Voluntouristen im Einsatz am Rohrhardsberg

Ackern fürs Auerhuhn
21.03.2022

von Birgit-Cathrin Duval

Das Auerhuhn gehört zu den faszinierendsten Tieren im Schwarzwald. Doch der stolze Urvogel steht hierzulande kurz vor dem Aussterben. Um die schwindende Population zu schützen, legen freiwillige Helfer, Feriengäste wie Einheimische, unter fachkundiger Leitung Auerwildbiotope an. Voluntourismus nennt sich diese Art der Urlaubsgestaltung, bei der Besucher mitanpacken und helfen, das Überleben des Auerhuhns zu sichern.

Irgendwo am Rohrhardsberg bei Schonach: wir stehen im Wald, eine Axt in der einen, eine Astschere in der anderen Hand. Es riecht erdig nach Moos und Pilzen, nach dem leicht harzig-ätherischen Duft von Fichten und Tannen. Ein warmes Septembermorgenlicht schimmert sacht durch Laub- und Nadelbäume. Es schickt sich an, einer dieser Spätsommertage zu werden, über die sich ein hellblauer Himmel spannt und an dem die Sonne mit voller Kraft ihre Strahlen zur Erde wirft, bevor der Herbst seinen Einzug hält.

Einweisung Voluntourismus Einsatz Rohrhardsberg

Der Einsatz startet mit einer Einweisung. Welche Bäume müssen weg, welche dürfen bleiben? © Hochschwarzwald Tourismus GmbH

Gemeinsam mit zwanzig anderen Freiwilligen stapfe ich einen grasbewachsenen Waldweg bergauf. Uns hat eine Mission zusammengeführt: Wir wollen dem Auerhuhn helfen. Denn einer der letzten Ureinwohner des Schwarzwalds ist akut vorm Aussterben bedroht. Die Bestände sind dramatisch zurückgegangen. Mit der heutigen Aktion wollen wir uns als Freiwillige beteiligen, damit das verbliebene Auerwild bessere Chancen zum Überleben hat. Wir, das ist eine bunt gemischte Gruppe aus allen Berufs- und Altersschichten, aus nah und fern. Vom Krankenpfleger bis zur Ingenieurin, von Rentnern bis zu Geschäftsführern. Was uns eint, ist die Naturverbundenheit – und die Möglichkeit, uns in unserer Freizeit oder im Urlaub für den Naturschutz zu engagieren.

Bäume fällen für die Biotopspflege

„Die Fichten müssen weg“, erklärt uns Johannes von Stemm von der Landesforstverwaltung Forst BW, der den Einsatz koordiniert. Dass wir zur Biotopspflege ausgerechnet Bäume fällen sollen, leuchtet uns zunächst nicht ein. Es sind keine mächtigen Riesen, es sind gerade mal 40 oder 50 Zentimeter hohe Stämmchen. Doch sie sind überall. Man sieht den Wald(boden) vor lauter Fichten nicht! Sie nehmen anderen Pflanzen das Licht – innerhalb weniger Jahre wäre der Waldboden derart zugewachsen, dass das Auerhuhn hier keine Nahrung mehr findet. „Auerhühner“, erklärt uns Matthias Mohaupt vom Verein Auerhuhn im Schwarzwald, „brauchen lichtdurchflutete Nadelwälder mit einem Boden, auf dem sich eine artenreiche Flora entwickeln kann, außerdem offene Korridore zum Fliegen und Sträucher, in denen sich die Jungvögel vor Fressfeinden schützen können.“

Bevor wir zu den Astscheren greifen, gibt's einen Crashkurs in Baumkunde. Denn den Fichten soll's an den Kragen gehen – nicht den jungen Tannen! Johannes zeigt uns, wie wir sie unterscheiden können und reicht einige Zweige mit Nadelspitzen herum. Bei der Fichte sind diese spitz und piksen. Die anderen sind runder und weicher, auf der Unterseite sind zwei weiße Streifen zu sehen. „Das sind Weißtannen, die bleiben stehen“, ordnet er an. Es folgt ein Exkurs zum Sägen, Schneiden, Fällen und zur Handhabung der Werkzeuge. Das Fällen bleibt jedoch den Profis überlassen: Johannes macht vor, wie ein Fallkerb fachmännisch gesetzt wird, der die Fallrichtung des Baumes bestimmt. Unser Werkzeug ist die Astschere, mit der wir die Fichten herausschneiden.

