Sonnenaufgang auf dem Feldberg

Über den Wolken wandern

Bergwärts die Suppe auslöffeln
12.10.2020

von Birgit-Cathrin Duval

Wandern im dichten Nebel hat seinen Reiz und birgt so manche Überraschung.

Schlaftrunken schäle ich mich aus den Federn. Der Rucksack steht bereits gepackt parat. Auf die Schnelle trinke ich einen Kaffee, den Rest fülle ich mir in die Thermoskanne. Als ich die Haustüre öffne, wabert mir dichtes Grau entgegen. Die andere Straßenseite ist kaum zu erkennen. Das war’s dann wohl mit dem Gipfelkaffee auf dem Feldberg zum Sonnenaufgang. „Nee kommt gar nicht in Frage!“ Meine Freundin winkt energisch ab, als ich ihr vorschlage, statt der geplanten Wandertour, uns zum Frühstück in der Stadt zu treffen. Also fahren wir los, in den dunklen Morgen und dichten Nebel hinein, der uns keine zehn Meter weit auf die Straße blicken lässt.

Im Schneckentempo fahren wir die Passstraße Richtung Feldberg hinauf. Meine Hoffnung, der Nebel könnte sich auf dem Feldbergpass gelichtet haben, wird vom Einheitsgrau erstickt. Ich komme mir vor wie ein Pilot in den Wolken, dem die Instrumente versagen. Mit einem Mal bin ich völlig orientierungslos und fast hätten wir die Abzweigung zum Parkhaus verpasst. Vorsichtig tappen wir uns von dort durch die Nebelsuppe zum Haus der Natur und finden dahinter den Einstieg zum Wanderweg Feldbergsteig.

„Seltsam im Nebel zu wandern, kein Baum sieht den anderen“, zitiere ich laut die Worte von Hermann Hesse. Wir sind uns einig: Es ist nicht nur seltsam, es ist unheimlich. Der Nebel verschluckt alle Geräusche. Kein Vogel, kein Rauschen des Windes ist zu hören. Diese Stille ist uns nicht geheuer. Ein unwirkliches Gefühl. Wie von selbst folgen wir unserem Instinkt. Trotz des frühen Aufstehens sind alle Sinne hellwach. Eine spannende Erfahrung. Als würden wir alles viel intensiver erleben. Jeder Atemzug, jeder Schritt. Ist es das, was der Schriftsteller Henry David Thoreau meinte, was er in seinem Buch „Walden“ beschreibt, dass wir lernen müssen, zu erwachen und wach zu bleiben?

Ich komme mir vor wie ein Pilot in den Wolken, dem die Instrumente versagen.
Ich komme mir vor wie ein Pilot in den Wolken, dem die Instrumente versagen. © Birgit-Cathrin Duval

Im Geisterwald

In gewisser Weise tut es gut, sich auf Unbekanntes einzulassen, die Unruhe auszuhalten und sich der Herausforderung in dieser ungewohnten Umgebung zu stellen. Unser Aufstieg ist eine Expedition in eisige Höhen. Ein Blick auf die Uhr zeigt, es ist kurz vor Sonnenaufgang. Doch noch immer wabert dichter Nebel um die Tannenbäume. Die Nadeln sind von einer dicken Frostschicht ummantelt. Ein eisiger Wind fegt uns ins Gesicht. Wir frösteln. Ist es wegen des Windes oder ist es der geisterhafte Nebel, der uns einen Schauer über den Rücken jagt?

Kein Wunder, dass die Menschen früher glaubten, im Schwarzwald trieben böse Geister und Hexen ihr Unwesen. Im Nebeldunst verwandeln sich die Bäume zu grimmigen Gestalten, ihre knorrigen Äste strecken bizarre Arme nach uns aus. Einen Augenblick überlegen wir, die Wanderung abzubrechen, dann gehen wir entschlossen weiter. Wir reden laut miteinander, das ermutigt uns. Dennoch: Sollten wir Wanderweg und Markierungen nicht mehr erkennen, werden wir umkehren.

