Fast Food

Im Reich des Kräuterwieble

Unterwegs mit Kräuterfrau Gertrud Kaltenbach
22.03.2017

von Freya Pietsch

Uraltes Wissen frisch und frech verpackt: Das gibt es bei der Kräuterwanderung mit Expertin Gertrud Kaltenbach auf dem Krummholzenhof bei St. Märgen. Danach ist man nicht nur um einen Wissensschatz über Wildpflanzen reicher, sondern auch gut satt. Denn als Krönung lädt das Kräuterwieble zum selbst kreierten Menü an den heimischen Küchentisch. 

Die Fahrt ist weit. Unser Auto tastet sich schon eine ganze Weile auf dem schmalen Sträßchen durchs Schweigbrunnental bei St. Märgen. Rechts türmen sich die Tannen, auf der anderen Seite schlummern vereinzelt alte Bauernhöfe geduckt im Tal. Wir meinen schon, uns verirrt zu haben. Da liegt er schließlich vor uns, auf einer Anhöhe, im Sonnenschein: der Krummholzenhof von Kräuterwieble Gertrud Kaltenbach. Das Walmdach ragt in den stahlblauen Himmel, grüne Wiesen umrahmen das Ganze, Hühner gackern und ein Bächlein plätschert. Eine Schwarzwald-Idylle, wie sie im Buche steht. In dieser Abgeschiedenheit sind wir auf alles vorbereitet, als das Auto neben dem alten Gehöft zum Stehen kommt. Wenn jetzt ein verhutzeltes Weiblein mit gebeugtem Rücken, Kopftuch und wettergegerbter Haut um die Ecke käme – uns würde es nicht wundern. Aber von wegen!

Wenn jetzt ein verhutzeltes Weiblein mit gebeugtem Rücken, Kopftuch und wettergegerbter Haut um die Ecke käme – uns würde es nicht wundern.
Wenn jetzt ein verhutzeltes Weiblein mit gebeugtem Rücken, Kopftuch und wettergegerbter Haut um die Ecke käme – uns würde es nicht wundern. © Michael Spiegelhalter

Leicht der Welt entrückt

„Guten Morgen, miteinander!“, tönt eine fröhliche Stimme von unten. Gertrud Kaltenbach, in T-Shirt und Dreiviertelhose, stapft die Auffahrt hoch. Eine Frau in den 60ern, dunkles, kurzes Haar, offen und mit einem Schalk in den Augen, der dem Leben frech zu trotzen scheint. So ein Typ Mensch, der kein Blatt vor den Mund nimmt und in dessen Gegenwart man automatisch gute Laune bekommt. „Hier auf über 700 Metern Höhe sagen wir du und wir schwätze Dialekt“, klärt uns das Kräuterwieble gleich vorab über örtliche Sitten auf, und führt uns hinunter in ihr Reich. Vor dem Bauernhaus, in einer Nische am Esstisch, wartet bereits eine Gruppe Frauen – Freundinnen der Hausherrin, die ebenfalls an der heutigen Kräuterwanderung teilnehmen.

Bevor diese beginnt, stoßen wir am großen Holztisch an. Es gibt Sekt mit selbstgemachtem Rosenblütensirup, einen Zopf mit Rosenblättern und – hübsch dekoriert in einer Glaskaraffe – frisches Quellwasser mit Zitronenverbene. „Die Rosenblätter – und überhaupt alle Pflanzen, die ich verwende – sind ungespritzt. Und ich nehme nur gesunde Pflanzen“, erzählt uns das Kräuterwieble. Das Wissen über die Wirkung von Kräutern habe sie, die in Hinterzarten geboren ist, von ihrer Mutter geerbt. Vieles habe sie sich aber auch autodidaktisch beigebracht. Als Kräuterwieble hat sie eine ganz eigene Einstellung zu Pflanzen: „Für Kräuter braucht man Zeit“, belehrt sie uns. Kräuter und Stress – das passe für sie nicht zusammen.

“Pflanzen sind Lebewesen. Dementsprechend achtsam sollte man mit ihnen auch umgehen. Wenn man Kräuter bewusst sammelt, spürt man, welches Kraut der Körper gerade braucht. Man greift dann zu dem richtigen.“
(Gertrud Kaltenbach)

Aha, das klingt für unsere rationalen Ohren zwar etwas esoterisch, passt aber jetzt endlich mal zu dem Bild eines leicht der Welt entrückten Kräuterwieble.

Es gibt Sekt mit selbstgemachtem Rosenblütensirup, einen Zopf mit Rosenblättern und frisches Quellwasser mit Zitronenverbene..
Es gibt Sekt mit selbstgemachtem Rosenblütensirup, einen Zopf mit Rosenblättern und frisches Quellwasser mit Zitronenverbene.. © Michael Spiegelhalter

Ansonsten ist von Abgehobenheit bei Gertrud Kaltenbach nichts zu spüren. Die zweifache Mutter und Oma zweier Enkelkinder steht mit beiden Füßen im Leben, pflegt mit ihrem Mann und ihrer Tochter den großen Hof, tanzt gerne, schwimmt und ist „immer voller Power“, wie uns ihre Nachbarin erzählt.

Eine Wiese voller Schätze

Dann geht sie endlich los, die Kräuterwanderung. Wobei von Wanderung nicht die Rede sein kann. Direkt auf der Wiese neben dem Gehöft bleibt Gertrud Kaltenbach bereits wieder stehen. Wo wir nur Gräser sehen, greift sie immer wieder nach unten, und bringt ein neues Kraut oder eine andere Blüte zum Vorschein. Wie ein Nikolaus, der aus seinem Sack immer weitere Schätze nach oben zaubert: Großer Ampfer, Brennnessel, Spitzwegerich, Roter Klee, Giersch... Und alle haben sie heilende Wirkung. Zu jeder Pflanze erklärt uns das Kräuterwieble, wie man Blüten, Blätter, Wurzeln oder Samen verwenden kann und wie sie als Balsam, Tee oder Tinktur zubereitet werden.

