gebäude kennt – und schon an besonderen Orten gearbeitet hat, wo sonst nie jemand hinkommt, wie im historischen Klostergewölbekeller. Da ihm auch der Wald am Herzen liegt, beginnt Elias eine weitere Ausbildung zum Forstwirt, engagiert sich zudem in Vereinen – und er ist auf so gut wie jedem Fest anzutreffen. In seinem Wohnzimmer hängt eine ganze Wand voll mit Schnappschüssen von Grillfesten, Musikfestivals und Urlauben mit seinen Freunden.

„Durch diesen Job spüre ich eine ganz intensive Verbindung zu St. Peter“
(Elias Weber)
"Man kommt im Hochschwarzwald an Orte, wo so eine Ruhe und Ursprünglichkeit herrscht“, schwärmt Elias Weber.
"Man kommt im Hochschwarzwald an Orte, wo so eine Ruhe und Ursprünglichkeit herrscht“, schwärmt Elias Weber. © Hochschwarzwald Tourismus GmbH

Wie wird das Umfeld reagieren?

Was sich von den Befürchtungen vor dem Outing bewahrheitet hat? „Wenig bis gar nichts“, lautet seine Antwort. „Im Großen und Ganzen habe ich mit den Reaktionen meines Umfelds positive Erfahrungen gemacht – was nicht heißt, dass alles unproblematisch war. Aber mein Freundeskreis hat sich dadurch nicht verändert.“ Vieles in Elias‘ Leben ist heute genau wie früher. Zum Glück. Manches hat sich jedoch geändert – auch zum Glück! „Ich bin heute viel zufriedener, weil ich mich selbst jetzt so akzeptieren kann – auch wenn es sicherlich Prozesse gibt, an denen ich noch arbeite.“

„Ich bin heute viel zufriedener, weil ich mich selbst jetzt so akzeptieren kann, auch wenn es sicherlich Prozesse gibt, an denen ich noch arbeite.“
(Elias Weber)

Berlin ruft – doch das Herz bleibt im Schwarzwald

Zwei Jahre nach seinem Outing macht das Handgelenk wieder Probleme. Da nicht klar ist, ob er auch künftig im Handwerk wird arbeiten können, entscheidet er sich zu einem Elektrotechnik-Studium. In Berlin. Weil er den krassesten Gegensatz zu St. Peter sucht. Und weil er spürt, dass er Zeit für sich selbst benötigt und Abstand gewinnen, mal was anderes sehen will. „Es war eine gute Zeit in Berlin“, sagt er rückblickend. Elias fängt an, in einer Bar zu arbeiten. Profitiert von den Möglichkeiten, die ihm die Großstadt bietet: offen und direkt Leute kennenzulernen, Männer anzusprechen. Aber er merkt auch, was ihm fehlt: „Die Lebensart, das Gemeinschaftsgefühl, der Zusammenhalt – aber auch die echte Natur, die Ruhe, Freiheit, Weite.“ In Berlin kann er immer nur bis zum nächsten Häuserblock sehen. „Das war für mich das Schlimmste.“ Kein Wunder, wenn man vom Vorderwillmenhof kommt, von dem man gefühlt den halben Schwarzwald überblickt.

Beim Vorderwillmenhof, wo er zu Hause ist, organisiert Elias mit Freunden alle zwei Jahre ein Fest, zu de das halbe Dorf kommt

Beim Vorderwillmenhof, wo er zu Hause ist, organisiert Elias mit Freunden alle zwei Jahre ein Fest, zu dem das halbe Dorf kommt © Hochschwarzwald Tourismus GmbH

Zurück in die Heimat

Nach dem Studium zieht er 2023 wieder nach St. Peter. Wo er direkt in der Natur ist, joggen, mountainbiken, im Winter snowboarden gehen kann – oder sich einfach nur mit seinen Kumpels und einem Kasten Bier an den Waldrand setzen und die Aussicht genießen. „Diese Dinge brauche ich, um ausgeglichen und zufrieden zu sein. Das habe ich in Berlin gemerkt.“ Dafür ist er bereit, auf andere Möglichkeiten und Vorteile der Großstadt zu verzichten.

