Hornschlittenrennen im Hochschwarzwald

Mit 70 km/h den Berg hinab
09.09.2022

von Christian Engel

Irre, wahnsinnig, verrückt? Hornschlittenrennen im Hochschwarzwald sind vor allem eines: eine Riesengaudi für Fahrer und Fans.

Joachim Lauer erinnert sich noch gut an seine erste Fahrt auf einem Hornschlitten. Er hatte ihn von seiner Frau zu Weihnachten geschenkt bekommen – und bedankte sich bei ihr mit einer gemeinsamen Probefahrt. Der Schnee stimmte, das Wetter passte, die Laune war gut, die Zuversicht groß. Das leichte Zittern im Körper, bevor es mit dem rund 40 Kilo schweren Schlitten das erste Mal einen eisigen Hang hinabging, kam natürlich nur von der Kälte. Jetzt, sagte sich Joachim Lauer, würde er es dem verschneiten Berg aber mal so richtig zeigen. Naja, und dann zeigte es der verschneite Berg erst einmal ihm.

Nach 20 Metern drehte sich der Schlitten, Joachim Lauer und seine Frau schossen auf einmal rückwärts bergab. Dann fiel Lauer auch noch hinunter und knallte in den Schnee. Falls es das gibt, könnte man sagen: Joachim Lauer hat an jenem Tag vor rund 25 Jahren seine Schneetaufe erlebt. Sie hat ihn allerdings nicht frustriert, sondern abgehärtet, gar begeistert: Er raffte sich auf, wischte sich den Schnee von der Hose, probierte es erneut und lernte diesen Sport lieben. Heute leitet der 71-Jährige die Hornschlittenabteilung des Skiclub Menzenschwand.

Der Hornschlitten wartet auf die nächste Fahrt
Der Hornschlitten wartet auf die nächste Fahrt © Christian Engel
"Anfangs wollte ich's dem Berg zeigen, doch der zeigte es mir"
(Joachim Lauer)

Irgendwann verdrängte die Technik die Tradition

In Menzenschwand und in vielen Berggemeinden im Hochschwarzwald haben Hornschlitten Tradition. Bis in die 1950er-Jahre hinein transportierten Holzarbeiter auf ihnen das frisch geschlagene Holz hinab ins Tal. Klingt romantisch, war aber hochgefährlich, nicht selten mit schweren Verletzungen verbunden, wenn es mal zu einem Unfall mit den schwerbeladenen Geräten kam. Irgendwann siegte die Technik über die Tradition, irgendwann konnten sich mehr und mehr Betriebe und Holzarbeiter Zugmaschinen leisten – und die Hornschlitten verstaubten fortan in Scheunen.

In den 70ern, als sich schon kaum mehr jemand an Hornschlitten erinnerte, an diese Teile, deren lange Holzkufen wie Ochsenhörner aussehen, begannen Menschen, die Schlitten als Sportgeräte für sich zu entdecken. Schnee war ja genügend vorhanden – also wieso mal nicht draufsitzen und einen Berg runterheizen?

Hornschlitten Unfall Waldau

Hornschlittenrennen erfordern eine Menge Mut, da Turbulenzen während dem Rennen nicht immer vermieden werden können © SC Waldau

Die ersten Rennen waren bald organisiert

Schnell gründeten sich die ersten Hornschlitten-Abteilungen in Skiclubs, gar eigene Vereine wie die Hornochsen Neustadt oder die Hornissen St. Märgen. Erst war es ein großer Spaß, dann wurde es Ernst: Wenn schon der halbe Schwarzwald auf Hornschlitten Hänge hinabrauscht, dann lasst es uns doch organisieren – lasst uns Rennen veranstalten!

Alfred Beha ist, wie seine innere Statistik ihm Pi mal Daumen verrät, mehr als 100 Hornschlitten-Rennen gefahren. Mit 15, erzählt der 54-Jährige aus Waldau bei Titisee-Neustadt, sei er einfach so reingerutscht in den Sport. Einfach mal ausprobiert, weil seine Kumpels und andere Leute aus dem Dorf es auch taten. Also rauf auf den Schlitten. Einer liegt als Co-Pilot vorne auf der Fläche, weil sonst der Schlitten nach hinten überkippt. Er arbeitet kräftig mit, unterstützt den hinten stehenden Piloten vor allem beim Bremsen. Bei einem Gefährt, das je nach Gefälle der Strecke locker mal 70 km/h aufs – nicht vorhandene – Tacho bekommt, kann man sich die Anstrengungen dahinter vorstellen.

