Es fühlt sich gut an, nach der Anstrengung verschwitzt und einsam hier oben auf einer blühenden Bergwiese zu rasten,

Bike-Crossing-Schwarzwald

Es ist holprig, es ist dreckig und es macht jeden Tag mehr Laune
17.05.2013

von Patrick Kunkel

Eine 450 Kilometer lange Mountainbike-Strecke führt einmal längs durch den Schwarzwald. Die Bike-Crossing-Schwarzwald ist überraschend einsam, voller Kontraste und ziemlich anstrengend. Wer braucht da schon einen Alpencross?

Gelber Ginster blüht am Wegrand, Kräuter duften und Heuschrecken veranstalten ein vielstimmiges Konzert. Fast wie am Mittelmeer. Da bin ich aber nicht, sondern tief im Schwarzwald, auf dem Gipfel des 1241 Meter hohen Kandel.

Mit dem Mountainbike habe ich mich früh am Morgen auf den Weg gemacht. Mit seinen knapp 1000 Höhenmetern am Stück hat der Berg unter Rennradlern den Ruf als einer der härtesten Brocken des Schwarzwalds – für Mountainbiker gilt das umso mehr. Von Simonswald windet sich die geschotterte Naturstraße Kehre um Kehre den Steilhang zum Kandel hinauf. Kleine Steinchen spritzen unter dem grobstolligen Reifenprofil weg. Knapp einen Kilometer unterhalb des Gipfels mündet der breite Forstweg in einen Pfad, nicht breiter als ein Handtuch.

Es ist holprig. Es ist dreckig. Arme und Beine sind zerkratzt.
Es ist holprig. Es ist dreckig. Arme und Beine sind zerkratzt. © Patrick Kunkel

Anstrengend, aber was soll ich sagen? So ist es!

Von Simonswald windet sich die geschotterte Naturstraße Kehre um Kehre den Steilhang zum Kandel hinauf. Kleine Steinchen spritzen unter dem grobstolligen Reifenrofil weg.
Kniehohes Gras streichelt meine Beine. Wurzeln wachsen quer, ein Bach plätschert drüber. Der eben noch morgendlich kühle Bergwald lichtet sich. Ich fahre über eine offene Wiese, wo die Sonne schon vom Himmel brennt. Dass der Schweiß perlt und die Kette ächzt kann man in jeder zweiten Mountainbike-Reportage nachlesen. Aber was soll ich sagen? Genau so ist es!

Eine Ochsentour, aber eine durch die schönsten Täler und auf die höchsten Gipfel des Schwarzwalds.
Eine Ochsentour, aber eine durch die schönsten Täler und auf die höchsten Gipfel des Schwarzwalds. © Patrick Kunkel

Und es fühlt sich gut an, nach der Anstrengung verschwitzt und einsam hier oben auf einer blühenden Bergwiese zu rasten, wo es summt und brummt und ab und an ein Windstoß rauschend in die Buchenwipfel fährt, die rund um den Kandelgipfel stehen. Fehlt nur noch, dass die alte Michelseppe vom Langeckerhof auf der Platte mit der rauchenden Pfeife im Mund, den verhornten Fingern und dem verlebten Gesicht aus einem Gebüsch spränge – ganz so, wie sie es damals, zu ihren Lebzeiten Mitte des vorigen Jahrhunderts, mit frischluftsuchenden Städtern aus dem nahen Freiburg trieb, die sie am liebsten barfüßig um Tabak anschnorrte. Ob die Michelseppe darob „Kandelhexe“ genannt worden ist? Sie ist lange tot, aber in den alten Geschichten, die sich die Leute hier oben noch immer erzählen, lebt sie noch. Und auf den Bildtafeln im Kandelwald.

Mit Sonne auf den Höchsten

Der schmale Single-Trail endet neben der rot getünchten Kandelkirche. Im Kandelhof gibt’s alkoholfreies Weizenbier, Apfelkuchen und einen schmallippigen Wirt aus Norddeutschland, den das Schicksal vor über 20 Jahren hier herauf gespült hat. Im Frühjahr noch hatte er sich wegen wochenlanger Trockenheit um den Zustand seiner Quellen sorgen müssen. Seit Sommerbeginn braucht er sich über Wassermangel in diesem Jahr dagegen keine Gedanken zu machen.

