Überfrierende Nässe

Wenn das Glatteis senkrecht an der Wand hängt

Unterwegs zu den Schwarzwälder Eispalästen
12.10.2020

von Birgit-Cathrin Duval

Wenn es bitterkalt wird, entfaltet der Winter seine künstlerische Ader. Bei Temperaturen weit unter null Grad formt er die Schwarzwälder Wasserfälle zu imposanten Eispalästen. Ihre volle Schönheit entfalten sie an klirrend kalten, sonnigen Tagen. Ziehen Sie sich warm an und kommen Sie mit auf eine Entdeckungsreise zu den eindrucksvollsten Naturschauspielen des Winters.

Der Eisbart von Väterchen Frost – die Todtnauer Wasserfälle

Ich liebe den Soundtrack des Winters: Wenn der frische Pulverschnee mit jedem Tritt unter meinen Schuhen knirscht und ich die ersten Spuren im noch unberührten Weiß hinterlasse. Die stillen Wintertage sind etwas ganz besonderes. Als hätte der Schnee, der Tannen und Täler bedeckt, die ganzen Geräusche unter der weißen Pracht eingeschlossen. Wintertage sind meditative Tage. Abseits vom Rummel der Skipisten genieße ich die Ruhe des Winterwaldes und mache mich auf den Weg, den Todtnauer Wasserfall in seinem eisigen Gewand zu bestaunen. Der Todtnauer Wasserfall steht seit 1987 unter Denkmalschutz und zählt zu den Top Ten der schönsten Naturdenkmäler in Deutschland.

Von seiner Quelle am 1.386 Meter hohen Stübenwasen fließt der Stübenbach durch das Todtnauberger Hochtal, erhält weiteren Zufluss von anderen Bergbächen und fällt dann über eine knapp 100 Meter (genau sind es 97 Meter) hohe, steile Granitwand in mehreren Stufen hinab. Im Sommer ist das Getöse des mächtigen Wasserfalls bereits von weitem zu hören. Am heutigen Wintertag ist alles ruhig. Nur meine Schritte auf dem Schnee knarzen, während ich vom Parkplatz Aftersteg, direkt an der Landstraße gelegen, zum Wasserfall gehe. Im Winter sind die kleinen Stege, Brücken und Treppen, die seitlich des Wasserfalls angebracht sind, wegen der Absturzgefahr gesperrt. Der leicht ansteigende, knapp 500 Meter lange Wanderweg, der zum Wasserfall führt ist auf eigene Gefahr zugänglich. Eintritt, wie sonst in den Sommermonaten, muss keiner berappt werden. Da es in der Nähe des Wasserfalls recht rutschig sein kann, ist gutes Schuhwerk und eventuell Spikes, die einfach an die Schuhe geschnallt werden, unerlässlich.

Von gold bis hin zu blauen Tönen reicht die Farbpalette, die das Licht ins Eis zaubert.
Von gold bis hin zu blauen Tönen reicht die Farbpalette, die das Licht ins Eis zaubert. © Birgit-Cathrin Duval

Die Wasserfälle vor denen ich mich befinde, erinnern mich an einen langen eisigen Bart. Riesige Eiszapfen hängen in bizarren Formen an der Felswand, wie Kaskaden, die mit einem Mal schockgefrostet wurden. Das Eis schimmert von milchig-blau zu perlweiß, mal ist es undurchsichtig, an anderen Stellen glasklar. Ein wundersames Kunstwerk, geformt aus Wasser und eisigen Temperaturen, einmalig und einzigartig zugleich zeigen uns die gefrorenen Wasserfälle eine neue Dimension des Winters.

Gut zu wissen

Die eisige Welt des Todtnauer Wasserfall kommt am besten an richtig kalten Wintertagen zur Geltung. Der Wasserfall liegt exponiert Richtung Süden, die Sonneneinstrahlung ist hoch, so dass der Schnee rund um den Wasserfall schnell schmilzt. Ohne die winterliche Kulisse der schneebedeckten Tannen und Berge wirkt der gefrorene Wasserfall weniger eindrucksvoll.

Anfahrt von Freiburg aus über die B31 und L126, Parken direkt an der L126 bei den Wasserfällen, Aftersteg. Eintritt frei (im Sommer 2 €), 500 Meter leicht ansteigender Wanderweg, der im Winter nicht geräumt wird. Betreten auf eigene Gefahr.

In die enge Schlucht fällt während der kurzen Wintertage kaum Sonnenlicht.
In die enge Schlucht fällt während der kurzen Wintertage kaum Sonnenlicht. © Birgit-Cathrin Duval

Eispalast in der verborgenen Schlucht – der Menzenschwander Wasserfall

Augenblicklich fühle ich mich in eine Märchenwelt versetzt. Vor meinem inneren Auge tanzen Eiselfen über das gefrorene Wasser. Warum eigentlich gibt es noch keinen Fantasiefilm, in dem der Menzenschwander Wasserfall als Kulisse diente? Ist sicher besser so, denn damit bleibt der Besuch des Wasserfalls im Winter ein Geheimtipp. In die enge Schlucht fällt während der kurzen Wintertage kaum Sonnenlicht. Das führt dazu, dass das Eis regelrecht versiegelt wird und lange hält – selbst dann, wenn der Schnee anderenorts bereits geschmolzen ist. Der Eispalast in der wilden, engen Schlucht bleibt erhalten.

