Doppelspur zum Glück
Vor rund 50 Jahren wurde die Thurnerspur erstmals präpariert. Noch heute kann man dort einen perfekten Tag auf der Loipe erleben.
Sonntag früh am Thurner. Unter der Woche hat es ordentlich geschneit, einen guten Meter hoch türmt sich jetzt der Schnee rund um das Loipenhaus. Eine sternenklare, eiskalte Nacht hat den Pulverschnee in eine weiße, glitzernde Fläche verwandelt. Im Innern der Blockhütte wachsen wir unsere Ski. Draußen strahlt die Sonne am blauen Winterhimmel, dennoch kriecht die Kälte sofort unter die dünnen Langlaufhandschuhe und beißt in die Fingerspitzen.
Rasselnd fährt das Loipenspurgerät an uns vorbei und hinterlässt vier parallele Furchen im Schnee, die glitzern und in großem Bogen im Wald verschwinden. Ein paar Langläufer in bunten Klamotten sind schon unterwegs. Und sonst nichts als Stille, Bäume und weiße Weite. Wir schnallen die Ski an die Füße, fädeln die Hände durch die Schlaufen der Stöcke – und los. Bloß nicht zu lange unbeweglich in der Kälte stehen! Ein kahler Laubbaum am Streckenrand ist bizarr bereift, die Äste der dicht stehenden Fichten am Waldsaum biegen sich unter ihrer Schneelast weit nach unten.
Eine der schönsten Loipen Deutschlands
Jetzt rauschen die Bretter in der frisch präparierten Loipe, schon nach wenigen Schritten gleiten wir ruhig und gleichmäßig dahin. 15 Kilometer lang ist die längste Runde der Thurnerspur, es gibt insgesamt vier Abkürzungen, doch schon hinter der ersten Kurve öffnet sich die Landschaft und gibt einen weiten Blick über die verschneiten, offenen Hochflächen bis hin zum Kandel frei und wir wissen: Heute wird's die große Runde.
Die Thurnerspur, so steht es oft geschrieben, gilt als eine der schönsten Loipen Deutschlands. Sie liegt zwischen den Hochschwarzwälder Orten St. Märgen und Breitnau auf einer Höhe zwischen 1060 und 1190 Meter. Vor rund fünfzig Jahren, im Winter 1972, wurde die Doppelspur zum Langlaufglück zwischen Thurner und Weißtannenhöhe zum ersten Mal präpariert. „Die Landschaft hier oben hat es mir nun einmal angetan“, schwärmt Wolf Hockenjos, pensionierte Villinger Forstdirektor, gebürtiger St. Märgener und seit Beginn an Vorsitzender des Club Thurnerspur e.V., den wir ein paar Tage zuvor im Thurnerwirtshaus am warmen Ofen trafen.
Der Verein sorgt an Schneetagen – und das können in einem Winter auch mal über 100 sein – für das tadellos gepflegte Loipennetz. Im Loipenhaus kann man Ski wachsen, Duschen, Palavern – und bekommt zum heißen Tee eine Beitrittserklärung überreicht. Über 4000 Mitglieder hat der Club und dank diesen ist die Loipe bis heute kostenfrei und für alle offen. „Wir verfolgen keine geschäftlichen Absichten“, sagt Wolf Hockenjos, „im Gegenteil, wir wollen mit unseren frei nutzbaren Loipen der drohenden Kommerzialisierung unseres Volkssports etwas entgegensetzen.“ Am Thurner wechselt Wald mit aussichtsreichen, vorwiegend nordexponierten und daher schneesicheren Freiflächen, erklärt Hockenjos: „Dazu eine günstige Verkehrsanbindung und nicht zuletzt die vorhandene Gastronomie - hier oben wollte alles zusammenzupassen“, erinnert sich der drahtige alte Förster bei einem warmen Linsengericht im Thurnerwirtshaus an die Gründungstage.