Vor vier Tagen bin ich in Pforzheim im Norden gestartet mit dem Ziel Bad Säckingen an der Grenze zur Schweiz. Die ersten drei Tage hat mich die sprunghafte Wetterküche des Nordens durchnässt und zermürbt. Seit Tennenbronn, knapp 60 Kilometer von hier, zeigte sich ab und an die Sonne. Doch jetzt sind die Wolken vom Himmel gewischt – Kontrastprogramm und wie gerufen zur Königsetappe auf den höchsten Berg des mittleren Schwarzwalds.

Auf die höchsten Gipfel! Hier der Feldberg.
Auf die höchsten Gipfel! Hier der Feldberg. © Patrick Kunkel

450 Kilometer lang ist die Route, die ich mir in sieben Etappen aufgeteilt habe. Eine Ochsentour, aber eine durch die schönsten Täler und auf die höchsten Gipfel des Schwarzwalds. Urwüchsige Tannen säumen die Strecke, geheimnisvolle Karseen, Berggasthäuser und Bauernhöfe mit tief herunter gezogenen Walmdächern. Kurz: Die Crossing-Strecke bedient fast jedes Schwarzwald-Klischee, das einem in den Sinn kommt. Mehr als 12.000 Höhenmeter werden am Ende auf dem Tacho stehen. Die komplette Strecke ist ausgeschildert, zumindest die Orientierung fällt also leicht. An jeder Abzweigung weist ein kleines gelbes Schild mit dem Schriftzug „X-ing“ den Weg, darauf ein Mountainbike-Piktogramm und der im Schwarzwald allgegenwärtige Bollenhut - bloß einer mit blauen statt der üblichen roten Bollen.

Es ist holprig. Es ist dreckig. Arme und Beine sind zerkratzt. Und es macht jeden Tag mehr Laune. Vom Kandelgipfel führt ein schöner Wurzeltrail Richtung Plattenhof. Ab da entscheide ich mich für die Alternativroute hinunter ins Dreisamtal über die Kapfenkapelle mit ihrem gigantischen Fernblick zum Feldberg und die Wolfsteige. Aber auch die offizielle Strecke kann sich sehen lassen, sie führt auf einsamen Waldwegen und kleinen Sträßchen durch das Ibental – Hauptsache bergab, denn ehe ich mich heute Abend in Hinterzarten ins Bett fallen lassen kann, muss ich wieder vom tief liegenden Dreisamtal rauf auf die Höhe, wo auf die Fernbiker mit den fast 1000-Kandelhöhenmetern in den Beinen schon die nächste heftige Rampe wartet – hoch zur Nessellachen. Dort biegen Singletrail-Fetischisten auf den verblockten Querweg ab, ich bin jedoch ausnahmsweise mal froh über die glatte und ruckelfreie Asphaltabfahrt bis Hinterzarten.

Die Gipfelregion ist subalpin geprägt, voll von dichten Wäldern, grünen Weiden, blumenbunten Wiesen, schroffen Felsformationen.
Die Gipfelregion ist subalpin geprägt, voll von dichten Wäldern, grünen Weiden, blumenbunten Wiesen, schroffen Felsformationen. © Patrick Kunkel

Schwarzwaldidyll? Schnell auf den Trail!

Sonntagfrüh am Titisee präsentiert sich der Schwarzwald dagegen von seiner aufgeräumten Seite. Ausflugsdampfer schippern langsam über den still daliegenden See, dazwischen kreuzen quietschbunte Tretboote. An der Uferpromenade wird es auch langsam voll, eine Reisegruppe aus China bestaunt die Auslagen eines Kuckucksuhrgeschäfts, Bollenhüte und Geweihe wohin man blickt und auf den Terrassen der Schwarzwaldcafés werden die ersten gigantisch großen Stücke Schwarzwälder Kirschtorte serviert – und da mir der Sinn nicht nach einem zweiten Frühstück steht, schwinge ich mich lieber schnell in den Sattel, um dem geschäftigen Treiben in Richtung Waldrand zu entfliehen.

Ich fahre einen Schlenker über den Zweiseenblick – die Aussicht hält, was sie verspricht – und will ein paar Kilometer weiter die Füße ins eiskalte Wasser des Feldsees baumeln lassen. Die Socken habe ich schon aus, da denk ich an den vorigen Sommer und meine Wanderung mit dem Feldbergranger Steffen. Im Feldsee, so hatte er damals erklärt, lebe eine seltene Wasserpflanze, das stachelsporige Brachsenkraut, das sich aus der letzten Eiszeit herübergerettet habe und das äußerst empfindlich auf Störungen reagiere. Schon spärlicher Badebetrieb könne dem harmlos aussehenden Kraut den Garaus machen. Ich ziehe die Socken wieder an. Knapp 800 Höhenmeter waren es von Titisee bis zum Feldbgergipfel. Nun stehe ich auf dem mit 1493 Metern höchsten Berg des Schwarzwalds und mitten im Naturschutzgebiet. Am Horizont hat einer die gesamte Alpenkette aufgebaut. Die Gipfelregion ist subalpin geprägt, voll von dichten Wäldern, grünen Weiden, blumenbunten Wiesen, schroffen Felsformationen – und heute heillos überlaufen mit Wanderern und Bikern.