„Seltsam im Nebel zu wandern, kein Baum sieht den anderen“, zitiere ich laut die Worte von Hermann Hesse.
„Seltsam im Nebel zu wandern, kein Baum sieht den anderen“, zitiere ich laut die Worte von Hermann Hesse. © Hochschwarzwald Tourismus GmbH

Über den Wolken wandern

Mit einem Mal färbt sich der Nebel golden. Die eben noch schaurig wirkende Umgebung leuchtet in einem übernatürlichen Licht. Uns erscheint das Licht wie eine Offenbarung, als betreten wir eine bislang unbekannte Dimension. Mit jedem Meter, den wir höher steigen, lichtet sich der Nebel, ich kann die Wärme der Sonne bereits im Gesicht spüren. Und dann, tatsächlich, sehen wir die ersten Sonnenstrahlen.

Die Tanne vor uns strahlt in einem magischen Licht, als hätte der Himmel einen Scheinwerfer angeknipst und direkt auf sie gerichtet. Feine Nebeltröpfchen flirren durch die Luft, das Licht wirft lange Strahlen, die den Bäumen eine märchenhafte Silhouette verleihen. Was für ein grandioses Bild! Ich hole den Fotoapparat aus dem Rucksack, nur um festzustellen, dass die morgendliche Kälte den Akku erschöpfte. Vielleicht will die Natur, dass uns dieser Augenblick ganz allein gehört.

Um uns herum schimmert, glitzert und leuchtet es. Feine Nebelfäden wirbeln durch die Luft, die Farben leuchten intensiver, die eben noch geisterhaften monochromen Schatten verwandeln sich in weiche Konturen. Vor unseren Augen vollzieht sich eine schier unglaubliche Metamorphose. Noch können wir nur schemenhaft die Tannen im nun goldgelben Licht erkennen. Und mit einem Mal steigen wir aus dem Nebelschleier. „Jetzt haben wir die Nebelsuppe ausgelöffelt“, lacht meine Freundin und wir können unser Glück kaum fassen. Vor uns öffnet sich ein Panorama, das uns schier den Atem raubt.

Die Täler unter uns sehen aus, als wären sie mit Watte ausgepolstert.
Die Täler unter uns sehen aus, als wären sie mit Watte ausgepolstert. © Birgit-Cathrin Duval

Die Täler unter uns sehen aus, als wären sie mit Watte ausgepolstert. Darüber spannt sich ein wolkenloser Himmel. Wir sind regelrecht beflügelt, über der Nebeldecke wandern ist einfach himmlisch. Wir sehen den Gipfel des Herzogenhorns mit seinem markanten Gipfelkreuz, dahinter funkeln die schneebedeckten Riesen der Alpen im Licht der aufgehenden Sonne. Frühmorgens auf dem Gipfel eines Berges den Sonnenaufgang zu erleben, ist das Schönste und Eindrucksvollste jeder Wanderung. Und umso eindrucksvoller, wenn man aus dem Nebelmeer über das Wolkenmeer steigt. 

Der Gipfelkaffee auf dem 1.493 Meter hohen Feldberg ist etwas ganz besonderes, auch wenn er bereits lau geworden ist. Wir sind berauscht von Glücks gefühlen. Wie gut, dass wir uns gegen ein Frühstück in der Stadt entschieden haben. Das gönnen wir uns in der St. Wilhelmer Hütte. Wir steigen auf der Nordwestseite vom Gipfel ab und kehren in der urigen Hütte ein. Das selbstgebackene Brot schmeckt besser als jedes Croissant aus der Stadtbäckerei. Die im Nebel versunkenen Täler sehen von hier oben wunderschön aus. Wir genießen das Frühstück über den Wolken. Mit dem Abstieg ins Nebelmeer lassen wir uns Zeit – am liebsten würden wir den ganzen Tag im Sonnenschein verbringen.

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  • Für eine Tour zum Sonnenaufgang braucht es gute Ortskenntnisse oder eine zuverlässige Wegbeschreibung. Oder aber das Wissen von echten Experten, die bei einer geführten Wanderung, die schönsten Routen zeigen.
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