Der Pilot selbst arbeitet mit vollem Körpereinsatz: Schiebt erst einmal mit schnellen Schritten an, legt sich in die Kurven, steigt in flachen Passagen ab, um mit erneutem Anlauf neuen Schwung zu holen. „Dieser Adrenalinkick“, sagt Alfred Beha, „ist der absolute Wahnsinn.“

Hinten steuert der Pilot, vorne liegt der Co-Pilot und stabilisiert
Hinten steuert der Pilot, vorne liegt der Co-Pilot und stabilisiert © Hochschwarzwald Tourismus GmbH

Früher waren 100 Teilnehmer am Start

50 Pokale hat Alfred Beha nach eigenen Angaben abgesahnt, heute aber fährt er nicht mehr. Einmal, erzählt er, habe er sich das Kreuzband bei einem Rennen zerfetzt. Im Schnee hängengeblieben. Nein, heute fährt er lieber nicht mehr, heute lässt er andere ran. Beim traditionellen Rennen in Waldau ist er Zeitnehmer – und Schnapsverteiler. Wer will, kann vor dem Start noch ein Kirschwasser einnehmen. Zielwasser im Startbereich. Dann gibt Alfred Beha grünes Licht, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer passieren in Abständen die Lichtschranke, sausen wie im Rausch gut 800 Meter bergab, erst idyllisch durch ein Waldstück, am Ende den Winterberg hinab ins Ziel, wo die halbe Gemeinde wartet und den Sportlern zujubelt.

27 Teilnehmer sind es an diesem traumhaft sonnigen Wintertag. „Früher“, sagt Alfred Beha, „waren wir deutlich mehr – manchmal 100.“

Wie das nach einem anfänglichen Boom häufig so ist: Irgendwann flaut er ab. Dann belächeln nachfolgende Generationen die Pioniere, haben sowieso Millionen anderer Alternativen, als sich auf einen schweren und alten Hornschlitten zu setzen. Vereine und Abteilungen verlieren Mitglieder, der Nachwuchs bleibt aus. Und wenn dann auch noch hier und da Rennen wegen der Witterungsverhältnisse abgesagt werden müssen, steigert das nicht unbedingt die Attraktivität des Sports.

In der Hornschlitten-Abteilung des Ski-Club Waldau aber ist eine Wiederbelebung zu sehen. Das liegt auch an Daniel Ketterer.

"Früher waren wir deutlich mehr - manchmal 100.“
(Alfred Beha)

Die Jugend entdeckt den Sport wieder

Schwarzwälder Bub, 33 Jahre, Hornschlitten-Fan seit anderthalb Jahrzehnten: In Daniel Ketterer wurde einst das Feuer für den Sport entfacht, als er seine Vorgängergeneration beim Hornschlittenfahren beobachtete, es lustig fand, einfach mal draufhockte. Heute entfacht er die Freude in der Nachfolgegeneration. 35 Mitglieder hat die Hornschlitten-Abteilung, der er seit 2014 vorsitzt – die Zahl bleibt stabil. Immer mehr junge Leute aus dem Dorf, erzählt er, fänden Gefallen an dem Sport. „Jetzt müssten künftig mit weniger Corona und mehr Schnee aber unbedingt wieder mehr Rennen stattfinden, damit sie auch auf die Pisten können.“ Wettkämpfe stacheln an.

Die Wettkämpfe im Hornschlittenrennen haben in erster Linie einen geselligen Charakter. Natürlich gibt es Sieger, ein Treppchen, einen Pokal, mal Medaillen, mal Urkunden. Natürlich gibt es unter manch einem Team den Ehrgeiz, ganz oben zu stehen. Doch eines steht so klar wie eine Winternacht im Vordergrund: „Wir fahren aus Spaß an der Freude“, sagt Nachwuchsfahrer Jonas Saier von den „Hornissen St. Märgen“.

„Die Gaudi“ bewegt auch Joachim Lauer, sich immer wieder auf einen Hornschlitten zu setzen, Rennen zu fahren. Am liebsten würde er das auch mal wieder daheim, in Menzenschwand. Dort richtete der Skiclub 1975 das erste offizielle Hornschlittenrennen der Region aus, ganz bescheiden mit einer Deutschen Meisterschaft. Einfach mal wieder vor Publikum den Kammbühl runterheizen oder einen Hörnle-Marathon am Herzogenhorn starten. „Das“, sagt Joachim Lauer, „wäre doch mal wieder was.“

"Wir fahren aus Spaß an der Freude“
(Jonas Saier)
Die Jugend entdeckt den Sport für sich

Die Jugend entdeckt nach und nach den Sport wieder für sich © Christian Engel