So viele an einem Ort - das geht nicht immer gut: Viele Biker halten sich nicht an Wegsperrungen, schnaubt Baldur Hornig, der Wirt der St. Wilhelmer Hütte, die am Hang unterhalb des Gipfels steht. Er trägt eine gigantische Schwarzwälder Vesperplatte auf und wir kommen ins Gespräch. Seit acht Jahren bewirtschaftet er die Hütte. Im Winter sei er oft eingeschneit: „Die Einsamkeit muss man aushalten können.“

An jeder Abzweigung weist ein kleines gelbes Schild mit dem Schriftzug „X-ing“ den Weg.
An jeder Abzweigung weist ein kleines gelbes Schild mit dem Schriftzug „X-ing“ den Weg. © Patrick Kunkel

Böse Biker? Keine Sorge, es gibt Kekse!

Dafür ist im Sommer mehr los, manchmal zu viel. Hinter der Hütte führt eine steile Holzstiege zu einem Zickzackpfad, der am Feldbergturm rauskommt. „Oft rauschen Mountainbiker hier runter – und über meine Weide“, klagt der Wirt. Es dauere Monate, die Schäden an der Grasnarbe zu beseitigen. Regelmäßig würden Biker in den Weidezaun stürzen und Pfosten umreißen: „Erst haut das Vieh ab, dann darf ich den Zaun auch noch reparieren“, sagt Hornig zornig. Und wird sogleich versöhnlich: „Sind ja nicht alle so.“ Und immerhin gibt es auf der Hütte „Biker-Kekse“ zu kaufen – für ein Euro das Stück.

Ein solcher Trubel wie am Wochenende am Feldberg ist allerdings eher die Ausnahme entlang der X-ing Strecke: Meist kurbelt man allein durch die einsamen Wälder und trifft stundenlang kaum einen Menschen. Dafür springen gelegentlich Rehe über den Pfad und, fast wie bestellt, erschallt hier und da ein Kuckucksruf - Schwarzwald wie im Bilderbuch.

Und so ist es auch jetzt. Kaum lasse ich den Gipfel hinter mit, bin ich auch wieder allein. Mit mir, dem Bike und einem ganzen Schwarzwald voller Erlebnisse. Was braucht's mehr zum Glück? Heute nichts, denke ich, und lasse es rollen.

Mehr Informationen

  • Gesamtstrecke: ca. 450 km , 
    Höhenmeter: ca. 12.200 hm
     Etappen:                                                                          
     
    1. Tag: Pforzheim – Enzklösterle 68 km, 
    ca. 1.690 hm
    2. Tag: Enzklösterle – Bad Rippoldsau 74 km, 
    ca. 1.830 hm
    3. Tag: Bad Rippoldsau – Fohrenbühl 63 km, 
    ca. 1.770 hm
    4. Tag: Fohrenbühl – Simonswald 47 km, 
    ca. 1.330 hm
    5. Tag: Simonswald – Hinterzarten 57 km, 
    ca. 1.830 hm
    6. Tag: Hinterzarten – Todtmoos 89 km, 
    ca. 2.640 hm
    7. Tag: Todtmoos – Bad Säckingen 51 km, 
    ca. 1.070 hm
  • Anreise: mit der Bahn nach Pforzheim, Strecke ausgeschildert ab Bahnhof
     Reisezeit: aufgrund der zum Teil großen Höhen (über 1.400 Meter) von Mai bis Mitte Oktober
     
    Beschilderung: durchgehende Beschilderung, blauer Biker auf gelbem Grund, „X-Ing“-Schriftzug und Bollenhut-Symbol
     
    Karten:
    "Bike Crossing Schwarzwald - Auf dem Bike quer durch den Schwarzwald.“ Ringbuch, 92 Seiten mit 22 Karten. Maßstab 1:50.000
    Landkreiskarten des Landesamtes für Vermessung Baden-Württemberg