Die "Kommunistenrennbahn" mit Geschichte
Nicht alle waren damals Feuer und Flamme für die Idee einer Langlaufloipe auf der Höhe, man habe damals von Hof zu Hof pilgern und Überzeugungsarbeit bei jenen Bauern leisten müssen, über deren Matten die Spur noch heute verläuft, erzählt Hockenjos. Auch die St. Märgener Gemeinderäte lehnten die Spur damals zunächst ab – heute, wo die Wintersportler auf den schmalen Latten zu einem richtigen Schwarzwaldwinter ebenso gehören wie der zugefrorene Wasserfall in Todtnau, ist das kaum vorstellbar. Und dass so manch ein Wälder, wie sich der Menschenschlag hier oben zu nennen pflegt, die Loipe Anfang der 70er Jahre schon mal „Kommunistenrennbahn“ schalt, sorgt heute nicht nur im Thurnerwirtshaus für große Heiterkeit.
Längst Geschichte ist auch das Loipenbuch, dass einst am Fahrenberg ausgelegt worden war, samt der skurrillen, zuweilen schrulligen Wettkämpfe darum, wer am Ende einer Saison nun die meisten Einträge habe. Geblieben ist jedoch die Alpensicht und das zackige Relief, das uns den Atem in großen Dampfwolken aus den Lungen treibt. Beim Waldbauer geht’s steil bergan, die Alpensicht beflügelt und die Abfahrt zur Fahrenhalde verschafft uns kurz Luft, ehe wir die steile Rampe zum Eckershäusle im Grätenschritt erklimmen. An der Weißtannenhöhe kreuzt der jetzt tief verschneite Westweg – waren wir wirklich hier unterwegs gewesen letzten Sommer?
Seinen Namen trägt der 1190 Meter hohe Berg jedenfalls wieder zu Recht. Vor vierzig Jahren stand die Weißtannenhöhe dagegen noch voller Rottannen, also Fichten. „Der Weißtannenhof hatte den Berg im Verlauf von Jahrhunderten zum Weidberg umfunktioniert,“ erklärt Förster Hockenjos. Hernach seien vor allem Fichten gepflanzt worden und der Weißtannennachwuchs kam nicht hoch, weil er vom Wild verbissen worden sei. „Heute gibt es dank intensiverer Jagd auch wieder mehr Verjüngung.“ Und bei derartigen Minusgraden wie heute, treiben sich tannenknospenfressende Rehe ohnehin lieber in den tieferen Lagen herum, im Wald am Spirzendobel etwa.
Niedrige Decken, heißer Tee und Langlaufgeschichten
An einer Waldwegkreuzung zweigt der Fernskiwanderweg Schonach-Belchen Richtung Hinterzarten ab. Ein Stück seiner insgesamt 100 Kilometer verläuft die legendäre, ebenfalls in den 70ern aus der Taufe gehobene Strecke auf der Thurnerspur verläuft. Wir überlegen kurz, den orangefarbenen Schildern zu folgen – es ist ja zu verlockend, jetzt nur noch bergab zu rauschen – machen aber dennoch kehrt. Schließlich kehrt die Loipe in einem großen Bogen zurück zum Eckershäusle, das seit ein paar Jahren als Loipenstrauße betrieben wird. Und das wollen wir uns nicht entgehen lassen. Vor der Tür stecken Ski und Stöcke im Schnee, drinnen sind die Decken niedrig, die Sitzbänke voll belegt und im Eck bollert ein wuchtiger grüner Kachelofen. Der heiße Tee tut wohl und an den Tischen drehen sich die Gespräche um Schneebeschaffenheit und das passende Wachs.
Da haben wir ja heute alles richtig gemacht, denken wir uns, als wir die restlichen Kilometer bergab sausen. Bergab? Naja, fast. Ein paar Steigungen gibt es noch und die notorisch vereiste Kurve oberhalb des Holzhofs – aber was wäre die Thurnerspur ohne das ständige Auf und Ab und die rasante Wegführung? Eben: Flach und ein bisschen langweilig. Und das kann ja keiner ernsthaft wollen.