Ja, ja: Mein Rad, der Berg und ich.

Mit dem Rennrad auf den Kandel

Presswurst im Bergsprint
14.11.2013

von Patrick Kunkel

Der Kandel gilt unter Rennradlern als härtester Brocken im Schwarzwald. Ich schwitze. Ich glühe. Ich schnaufe. Das Rad knarzt, die Kette knarzt. Und für die schöne Aussicht habe ich auch keinen Blick übrig. Meter für Meter wuchte ich mein Rennrad diese richtig fiese, steile Rampe hinauf. Die Oberschenkel brennen. Die Sonne auch. Werde ich es schaffen? 

Ja, ja: Mein Rad, der Berg und ich. Leidens- und Heldengeschichten sind als Texteinstiege überaus beliebt, wenn es über den Jakobsweg und abfaulende Füße geht ebenso wie bei Rennradstories: „Der Schweiß rinnt. Die Kette surrt! - Aber ich, Patrick, Held und Ich-Erzähler dieser großartigen Geschichte, werde diesen Berg bezwingen!“

In Wahrheit sind diese Zeilen das Protokoll einer ziemlichen Dummheit, begangen im Juli 2003. Damals wohnte ich noch in Berlin, war in Freiburg zu Besuch und gerade des Kettenrauchens entwöhnt. Rennräder kannte ich bis dahin nur als vorbeihuschende Schatten, auf denen Menschen in absonderlicher, presswurstähnlicher Kleidung saßen. Und ausgerechnet der Kandel sollte der erste Bergpass werden, den ich mit dem Rennrad, nun ja, bezwinge.

"Für die schöne Aussicht hatte ich keinen Blick übrig, ich sah nur noch den Asphalt, der unter mir entlangzog."
"Für die schöne Aussicht hatte ich keinen Blick übrig, ich sah nur noch den Asphalt, der unter mir entlangzog." © Patrick Kunkel

Ein Anstieg, der Tour de France würdig

Dass ich mir jenes 1241 Meter hohe Hochschwarzwälder Ungetüm, geformt aus hartem, zentralschwarzwälder Gneis, für meine erste längere Bergtour ausgesucht habe, kann man im Rückblick noch mit Unerfahrenheit entschuldigen. Doch das ist eine Sache.

Ziemlich bescheuert dagegen war es, Mitte Juli ohne zweite Wasserflasche, Sonnencreme und Helm, dafür aber mit einem viel zu großen Rennrad und zu kleinen Schuhen auf eine 60 Kilometer-Tour zu starten. Und dann gleich auf den steilsten Berg weit und breit.

Schwarzwälder Rennradhelden wie mein Freund Ingmar aus Freiburg vergleichen den Kandel oft mit dem legendären Tour-de-France Anstieg L'Alpe de Huez in den französischen Alpen:

“Wer den Kandel fahren kann, braucht L'Alpe de Huez oder den Galibier nicht zu fürchten“.
(Ingmar)

Auf den 12 Kilometern zwischen Waldkirch und dem Gipfel sind 970 Höhenmeter zu überwinden, was der Bergstraße tatsächlich einen Schwierigkeitsgrad verleiht, wie man ihn sonst von Alpenpässen kennt.

Das wusste ich damals nicht, als ich vor zehn Jahren in Waldkirch am Marktplatz dem gelben Hinweisschild mit der Aufschrift „Kandel“ folgte. Bis gleich nach der ersten Kurve mitten im Bergwald, ein kleines Stück hinter dem Altersbach. Dort, wo die Straße nicht bloß steil ist, sondern zu einer echten Rampe wird. Einer ziemlich heftigen Rampe. Da wusste ich es dann. Und merkte es: In den Oberschenkeln. Und in den Waden auch. Und im Rücken.

Die Presswürste sausen vorbei

Eine Presswurst rauschte in diesem Moment schemenhaft und mit hoher Geschwindigkeit an mir vorbei, während ich im Wiegetritt schwankend versuchte, einigermaßen die Balance auf dem uralten Stahlrennrad zu halten und zugleich am Lenker zerrte. Ich schwitzte, ich keuchte, alles brannte. Und noch nicht mal ein Drittel des Anstiegs geschafft!