Wie ein Nikolaus, der aus seinem Sack immer weitere Schätze nach oben zaubert: Großer Ampfer, Brennnessel, Spitzwegerich, Roter Klee, Giersch...
Wie ein Nikolaus, der aus seinem Sack immer weitere Schätze nach oben zaubert: Großer Ampfer, Brennnessel, Spitzwegerich, Roter Klee, Giersch... © Michael Spiegelhalter

„Das ist der Große Ampfer, im Hochschwarzwald „Kindlilatschi“ genannt“, sagt sie zum Beispiel und schwenkt ein großes grünes Blatt über ihren Kopf. Er wurde früher als kühlendes Blatt verwendet – für Kinder, wenn sie Fieber hatten oder zur Linderung bei Sonnenbrand. „Oder auch als Klopapier, wenn man gerade nichts anderes zur Hand hat“, ergänzt sie mit einem Augenzwinkern. Und da, die Brennnessel, ist ein wahrer Alleskönner, hilft bei vielen Wehwehchen „von Kopf bis Fuß“, ist blutreinigend im Frühjahr und vitalisierend im Herbst und Winter.

“Mit Brennnesseln liegt man eigentlich nie verkehrt.“
(Gertrud Kaltenbach)

Damit die Kräuter ihre Wirkung entfalten können, sei es unabdingbar, dass man an den heilenden Effekt glaube.

„Der Glaube versetzt Berge“, betont sie und dass ein bisschen Hokuspokus zu ihrer Welt schon dazugehöre. Das Schwitzwasser vom Frauenmantel beispielsweise, das gegen Unterleibsschmerzen helfen soll, schütteln eingefleischte Kräuterhexen erst einmal links, dann rechts herum, bevor sie es verwenden. „Wir arbeiten mit allen Tricks“, sagt sie lachend. Und wieder blitzt da dieser Schalk in ihren Augen.

Damit die Kräuter ihre Wirkung entfalten können, sei es unabdingbar, dass man an den heilenden Effekt glaube.
Damit die Kräuter ihre Wirkung entfalten können, sei es unabdingbar, dass man an den heilenden Effekt glaube. © Michael Spiegelhalter

Menü mit Brennnesseln? 

Gertrud Kaltenbach ist der Überzeugung, dass gesundes Essen auch gut schmecken sollte und gibt allerhand Rezept-Tipps nebenbei. Zum Beispiel wie Brennnesselblätter den Pfannkuchenteig aufpeppen, Schweinelendchen umhüllt mit Brennnesseln ein Genuss sind oder die Samen des Spitzwegerich, in der Pfanne angedünstet, wunderbar nach Pilzen schmecken. Bei all diesen Schilderungen bekommt man direkt Lust, es ihr nachzutun. Doch Gertrud Kaltenbach warnt: „Als Einsteiger sollte man immer nur das verwenden, was man kennt. Am besten, man fängt mit ein paar wenigen Kräutern an und steigert sich langsam.“

Der Tisch gedeckt: mit frischen Brötchen, Kräuterbutter, Frischkäse und einer Bowle aus Brennnesseln, Apfelminze, Giersch, Malwe und Spitzwegerich. Alles selbst hergestellt, versteht sich.
Der Tisch gedeckt: mit frischen Brötchen, Kräuterbutter, Frischkäse und einer Bowle aus Brennnesseln, Apfelminze, Giersch, Malwe und Spitzwegerich. Alles selbst hergestellt, versteht sich. © Michael Spiegelhalter

Nach rund anderthalb Stunden und gefühlte 100 Kräuter später raucht uns der Kopf und wir sind froh, als die Naturliebhaberin in die gute Stube des Krummholzenhofes lädt. Neben dem alten Ofen ist der Tisch gedeckt: mit frischen Brötchen, Kräuterbutter, Frischkäse und einer Bowle aus Brennnesseln, Apfelminze, Giersch, Malwe und Spitzwegerich. Alles selbst hergestellt, versteht sich. Nur zu gerne lassen wir uns davon überzeugen, dass Gesundes in der Tat köstlich schmecken kann. Danach führt uns Gertrud Kaltenbach noch in ihren Kräutergarten hinter dem Haus, wo wir erneut riechen und kosten dürfen. Hier wachsen weitere unzählige Sorten Minzen, Beifuß, Blutampfer, Silbermäntele oder Wegwarte. Wieder sind wir überwältigt von der Vielfalt und dem, was das Kräuterwieble uns alles über die Pflanzen erzählen kann. „Früher hat man Hexen verbrannt, weil sie zu viel gewusst haben“, sagt Gertrud Kaltenbach, während sie über die wackeligen Steine der Anlage balanciert. Wird sie jetzt etwa zum Abschluss noch nachdenklich? Doch dann ergänzt sie augenzwinkernd: „Ich habe richtig Glück gehabt!“ Alle lachen. Ja, da hat sie allerdings recht. Und wir erst.

Nur zu gerne lassen wir uns davon überzeugen, dass Gesundes in der Tat köstlich schmecken kann.
Nur zu gerne lassen wir uns davon überzeugen, dass Gesundes in der Tat köstlich schmecken kann. © Michael Spiegelhalter

Gut zu wissen

Kräuterwieble Gertrud Kaltenbach gibt ihr Wissen in Kursen, Seminaren oder bei Kräuterwanderungen weiter.
Kontakt: Gertrud Kaltenbach, Krummholzenhof, Schweighöfe, St. Märgen, Tel. +49 (0)7669/760, www.kraeuterwieble.de