Lärmschutz

Qi-Walking im Winterwald

In der Ruhe liegt die Kraft
30.11.2020

von Freya Pietsch

Ausbrechen aus dem Trubel des Alltags – wer träumt nicht manchmal davon? Der Winter ist die ideale Jahreszeit: Die Natur tankt Energie, wir tun es ihr gleich. Beim Qi-Walking um den Windgfällweiher finden wir zur Ruhe. Trainerin Melanie Manns hat uns auf dem Weg zur inneren Mitte begleitet.

Es ist, als hätte jemand den Stecker gezogen – im positiven Sinne. Den Strom für die Gedankenkreisel im Gehirn einfach abgedreht. Dabei steht Melanie doch nur vor uns. Ruhig und unaufdringlich. Den grauen Windgfällweiher in ihrem Rücken, über den sich die Bäume wie schlummernde Gestalten beugen. Und spricht mit sanfter Stimme die Zauberformel: 

“Wir stehen da. Spüren die Füße, wie sie den Boden berühren. Spüren die Unterlage. Sind einfach nur da.“
(Melanie Manns)

Mehr nicht. Aber es wirkt.

Mit wenigen Sätzen hat die Qi-Walking-Trainerin uns, die wir vorher noch gehetzt im Stau standen, sanft ins Hier und Jetzt geholt. Wir nehmen die Tannen links und rechts des Sees wahr, die mit ihren weiß benetzten Zweigen eine stoische Ruhe ausstrahlen. Ein kleiner Weg führt dorthin und lockt zum Spaziergang in die Winterwelt. Die To-do-Liste, die im Hirn ihre Endlosschleife gedreht hat? Ist mindestens genauso weit weg wie die nur schemenhaft durchdringende Sonne. Ängste, Sorgen, war da was? Es ist, als hätte der Boden unter unseren Füßen, auf die wir jetzt voll und ganz konzentriert sind, den ganzen Ballast verschluckt. Gut so. Denn heute, eingemummelt in Mütze, Schal und dicken Winterjacken, möchten wir herunterkommen vom Alltagsstress. Mit Qi-Walking am Windgfällweiher. Und das beginnt wie viele fernöstliche Meditations- und Bewegungsformen erst einmal damit, dass wir unsere Gedanken fokussieren.

Qi-Walking am Windgfällweiher

„Qi-Walking kommt von Qi-Gong“, erklärt uns Melanie, während sie zum Aufwärmen sanft mit ihren Füßen vor- und zurückwippt. Die 38-Jährige aus Menzenschwand bietet regelmäßig Kurse und Einzelstunden an. „Qi steht für Lebensenergie. Bei der gezielten Bewegung in der Natur – dem Walking – werden Körper, Geist und Seele in Einklang gebracht und die blockierte Lebensenergie kann wieder fließen.“ Dieser magische Ort mit seinen schneebedeckten Tannen und dem weiten Blaugrau des Sees ist ein idealer Ort, um in und mit der Natur wieder zu sich selbst zu finden.

Achtsamtes Gehen bringt alles in Fluss. Trainerin Melanie Manns (r.) zeigt Autorin Freya Pietsch (l.), wie's geht.
Achtsamtes Gehen bringt alles in Fluss. Trainerin Melanie Manns (r.) zeigt Autorin Freya Pietsch (l.), wie's geht. © Michael Spiegelhalter

Wir atmen die kühle Winterluft tief in den Bauch hinein – ah, das beruhigt –, dann geht es weiter mit Lockerungsübungen. Erst die Beine, schließlich das Becken, mit dem wir „eine lockere Acht“ zeichnen. Anschließend lassen wir die Arme schleudern, indem wir den Oberkörper aus dem Becken heraus drehen. „Wie ein Kettenkarussell“, meint Melanie, die bei ihren Kursen viel mit Bildern und Imagination arbeitet. Und plopp, taucht vor unserem inneren Auge ein sich zu Kirmesmusik drehendes Karussell auf, das sich bunt von der weißen Landschaft abhebt.

Nach den Lockerungsübungen stapft Melanie den Hang hinauf auf den Weg, der um den Windgfällweiher führt. Schnee knarzt unter den Füßen. Ansonsten ist kein Ton zu hören. Um uns herum scheint alles zu schlafen – die Bäume, die Tiere, die Pflanzen. Nur der Schnee, der ab und zu von den Zweigen rieselt, unterbricht die Ruhe, die sich wie eine wohlige Decke jetzt mehr und mehr auch in unserem Inneren ausbreitet.

“Beim Qi-Walking geht es um ganzheitliche Bewegungen.“
(Melanie Manns)

„Wir setzen die Füße sanft auf und rollen locker ab. Die Handgelenke gehen mit. Wie eine Marionette: Die Hände ziehen jeweils das gegenüberliegende Bein nach oben.“ Wir versuchen, es der Trainerin gleich zu tun, sind dabei aber viel zu verkopft. Wie war das noch einmal? Ein Handgelenk nach vorne hochnehmen, dabei das gegenüberliegende Bein ebenfalls etwas nach oben ziehen, höher als beim normalen Gehen, und anschließend sanft auftreten, ohne dabei die Ferse in die Erde zu rammen. Während Melanie in wippenden, weichen Schritten nach vorne schreitet, staksen wir ihr wie Störche hinterher.