Rennräder kannte ich nur als vorbeihuschende Schatten, auf denen Menschen in presswurstähnlicher Kleidung saßen.
Rennräder kannte ich nur als vorbeihuschende Schatten, auf denen Menschen in presswurstähnlicher Kleidung saßen. © Patrick Kunkel

Da, wieder eine Presswurst: „Quäldich.de“ stand auf dem Trikot und ich hielt das damals für einen wirklich passenden Kommentar. Der Rahmen knarzte bedrohlich. Für die schöne Aussicht hatte ich wirklich keinen Blick übrig, ich sah nur noch den Asphalt, der unter mir entlangzog. Der Schweiß lief, schwarzer Dreck sammelte sich in den Armbeugen und unter dem geliehen Helm juckte mein dichter Haarpelz. Die Wasserflasche war leer, meine Energiereserven auch, doch die Strecke nicht mal zur Hälfte geschafft. Aber absteigen? Nie, nie und nimmer.

Ich schaffe es!

Am Ende kam ich tatsächlich da oben an, auf 1200 Meter Höhe, völlig fertig, nass geschwitzt und ausgedörrt. Und blickte dann über das Rheintal, wo die Sonne langsam im Westen versank. Am Ende? Nicht ganz. Es war eher ein Anfang.

Eine Woche später stand ich wieder unten am Marktplatz in Waldkirch.

P.S.: Heute gehört der Kandel zu einer meiner liebsten Rennradstrecken. Lieber unter der Woche, weil man dann die Straße für sich hat. Und lieber mit einem richtigen Rennrad, weil es dann doch mehr Freude macht. Und am allerliebsten mit Freunden. Ich ziehe die Auffahrt von Waldkirch aus der Straße durch das Glottertal vor, nicht nur, weil sie sportlich anspruchsvoller ist. Dort herrscht auch weniger Verkehr. Als Abfahrt wiederum eignet sich die L 186 nicht unbedingt: Viele Spitzkehren, enge Kurven und ein schlechterer Asphalt machen die Abfahrt langsam.

Wasser sollte man sich schon einpacken, gerade im Hochsommer, denn Quellen gibt es keine am Streckenrand.
Wasser sollte man sich schon einpacken, gerade im Hochsommer, denn Quellen gibt es keine am Streckenrand. © Patrick Kunkel

Die Strecke verläuft die meiste Zeit durch dichten Wald – im Sommer ist das ein echter Vorteil, denn dann kühlt ein dichtes Blätterdach. Erst weiter oben gibt es dann öfter auch Aussichten übers Rheintal – wenn man dann noch in der Verfassung ist, diese zu genießen.

Presswurstkleidung dringend empfohlen

Tatsächlich hat der knapp 12 km lange Anstieg einen alpinen Schwierigkeitsgrad, ein Umstand, der nicht nur Hobbyrennradfahrer anzieht. 2005 etwa fand im Rahmen der Regio-Tour ein Bergzeitfahren von Waldkirch auf den Kandel statt. Bester wurde Tony Martin mit einer Zeit von 33 Minuten und 43 Sekunden. Man darf sich aber ruhig andere Vorbilder suchen.

Übrigens: Wasser sollte man sich schon einpacken, gerade im Hochsommer, denn Quellen gibt es keine am Streckenrand, dafür aber ganz am Anfang und ganz am Ende Einkehrmöglichkeiten. Presswurstkleidung ist übrigens ebenfalls zu empfehlen. Diese mag ich übrigens heute auch, aber nur auf dem Rad. Die Sachen sind so furchtbar praktisch . . .

Mehr Informationen

  • Pass-Steckbrief „Kandel“
    Höchster Berg im mittleren Schwarzwald
    Höhe: 1241 m
     Nordwestauffahrt von Waldkirch (ab Marktplatz):
    Länge: 12 Kilometer
    Anstieg: 970 Höhenmeter
     
    Südwestanfahrt über Glottertal (ab Sägewerk)
    Länge: 17,6 Kilometer
    Anstieg: 952 Höhenmeter