Für seine Werte steht Elias trotzdem ein. Wenn er mitbekommt, dass irgendwo ein unbedachter, verletzender Spruch fällt, versucht er, die Person direkt darauf anzusprechen. „Die Kraft dazu kann ich aber auch nicht in jeder Situation aufbringen“, schränkt er ein. Dennoch: Elias bezieht klar Stellung – nicht nur gegen Homophobie, sondern gegen jede Art von Diskriminierung. Er übernimmt Verantwortung. So oft er eben kann. Vielleicht hat er sich auch deshalb im Juni 2024 als Kandidat für die Kommunalwahlen aufstellen lassen. Und wurde von den St. Petermern gleich in den Gemeinderat gewählt.

Elias in der Tracht der Trachtenkapelle St. Peter – ein fester Teil der Dorfkultur.

Elias ist Teil der Trachtenkapelle St. Peter - und wurde auch in den Gemeinderat St. Peter gewählt. © Hochschwarzwald Tourismus GmbH

Bräuche neu gedacht: Wenn jeder lieben darf, wen er will

Einer der Schwarzwälder Bräuche, die Elias am Herzen liegen, ist das Scheibenschlagen zu Beginn der Fastenzeit. Dabei schleudern die jungen Männer des Dorfes nach Anbruch der Dunkelheit kleine glühende Holzscheiben, die sie an ihren Stöcken befestigt haben, zu Tal. Im Flug erzeugen die rotierenden Scheiben spektakuläre Leuchteffekte. Die erste Scheibe widmet jeder Junggeselle traditionell seinem „Schiebemaidle“, also seinem Scheibenmädchen – das häufig die feste Partnerin ist. Ein Usus, mit dem Elias sich aus offensichtlichen Gründen nie identifizieren konnte. Also sprach er das Thema an in seiner Trachtenkapelle, die das Scheibenschlagen mit weiteren Vereinen organisiert. Und stieß auf Verständnis. Seitdem haben „Schiebebuebe“ in St. Peter auch offiziell die Option, ihre Scheibe einem Mann zu widmen.

Elias setzt sich für das Schwarzwälder Brauchtum ein - und dessen zeitgemäße Ausgestaltung. Etwa, wenn es um das traditionelle Scheibenschlagen der Trachtenkapelle St. Peter geht.
Elias setzt sich für das Schwarzwälder Brauchtum ein - und dessen zeitgemäße Ausgestaltung. Etwa, wenn es um das traditionelle Scheibenschlagen der Trachtenkapelle St. Peter geht. © Hochschwarzwald Tourismus GmbH

Elias wünscht sich weitere solcher kleinen und großen Schritte: einfach mehr Sichtbarkeit in der Region für das Thema Homosexualität. Damit andere es dann vielleicht leichter haben als er, sich zu öffnen. In diesem Bereich sieht er noch viel Bedarf: „Wenn sie nicht dazu stehen können, wer sie sind, sich verstecken müssen und deswegen womöglich sogar wegziehen, geht viel Potenzial verloren.“ Er erhofft sich mehr gesellschaftlichen Austausch über Diversität, Identität, sich wandelnde Rollenbilder. Miteinander ins Gespräch kommen, statt nur übereinander zu reden. 

Zum Beispiel auf dem Vorderwillmenhof-Festival, das Elias und seine Freunde alle zwei Jahre im August veranstalten. Was als privates Partywochenende auf dem Hof begann, wurde über die Jahre immer größer. Inzwischen kommen viele Nachbarn und Bekannte zu dem lauschigen Dorfhock am Waldrand, hoch über St. Peter. Wenn dort oben dann die Lichterketten angehen, wenn die Abendsonne in der Ferne hinter den Vogesen versinkt, wenn Jung und Alt gemeinsam zu Livemusik tanzen und man Elias an der Theke reden und lachen sieht – dann kommt einer seiner vielen prägnanten Sätze in den Sinn: „Hier will ich halt sein. Und hier will ich leben.“

„Hier will ich halt sein. Und hier will ich leben.“
(Elias Weber)