Mit dem Ranger in die Wutachschlucht
Die Wutach-Schlucht. Ein Name, tausend Geschichten. Wir sind mit Ranger Martin Schwenninger auf Wanderung in der Schlucht. Der Fluss spricht, der Ranger erklärt.
Quellwasser, Heilwasser, Fischgewässer. Ende des 19. Jahrhunderts war Bad Boll in der Wutach-Schlucht ein Hotspot der feinen Gesellschaft. Hier konnte man ausspannen und die Angel nach der berühmten Regenbogenforelle auswerfen. Dann kamen Industrieabwässer, zwei Weltkriege, diverse glücklose Umnutzungen der Anlagen – und irgendwann war der kleine Weiler in der tiefen Schlucht verlassen und vergessen.
Inzwischen ist die Wutachschlucht längst als Naturwunder wiederentdeckt, die Zuflüsse ohne Abwasserbelastungen und die Wutach selbst wieder rein wie eh und je. Statt Anglern aber kommen heute vor allem Wanderer hierher.
Wir sind mit Wutach-Ranger Martin Schwenninger in der 33 Kilometer langen Schlucht unterwegs. An einigen Stellen geht es 70 Meter hoch bis zur Abbruchkante des Waldes, stellenweise sogar 180 Meter. Das ehemalige Bad Boll und was von hier flussabwärts kommt, gilt als der schönste Teil der Schlucht. Die Landschaft ist abwechslungsreich, die Steigungen sind moderat. Die Wanderung verläuft auf einem schmalen Pfad, fingerdickes Moos wächst an den Bäumen, urzeitliche Farne hängen von Felsen herab und im Flussbett wächst die Pestwurz.
Flussabwärts blockiert ein mächtiger Baumstamm den Weg. Beim letzten Hochwasser schoss dieser Gigant aus Holz auf den Felsen zu und verkeilte sich, so etwas kommt öfters vor. Mit dem Weg hat es seine Besonderheiten. Der einst in Bad Boll residierende Londoner Fishing Club ließ 1896 einen Weg durch die Schlucht anlegen, aber schon das nächste Hochwasser riss 20 Brücken fort. Hier regiert die wilde Natur. Wir gehen über weiße Steinklippen und Kiesbänke, schauen auf eine senkrechte Steinwand, die ein paar hundert Meter lang ist. Wir wandern so knapp am Felsen, nein, eigentlich schon im Felsen, dass wir den kühlen Stein auf der Haut spüren.
Zeitreise durch Jahrmillionen
Was wie ein Haufen Moos ausschaut, ist das Nest der Wasseramsel, die dieser Steinmauer ihren Namen gibt: Amselfelsen. Was für ein kleiner Vogel für solch einen großen Steingiganten! Eine Familie macht hier gerade ihr Picknick. Wir befinden uns jetzt im Muschelkalkgestein. Eine Wanderung durch die Wutachschlucht führt auch durch Buntsandstein, Keuper, Dogger und andere Gesteinsschichten. „Eine Zeitreise durch Millionen Jahre“, sagt der Ranger, als wir über einen wellenartigen Boden laufen. Sieben Millionen Jahre lang stand hier das Land unter Wasser, so erzählt er uns. Eine Viertelmilliarde Jahre ist das zwar her, aber noch heute lässt sich der Wellengang im Stein erkennen. Ein paar hundert Meter flussabwärts schießt das Wasser aus Höhlen wie aus einem aufgedrehten Wasserhahn in den Fluss. Und da bewegt sich was: eine Bachforelle! Das ist der Beweis für die Reinheit des Wassers.
Am Kanadiersteg, einer einst von kanadischen Pionieren gebauten Holzbrücke, verlassen wir die Schlucht und gehen bis zur Wutach-Mühle mit Kiosk und Bushalt. Von der Brücke zeigt sich die Wutach als ruhiger Fluss im geplättelten Steinbett. Aber halt, da führt ein Weg ins Grün! Wie es hier weitergeht? Da warten flussabwärts schon weitere sagenhafte Wanderkilometer. Auch dort werden die Amseln fliegen und die Forellen springen …