Eindrücklich hat sich hier die Natur einen Canyon im Miniformat geschaffen. Zum Ende der letzten Eiszeit, in der das Menzenschwander Tal von Gletschern überzogen war, stürzten gewaltige Wassermassen vom Feldberg herab und schnitten sich tief in die Felsen ein. Die 30 Meter hohen Felsen sind über und über mit Eis bedeckt, als wäre die Eiszeit nie zu Ende gegangen.

Breite Eiszapfen hängen wie Gletscherzungen von den schroffen Felsen herab. Dazwischen formen sich filigrane Gebilde, als wäre ein Glasbläser am Werk gewesen. In der Schlucht herrscht tiefste Eiszeit. Jede Felsritze, jeder Felsvorsprung ist mit Eis versiegelt. Ich staune, mit welcher Kunstfertigkeit sich das gefrorene Wasser eine Form geschaffen hat. Als wäre sie nach einem ausgeklügelten Plan vorgegangen.

Die Nachmittagsonne wirft ihre Strahlen in die Schlucht.
Die Nachmittagsonne wirft ihre Strahlen in die Schlucht. © Birgit-Cathrin Duval

Die Menzenschwander Alb hält sich tief unter dem Eis verborgen. Hin und wieder sehe ich das Wasser unter der dicken Eisschicht glitzern. Der große Wasserfall hat sich in eine natürliche Eisskulptur „Made by Nature“ verwandelt. Meine Fantasie gaukelt mir vor, ich sei in Island, Grönland oder in der Arktis. Vorsichtig gehe ich weiter in die Schlucht hinein. Der Boden ist spiegelglatt. Ich schnalle mir die Spikes an die Winterstiefel. Ich muss auf jeden Schritt achten. Auf den steilen Treppenstufen, die sich in eine Eisleiter verwandelt hat, entscheide ich mich zur Umkehr. Ein einziger Fehltritt und ich schlittere metertief auf dem Glatteis nach unten.

Mit einem Mal lichtet sich der Wolkenhimmel. Die Nachmittagsonne wirft ihre Strahlen in die Schlucht. Das Eis beginnt zu leuchten und hebt sich deutlich vom Weiß des Schnees ab. Von gold bis hin zu blauen Tönen reicht die Farbpalette, die das Licht ins Eis zaubert. Fasziniert betrachte ich die Eiszapfen, in denen sich das Sonnenlicht bricht. Die Elemente schufen sich eine unbeschreiblich schöne natürliche Kunstgalerie, in der ich stundenlang verweilen kann.

Gut zu wissen

Anfahrt über Menzenschwand, der Ausschilderung Wasserfälle bis zum Talende folgen, Parken auf dem Wanderparkplatz. Der Wasserfall befindet sich nur wenige Meter vom Parkplatz entfernt. Vorsicht: Die Schlucht ist vereist, insbesondere an den steilen Treppenstufen. Gutes Schuhwerk und Spikes sind unerlässlich. 

Breite Eiszapfen hängen wie Gletscherzungen von den schroffen Felsen herab.
Breite Eiszapfen hängen wie Gletscherzungen von den schroffen Felsen herab. © Birgit-Cathrin Duval

Zauberhaftes Wintermärchen – die Ravennaschlucht 

Sie ist die kleine Schwester des schroffen Höllentals. Die kleine, verwunschene Schlucht, durch die sich der Wildbach Ravenna seinen Weg bahnt. Die zahlreichen Kaskaden und der kleine und große Ravenna-Fall mit 16 und sechs Metern Höhe verwandeln die Schlucht an kalten, schneereichen Tagen in eine zauberhafte Wintermärchenlandschaft.

Wer sich im Winter in die Ravennaschlucht aufmacht, muss trittsicher sein und über gutes Schuhwerk verfügen, denn der Pfad führt über Stege und Trittleitern. Sind die Leitern vereist, sollte unbedingt von der Wanderung durch die Schlucht absehen werden.  

Die Ravennaschlucht präsentiert sich im Winter als ein mit Eis und Schnee überzogener wilder Canyon. Interessant sind die Überbleibsel alter Mühlen, die noch gut erhalten sind. Besonders stimmungsvoll ist eine geführte Wanderung in der Adventszeit zum Weihnachtsmarkt unter dem historischen Eisenbahnviadukt der Höllental-Eisenbahnstrecke. Die Wanderung startet am Kurhaus in Hinterzarten und endet direkt am Weihnachtsmarkt. Die Rückfahrt nach Hinterzarten erfolgt mit dem Shuttle-Bus.

Gut zu wissen

Parken am Kurhaus in Hinterzarten oder beim Hofgut Sternen im Höllental. Die Schlucht kann von Hinterzarten oder vom Hofgut Sternen aus begangen werden. Vorsicht bei vereisten Leitern und Stegen. Die Begehung erfolgt auf eigene Gefahr.