Tierwelt in den Baumkronen
Beste Aussicht, Licht und Ruhe vor lästigen Feinden: Viele Waldtiere sind in den Wipfeln zu Hause. Mit Förster Achim Schlosser haben wir uns auf die Spuren dieser schwindelfreien Artgenossen gemacht.
Zu unseren Füßen ein Meer aus Tannenzapfen. Ein umgestürzter Baum versperrt den Weg. Seine Rinde ist glitschig wie Eis, als wir darüberklettern. Sträucher ragen in den Pfad, zupfen an unseren Jacken. Farne und Heidelbeersträucher streifen die Beine. Die wilde Natur im Bannwald oberhalb des Feldsees macht es uns nicht gerade leicht, die Welt über uns zu erkunden. Im Feldseewald möchten wir Tiere entdecken, die hoch oben in den Wipfeln zu Hause sind.
Doch zunächst fordert das unwegsame Gelände unsere ganze Aufmerksamkeit. Vor uns stapft Förster Achim Schlosser mit Hündin Inka. Die Gelassenheit, die der 38-Jährige ausstrahlt, ist wie ein Ankerpunkt in der wilden Schönheit dieses Ortes.
Während er mit einer Hand die Zweige eines Strauches zur Seite streicht, erzählt er uns vom Baummarder, einem „typischen Bewohner der Baumwipfel. Die wenigsten Menschen wissen über ihn Bescheid.“ Der Allesfresser ist ein sehr scheues Tier und ein wahrer Kletter- und Sprungmeister. „Er kann sich auf einer Strecke von bis zu 100 Metern in den Baumkronen bewegen, ohne zwischendurch den Boden zu berühren.“ Er nutzt verlassene Kobel oder alte Baumhöhlen als Behausung und ist in luftiger Höhe zumindest vor einem seiner Hauptfeinde sicher: dem Fuchs. Auch Greifvögel wie der Habicht haben es auf den Baummarder abgesehen. Wird es dem Tier zu gefährlich, packt es den Nachwuchs im Nacken und verlässt sein Zuhause. „Die Jungen verfallen im Maul dann in eine Art Starre“, erzählt uns Schlosser.
Tiergeräusche im Wald
Wir versuchen gerade, uns das bildlich vorzustellen, als der Förster plötzlich innehält, stehenbleibt und lauscht. Um uns knackt und raschelt und zwitschert es. Ein Meer an Geräuschen, die wir nicht zuordnen können. Schlosser schon. „Dort oben“, sagt er schließlich und deutet zu einer großen Fichte, deren Rinde vom Borkenkäfer flächenweise ganz kahl gefressen ist, „ein Dreizehenspecht!“ Schnell zücken wir Ferngläser und Kameras. Tock. Tock. Tock. Wo bitteschön? Tock. Tock. Tock. Da sehen wir die Silhouette des dunklen Vogels, der lange als ausgestorben galt und erst vor rund 20 Jahren wieder am Feldberg gesichtet wurde. Dieses Exemplar des Totgeglaubten jedenfalls hämmert höchst lebendig gegen den Stamm, bewegt sich dabei seitwärts nach oben und flattert schließlich zum nächsten Baum. Eine Zeit lang irren unser Objektive umher, bis wir ihn wieder sichten.
Dabei entdecken wir – versteckt zwischen den Zweigen einer Fichte – ein großes Nest. „Das dürfte ein Kobel sein“, vermutet der Förster. Das Nest eines Eichhörnchens, das wohl zu den bekanntesten Bewohnern der Wipfel gehört. Und was saust da so flink den Stamm hoch? „Das ist ein Baumläufer, ein filigraner Sperlingsvogel, der mit seinem langen, dünnen Schnabel Insekten aus den Rindenspalten pickt.“
Während sein Name Bezug nimmt auf die typische Art sich fortzubewegen, verraten die Namen anderer Vögel, wo sie sich bevorzugt aufhalten: Die Tannenmeise zum Beispiel, erzählt uns Schlosser, ernähre sich von den Sämereien in der Krone des Nadelbaumes, der Eichelhäher von Eicheln, wobei er sich im Hochschwarzwald, wo es wenig Eichen gibt, auch mit Bucheckern begnüge. „Der Fichtenkreuzschnabel ist auch ein typischer Bewohner der Baumkronen. Er ist oft in Gruppen unterwegs.“ Sein über Kreuz gewachsener Schnabel wirke zwar etwas deformiert, „er ist aber ein optimales Werkzeug, um Fichtenzapfen aufzubrechen und so an die Samen zu kommen.“
Der Baum dient als Lebensraum für Tiere
Wir treten auf eine Lichtung, wo einst Skispringer über die Max-Egon-Schanze sausten. Jetzt erinnert nur noch ein breiter Grünstreifen an diese Zeit. Von hier aus hat man einen weiten Blick über die sich im Wind hin- und herbewegenden Wipfel der Tannen, in der Ferne kreist ein Sperber. Der langgezogene Schrei eines Schwarzspechts ist zu hören. Vögel, Eichhörnchen, Baummarder, Fledermäuse und natürlich zahlreiche Insekten leben also hoch oben in den Bäumen. Gibt es sonst noch Tiere, an die man zunächst gar nicht denken würde? „Die Haselmaus“, so Achim Schlosser, „sie ist keine Maus im engeren Sinne, sondern gehört zu den Bilchen.“ Bilche haben im Gegensatz zu den Mäusen keine nackten, sondern buschige Schwänze. „Die Haselmaus ist mehr in den Bäumen als auf dem Boden zu Hause. Dort baut sie sich ein Nest oder macht es sich in alten Spechthöhlen bequem. Wenn Sie eine Nuss finden, die kreisrund eingebissen ist, dann war das wahrscheinlich eine Haselmaus.“
Ein Pfad führt uns einen steilen Hang hinunter. In der Ferne plätschert ein Bach. Ein Zunderschwamm hat sich einer umgestürzten Buche bemächtigt, die weißen Fruchtkörper des Pilzes sehen aus wie Dachvorsprünge. Während wir versuchen, auf dem moosigen Untergrund nicht auszurutschen, überlegen wir, wie sich die Welt in bis zu 30 Metern Höhe wohl anfühlen mag. „Es ist auf jeden Fall heller dort oben. Und windiger“, mutmaßt Schlosser, „und die Tiere haben einen guten Ausguck.“ Apropos Ausguck: Durch die Bäume sehen wir jetzt den Feldsee glitzern, den vorläufigen Schlusspunkt unserer Tour. Sattblau liegt er im Sonnenlicht. Wir stellen uns neben Inka, die bereits auf einem Vorsprung in die Ferne blickt. Reiben uns die vom Nach-oben-Gucken schmerzenden Nacken und denken: Dieser Ausblick ist aber auch nicht ohne.
Gut zu wissen
Das Haus der Natur am Feldberg bietet regelmäßig Vogelstimmenwanderungen an. Es lohnt der Blick in den Veranstaltungskalender.