Ich suche mir das erste Nadelbäumchen, mache den Fingertest, es pikst: aha, Fichte! und setze die Astschere an.
(Birgit-Cathrin Duval)
Vouluntourismus Einsatz am Rohrhardsberg

Mit Astschere und Säge werden die jungen Fichten herausgeschnitten. © Hochschwarzwald Tourismus GmbH

Wir teilen uns in drei Gruppen ein und schwärmen aus in den Wald. Nur einen Schritt neben dem Waldweg beginnt der Dschungel aus Farnen, Buschwerk und zähen kleinen Fichten. Ich suche mir das erste Nadelbäumchen, mache den Fingertest – es pikst: aha, Fichte! – und setze die Astschere an. Einen kurzen Moment zögere ich. Es tut mir weh, das kleine Bäumchen abzuschneiden. Dann überwinde ich mich zu einem beherzten Schnitt und ziehe die Fichte aus dem verwachsenen Waldboden. Hier geht's schließlich um das Überleben des Auerhuhns! Nächste Fichte – zack, weg ist sie. Ackern fürs Auerhuhn.

Faszinierende Begegnung in freier Wildbahn

Als Fünfjährige erlebte ich meine erste Begegnung mit einem Auerhahn. Es war während der Mittagspause bei einem Skikurs auf dem Feldberg. Mit weit geöffnetem Schnabel und dunklen Augen stierte der riesige Vogel auf mich herab. Er jagte mir einen gehörigen Schrecken ein, wie er da an der Wand des gleichnamigen Gasthauses hing.

Einen lebendigen Auerhahn hingegen durfte ich in freier Wildbahn erst vor wenigen Jahren in Begleitung eines Rangers beobachten. Ich war völlig fasziniert von dem edlen Antlitz dieses imposanten, stolzen Vogels. Plötzlich holperte er mit tollpatschigen Schritten und weit ausgebreiteten Flügeln über den Waldboden und setzte zum Flug an. Fassungslos blickte ich ihm hinterher. Unglaublich, dass ein so behäbig wirkender Vogel tatsächlich fliegen kann.

Weil ich keinen Schwarzwald will, in dem Auerhühner nur noch in ausgestopfter Form an den Wänden von Gasthäusern existieren, bin ich heute an den Rohrhardsberg gekommen. Das neue Projekt Voluntourismus (siehe Infokasten) gibt mir hier vor Ort Gelegenheit, selbst einen Beitrag zum Überleben der Art zu leisten. Geleitet wird der Freiwilligeneinsatz von Johannes von Stemm vom Forstbezirk Hochschwarzwald und Christine Peter vom Naturpark Südschwarzwald.

Wir bauen hier eine richtige Startrampe für das Auerhuhn.
(Manfred, Voluntourist)

Wie viel körperliche Arbeit das Schaffen von Lebensraum für das Auerhuhn bedeutet, bekommen wir nun zu spüren: Ich fühle Muskeln, von denen ich bislang gar nichts wusste. Gleichzeitig ist es eine gute Abwechslung zum verkopften Arbeiten am Schreibtisch. Und: Bereits nach kurzer Zeit sehen wir, was wir geleistet haben. Plötzlich gibt es luftige Flächen, wo zuvor noch alles überwuchert war. Auf einer Lichtung türmen sich die abgeschnittenen Äste und Bäume zu einem großen Haufen. Hier finden künftig Hennen und Küken Unterschlupf vor ihren Feinden. Und das Wichtigste: Wir haben jede Menge Spaß dabei, zusammen anzupacken. „Wir bauen hier eine richtige Startrampe für das Auerhuhn“, freut sich zum Beispiel Manfred. Der Industriebaumeister liebt die Natur und das Draußensein – so wie wir alle, die am Einsatz beteiligt sind. Markus hingegen ist Maschinenbauingenieur und will der Natur, in der er sich so gerne aufhält, etwas zurückgeben. Er ist bereits bei mehreren Freiwilligeneinsätzen mit dabei gewesen und will sich auch in Zukunft engagieren.

