Das lebendige Kulturgut
Helmut Faller ist ein gemütlicher Typ mit grauem Schnauzbart und von kräftiger Statur. Langsam nähert er sich der Weide und schon kommen seine Mädels angetrottet, die ebenfalls gemütlich und von kräftiger Statur sind: Die zehnjährige Stute Desiré, die zweijährige Stute Alice und das im April geborene Fohlen, das noch keinen Namen hat.
Faller klopft ihnen auf die Schulter, wenn man das bei Pferden so sagen darf, fährt durch ihre helle Mähne, verteilt Klapse auf dem braunen Fell. 1990 hatte er seine ersten Pferde, die Mädels auf der Koppel sind die Nachzucht. Und: Sie haben ein ähnliches Temperament wie er, oder Faller wie sie, je nachdem. Sie sind gutmütig, bewegungs- und zugstark, robust, haben einen unkomplizierten Charakter. Die Tiere, die sich besonders gut zum Reiten und Fahren eignen, sind Schwarzwälder Kaltblutpferde, die sich zudem durch ein hohes Körpergewicht und ruhiges Temperament auszeichnen.
Pferde sehen alles sieben Mal größer - auch den Helmut!
Das Kaltblutpferd, auch Schwarzwälder oder Schwarzwälder Fuchs genannt, gehört zum Schwarzwald wie die gleichnamige Torte und die Kuckucksuhr. Es ist die älteste Kaltblutpferderasse in Baden-Württemberg, seine Herkunft ist der südliche Schwarzwald um die Gemeinde St. Märgen, wo der Helmut Faller wohnt. Erste Zuchtbuchaufzeichnungen sind ab 1896 mit der Gründung der Schwarzwälder Pferdezuchtgenossenschaft dokumentiert. „Die Mentalität der Pferde passt zur Mentalität der Menschen im Schwarzwald“, sagt Helmut Faller und lacht. Doch sogleich wird er ernst und Stolz schwingt in seiner Stimme mit.
Mit seinen 1,82 Meter Körpergröße überragt Faller die zwischen 148 und 156 Zentimetern großen Stuten und auch die Hengste, die bis 160 Zentimeter groß werden. Aber er ist ohnehin der Größte für seine Mädels. Pferde sehen alles sieben Mal größer als Menschen.
Der 54jährige ist von Beruf Automechaniker, er leitet den Bauhof in St. Märgen. Die Pferde sind sein Hobby, er zieht Fohlen auf und verkauft sie, wenn sie drei Jahre alt sind. Fast sein ganzes Leben ist eng mit den Schwarzwälder Pferden verbunden. Als Kind ist er geritten, lange war er Vorsitzender des Reit- und Fahrvereins, im März dieses Jahres wurde er für weitere vier Jahre zum Vorsitzenden der Schwarzwälder Pferdezuchtgenossenschaft gewählt, die 265 Mitglieder zählt. Zudem sitzt er als Vertreter der Kaltblutzüchter im Vorstand des Pferdezuchtverbandes Baden-Württemberg. Ziel der Genossenschaft ist es, das Schwarzwälder Kaltblutpferd in seiner ursprünglichen Heimat als Kulturgut zu erhalten.
Ein Markenzeichen wie der Schwarzwälder Schinken
Ja, unter der Rassebezeichnung Schwarzwälder Fuchs gilt das Kaltblut als sogenanntes lebendiges Kulturgut. In einem „Erhaltungszuchtprogramm“ steht es unter dem besonderen Schutz des Ministeriums für Ländlichen Raum in Baden-Württemberg. Der Grund: Nach dem zweiten Weltkrieg wurden mehr als 1.200 im Zuchtbuch eingetragene Stuten gezählt. Bis Ende der 70er Jahre gab es einen rasanten Rückgang auf gerade einmal 70 Stuten, was auf die fortschreitende Modernisierung der Land- und Forstwirtschaft zurückzuführen ist. Der Schwarzwälder Fuchs war zu einer vom Aussterben bedrohten Rasse geworden. Mittlerweile hat sich die Zahl der Stuten verzehnfacht. Die Hengsthaltung wird überwiegend durch das Haupt-und Landesgestüt Marburg, dem ältesten staatlichen Gestüt Deutschlands, ausgeübt. Heute gibt es in ganz Deutschland mehr als 800 eingetragene Schwarzwälder Stuten. Mit 650 Stuten und 22 Hengsten ist der größte Bestand im Ursprungszuchtgebiet Baden-Württemberg zu finden. Markiert sind sie mit einem Brandzeichen, das eine stilisierte Tanne darstellt. „Das ist ein Markenzeichen wie der Schwarzwälder Schinken“, sagt Helmut Faller nicht ohne Stolz.
Mittlerweile kommen jedes Jahr etwa 200 Fohlen der Schwarzwälder Kaltblutpferde auf die Welt. Etwa fünf Prozent werden später weder geritten noch vor eine Kutsche gespannt, sondern an einen Pferdemetzger verkauft. In der Nähe von St. Märgen bietet ein Gasthof Steaks vom Fohlen an. Helmut Faller schüttelt den Kopf. „Ich kann sie nicht jeden Tag streicheln und dann essen.“
Weil er keinen eigenen Hof hat, stehen seine Mädels auf dem Thomashof in Breitnau, wo er schon als Kind gespielt hat und dessen Geschichte bis in das Jahr 1705 zurück reicht. Zudem zieht er dort Hengste anderer Besitzer auf. In der Scheune des Thomashofes stehen auch seine Kutschen und Schlitten, mit denen er eine Reihe von Wettbewerbe gewonnen hat. Von den Siegen auf der Grünen Woche in Berlin, in St. Peter und anderswo künden Dutzende Schleifen, die an einem Holzbalken wie Wäsche auf der Leine aneinander gereiht sind. Faller gilt bei den Zweispännern als Lokalmatador und es vergeht keine Woche, ohne dass er seine Pferde nicht reitet oder bewegt. „Das ist auch Training für das Roßfest“, sagt er.
Das Roßfest: Ein Muss
Das Roßfest findet alle drei Jahre am zweiten Sonntag im September mit Pferdeprämierungen, Schauvorführungen und historischem Umzug in St. Märgen statt und ist für Helmut Faller natürlich ein Muss. Er wird auf einem Römerwagen sitzen, vor den er seine Fanny und drei weitere Kaltblüter spannen wird. Mit der Stute, deren kompletter Name Fanny von Riegel aus der Flicka von Direkt lautet, hat er bereits viele Klassensiege und Prämierungen gewonnen, auch beim Roßfest in St. Märgen.
Die Zeiten, als Mädchen ritten und Jungs zum Fußball gingen, scheinen vorbei zu sein, zumindest im Hochschwarzwald. Für Helmut Faller gibt es am Wochenende nichts Schöneres als mit der Pferdekutsche „gepflegt wohin zu fahren“. Oft ist die Platte sein Ziel, eine Ebene bei St. Peter in 1.000 Meter Höhe, von wo aus man einen traumhaften Blick hat. „Dort trinke ich zwei Bier, esse ein Bauernvesper und fahre wieder heim“, schwärmt er. Auf seine Frau muss er dabei oft verzichten. Sie geht sonntags lieber auf den Fußballplatz.