Alte Schindelfassade
Der Bankenhof am Titisee hat eine Schindelfassade, wie man sie oft im Hochschwarzwald sieht.

Ein Herz für Holz

Schindelmacher Ernst Karle aus Muggenbrunn hat ein altes Handwerk neu belebt
05.09.2019

von Daniela Frahm

Schindelgedeckte Dächer und Fassaden gehören zu Schwarzwaldhöfen wie der Kuckuck zur Uhr und die Kirsche zur Torte. Im Laufe der Zeit wurden sie aber immer seltener, genau wie die Menschen, die das alte Handwerk des Schindelmachens noch beherrschen. In Todtnau-Muggenbrunn gibt es jedoch eine Familie, die die Tradition wieder aufgenommen hat: Ernst Karle und sein Sohn Lukas stellen Holzschindeln her und verkleiden damit Häuser in der Region.

Der gesamte Boden der früheren Wohnstube ist übersät von hellen Holzspänen. Mittendrin sitzt Ernst Karle auf seinem Schneidesel oder dem „Schniedesel“, wie er selbst im Dialekt sagt. Vor rund 30 Jahren hat er den Holzbock, auf dem man wie auf einem Esel oder Pferd hockt, auf dem Speicher wiederentdeckt und ein altes Handwerk neu belebt – das Schindelmachen. Der Schneidesel ist bereits über 100 Jahre alt. Er hat seinem 1906 geborenen Großvater gehört, neben dem Ernst Karle einst als kleiner Junge saß, wenn dieser in der Stube des typischen Hochschwarzwälder Eindachhofs Schindeln hergestellt hat. „Jetzt bin ich selbst Opa“, sagt Karle. Und auch wenn sein Enkel Lenni Mats mit vier Jahren eigentlich noch etwas zu klein ist, hat er ihn auch schon mit dem Handwerk vertraut gemacht. „Ich habe mal auf ihn aufgepasst, und so ein kleiner Bub will beschäftigt werden“, erzählt der 53-Jährige grinsend, „da habe ich ihm schnell einen Mini-Schniedesel gebaut, aber natürlich ein stumpfes Ziehmesser gegeben, das nicht schneidet.“

Die Begeisterung fürs Schindelmachen hat er schon Jahre zuvor auch an seinen Sohn Lukas weitergegeben, mit dem er einen Dachdeckerbetrieb hat. Gemeinsam produzieren sie die kleinen Holzplatten und verkleiden damit Fassaden. Eine Generation hat die Liebe für dieses Handwerk bei den Karles übersprungen: Ernst Karles Vater war Maurer und Landwirt, „der hatte damit nichts zu tun“. Dabei waren es in früheren Jahrhunderten vor allem eben jene Schwarzwaldbauern, die im Winter Schindeln für den Eigenbedarf herstellten, um im Frühjahr wieder ein Teilstück des eigenen Daches oder der Fassade ausbessern zu können. 

Am Schneidesel fertigt Ernst Karle Schindeln.
Am Schneidesel fertigt Ernst Karle Schindeln. © Daniela Frahm

Eine Arbeit für die Wintermonate

Als Ernst Karle den Schneidesel seines Großvaters fand, hatte er gerade eine Lehre als Dachdeckermeister abgeschlossen. Da sein damaliger Chef nichts dagegen hatte und es schnell eine große Nachfrage nach seinen Schindeln gab, meldete er ein Nebengewerbe an. Kurz darauf kam schon die Anfrage der Hannover-Messe, ob er dort Vorführungen machen könne. „Sie haben mich angeblich als einzigen eingetragenen Holzschindelmacher gefunden“, sagt Karle. Später hat er den Meister gemacht und seine eigene Dachdeckerfirma im Todtnauer Ortsteil Muggenbrunn gegründet, dessen Häuser und Straßen sich so idyllisch an die grünen Hänge unterhalb des Notschreis schmiegen.