Voluntouristen am Rohrhardsberg

Bunt gemischt ist die Truppe der Voluntouristen am Rohrhardsberg. © Hochschwarzwald Tourismus GmbH

Zur Mittagspause gibt es kühle Getränke und belegte Brötchen, die nach getaner Arbeit unter freiem Himmel umso besser schmecken. Johannes zeigt uns anhand von Bildern, wie sich der Wald seit 1785 verändert hat. Damals gab es nur rund 20 Prozent bewaldete Flächen – mit vielen idealen Lebensräumen für die Auerhühner. Doch die lichten, strukturreichen Wälder sind verschwunden, die meisten freien Flächen wurden mit Fichten aufgeforstet. Heute hat die Fichte kaum eine Überlebenschance, da sie weitaus anfälliger auf die Klimaveränderung reagiert als etwa die Weißtanne. Auch die Zunahme von Freizeitaktivitäten im Wald setzt dem Auerwild zu. „Wir müssen verschiedene Interessen unter einen Hut bringen“, zeigt Johannes auf, denn: „Wenn wir nichts machen, verschwindet wohl auch das Auerhuhn.“

Er zeigt sich begeistert über das große Engagement der Freiwilligen, die hier tatkräftig mit anpacken. „Es ist heute schon richtig viel Fläche bearbeitet worden“, zieht er ein erstes Fazit. „Wir schaffen Lücken und Randlinien, die dann gut durch das Auerhuhn genutzt werden können. Außerdem werden Heidelbeersträucher freigestellt, was eine wichtige Nahrungsgrundlage darstellt.“

Mit der Biotopspflege verfolgen ForstBW und der Naturpark Südschwarzwald einen integrativen Ansatz. Und für uns Freiwillige bleibt nach dem Einsatz die Freude und Hoffnung, vielleicht ein klein wenig dazu beigetragen zu haben, dass es im kommenden Jahr wieder mehr Brutpaare gibt, die den Rohrhardsberg bevölkern. Und die dafür sorgen, dass das Auerhuhn im Schwarzwald überleben wird.

Landschaft bei Rohrhardsberg

Die Aussicht am Rohrhardsberg ist einmalig. Auch das Auerhuhn soll sich hier langfristig wohlfühlen. © Hochschwarzwald Tourismus GmbH

Mehr Informationen

  • Woher kommt der Begriff "Voluntourismus"?
    Die Wortbildung „Voluntourismus“ setzt sich zusammen aus „Volunteer“ (engl. für Freiwillige) und „Tourismus“. Wer seinen Urlaub nachhaltiger gestalten und sich für die Natur am Urlaubsort einsetzen möchte, kann sich im Rahmen von koordinierten Freiwilligeneinsätzen engagieren. Seit vergangenem Jahr gibt es nun auch im Hochschwarzwald die Möglichkeit dazu. 
  • Wie kann ich mitmachen?
    Unter Federführung des Naturparks Südschwarzwald geht es bei den Einsätzen um die Pflege von Auerhuhn-Lebensraum, von artenreichen Biotopen wie Bergwiesen und Moorflächen oder von widerstandsfähigen Wäldern. Neben Tageseinsätzen wird auch eine mehrtägige Volunteer-Reise angeboten, bei der sowohl Freiwilligenarbeiten für den Naturschutz als auch geführte Wanderungen und Radtouren auf dem Programm stehen. Alle Termine und weitere Infos unter hochschwarzwald.de/voluntourismus