Qi-Walking ist eine Mischung aus beruhigen und aktivieren.
Qi-Walking ist eine Mischung aus beruhigen und aktivieren. © Michael Spiegelhalter

Also, noch eine weitere Übung: „Geht ein bisschen in die Knie, das Becken nach hinten, das Steißbein nach unten ziehen. Setzt euch auf ein imaginäres drittes Bein, so wie ein Känguru auf seinen Schwanz.“ Das Bild funktioniert. Wir sind Kängurus, auch wenn wir nicht hüpfen, das Becken wird locker und zum ersten Mal bekommen wir eine Ahnung davon, wie das Regenerationstraining alles wieder in den Fluss bringen will. Unverkrampft und fast schon mit einer erhabenen Freude schreiten wir neben Melanie her, die uns ermuntert, auf dieses innere Gefühl zu vertrauen.

Beruhigen und Aktivieren

An einer flachen Stelle vor dem See machen wir Halt. Jetzt kommen weitere Bewegungen, die sich an den Jahreszeiten orientieren. Und die sind ganz schön anstrengend. Qi-Walking bedeutet nicht etwa, sich zu entspannen und danach ins Bett zu legen und zu schlafen. „Es ist eine Mischung aus beruhigen und aktivieren“, erklärt die Lehrerin. Eine ganzheitliche Sache also. Und dazu gehört auch, dass der Körper in Bewegung und in eine gewisse Spannung kommt. Das macht frisch und wieder fit. Eine ihrer Teilnehmerinnen könne an den Qi-Walking-Tagen regelmäßig auf ihren Mittagsschlaf verzichten – weil sie schlicht nicht müde sei. 

Entschleunigen im Winterwald: Tief durchatmen.
Entschleunigen im Winterwald: Tief durchatmen. © Michael Spiegelhalter

Das Umfeld spielt für Melanie Manns beim Qi-Walking eine zentrale Rolle. „Qi-Gong ist von der Natur abgeguckt. Die Überzeugung ist, dass man alles von außen auch in sich trägt. Das Große ist im Kleinen und andersherum. Sobald man in die Natur geht, passiert etwas mit einem.“ Genau so, wie wir jetzt die beruhigende Wirkung von Wald und See erleben. Sie deutet auf den Windgfällweiher, der an dieser Seite aufgrund der Strömung nicht gefroren ist. „Allein schon am Wasser zu sein, macht etwas mit dir. Wasser ist Lebensfluss. Es ist der Winter, der Ursprung. Von ihm kommt alles, zu ihm geht alles.“

Der schmale Weg führt in ein Wäldchen. Gepuderte Bäume bilden eine Allee. Jetzt, da kein Vogel zwitschert und kein Tier zu sehen ist, strahlen die Tannen eine besondere Präsenz aus. Verlässlich und stabil schaffen sie für uns den Rahmen, um ganz in unserer Mitte zu bleiben. Mit dem Känguru im Kopf und einem sanften Nieselschnee im Gesicht schreiten wir locker nebeneinander her.

Training der Faszien

An einem braunen Holzbrückchen macht Melanie Halt. Jetzt kommen Dehnübungen. Während wir versuchen, mit den Händen an der Brüstung, die Beine nach hinten ausgestreckt, Po nach oben, einigermaßen Haltung zu bewahren und nicht seitlich abzukippen, versichert uns Melanie, dass diese Position das Becken lockert. Bei einer weiteren Übung halten wir uns mit den Händen an der Brücke fest, gehen in die Knie und ziehen die Hüfte sanft nach unten. Die Arme werden angenehm gedehnt. „Dehnen, harmonisieren, in Fluss bringen. Letztlich ist Qi-Walking auch ein Training der Faszien“, erzählt sie uns. Viele Schmerzsymptome, zum Beispiel im Rücken, sollen in diesen speziellen Komponenten des Bindegewebes ihren Ursprung haben.

Dehnen, harmonisieren, in Fluss bringen.
Dehnen, harmonisieren, in Fluss bringen. © Michael Spiegelhalter

Das Schnuppertraining endet mit weiteren Übungen am See. Wir haben viel gesprochen, was eher untypisch fürs Qi-Walking ist. „Ich möchte keine Tratschtantenrunde anbieten“, sagt Melanie Manns und lacht. „Qi-Walking ist eine Übung der Achtsamkeit. Meditativ, erdend. Man horcht in sich hinein. Es geht um den Kontakt mit sich selbst. Und mit der Natur.“ Sie selbst gehe immer wieder in den Wald, um Abstand zu gewinnen. „Wenn die Leute wüssten, wie herrlich es hier ist!“, denkt sie sich, während sie einfach nur auf einer Bank oder im Gras sitzt. Nichts tut und lauscht. Denn bei all den Fragen und Alltagssorgen, die auch Melanie Manns umtreiben, ist sie sich gewiss: Die Natur hat ganz sicher die passende Antwort.

Mehr Informationen

  • Neben Qi-Walking-Kursen bietet Melanie Manns auch Schneeschuh- und Sonnenaufgangstouren, Mädels-Tage und Einzelbegleitungen in der Natur an. 
    Infos/Kontakt: 
    Tel. +49(0)7675/3599868
    natur-wesen.com 
  • Der Hochschwarzwald hat noch so viel mehr Wintersport zu bieten, den du lernen kannst. Hier kannst Du Dich für Langlaufkurse, Skikurse oder auch Snowboardkurse anmelden.