Die Bäume für seine Schindeln sucht Ernst Karle nach Absprache mit dem Förster gewissenhaft aus und fällt sie selbst, vorzugsweise im Winter. „Sie sollten nicht im Saft stehen, aber auch nicht zu trocken sein.“ Weit muss er dazu nicht fahren, wenige Meter oberhalb seines Hofs beginnt der Bergwald. Ernst Karle bevorzugt Stämme aus dieser Höhenlage auf fast 1100 Metern, weil sie hier langsamer wachsen und die Jahrringe dadurch enger beieinander liegen. Das macht die Schindeln widerstandsfähiger und haltbarer. „Der Baum sollte außerdem windgeschützt stehen, nicht zu nass und nicht zu trocken, ideal sind Nordosthänge“, erklärt Karle, „und er darf keinen Drehwuchs haben.“ Er entscheidet sich immer für Fichten, weil die am besten zu spalten sind.

Echte Handarbeit: Mit dem Ziehmesser bearbeitet Ernst Karle die Holz-Rohlinge zu etwa elf Millimeter dicken Schindeln.
Echte Handarbeit: Mit dem Ziehmesser bearbeitet Ernst Karle die Holz-Rohlinge zu etwa elf Millimeter dicken Schindeln. © Daniela Frahm

Traditionelles Werkzeug vom Großvater

Auch dafür nutzt er traditionelles Werkzeug – einfach, weil es sich am besten eignet. Aus den in Scheiben gesägten Baumstämmen entfernt er mit der Spaltaxt zunächst das Splintholz im Außenring, das nicht gut haltbar wäre, aber immerhin zum Verfeuern im Ofen genutzt werden kann. Danach haut er nach Augenmaß Klötze heraus, aus denen er wiederum entlang der Maserung Rohlinge für die etwa elf Millimeter dicken Schindeln spaltet. Diese bearbeitet er auf dem Schneidesel in einem erstaunlichen Tempo mit dem Ziehmesser. Vorher wird festgelegt, auf welche Seite der sogenannte Schnauz kommt, die schräge Kante. „Die Schwarzwälder Wetterschindel muss auf drei Seiten dünner werden“, sagt Karle, „maschinell wäre das schwierig, das habe ich schon ausprobiert – da ist Handarbeit gefragt.“ Allerdings gibt es nur noch sehr wenige Menschen, die Holzschindeln auf diese klassische Art anfertigen. „Man muss das Handwerk schon beherrschen. Sonst lohnt es sich nicht, weil es zu teuer wird“, weiß Karle.

Aus einem Baum können rund 4.000 Schindeln entstehen, 140 braucht man für einen Quadratmeter Fassade. Für ein großes Privathaus in Muggenbrunn, inzwischen ein Vorzeigeprojekt von Karle, hat er gut 20.000 Schindeln benötigt. „Es ist so wunderschön geworden, ich freue mich jeden Tag daran, wenn ich es anschaue“, sagt die Hauseigentümerin stolz. Erstaunlich: Um die Schindeln am Haus anzubringen, ist ebenfalls nur ein Werkzeug notwendig, das einer Axt ähnelnde Schindelbeil. Dieses hat bei Karle auch schon historischen Wert hat und ist handgeschmiedet.

Ziehmesser
Ziehmesser © Daniela Frahm

Spezielle Deckung schützt vor Flugschnee

Zum Einsatz kommt bei ihm die sogenannte Schwarzwälder Rückendeckung. Dabei werden die Schindeln seitlich überlappend gelegt, so dass das Gebäude auch gegen Flugschnee geschützt ist. „Auf der feuchten Nordseite halten die Schindeln am besten“, erklärt Karle, „die Sonne setzt ihnen hingegen zu.“

Dass sein Sohn unbedingt bei ihm in die Lehre gehen wollte, darüber war er anfangs eigentlich gar nicht so begeistert. „Ich dachte, dass er zunächst auch nochmal einen anderen Betrieb kennenlernen sollte. Aber es hat dann super geklappt“, sagt Ernst Karle. Und nachdem Lukas in die Firma eingestiegen war, hatte der Vater auch wieder mehr Zeit, Schindeln zu machen – nun mit Unterstützung seines Sohnes. Das wiederum hat schnell die Nachfrage erhöht, nicht nur von Hausbesitzern mit Bedarf an neuer Fassadenverkleidung. Der Schindelmacher ist inzwischen auch eine touristische Attraktion und denkt darüber nach, auf seinem Hof regelmäßige Vorführungen seines fast ausgestorbenen Handwerks anzubieten. Momentan hat Ernst Karle aber so viele Aufträge, dass ihm dazu gar keine Zeit bleibt.

Kontakt

Ernst Karle
Oberhäuserstraße 26a
79674 Todtnau