Die Mitglieder des ersten Skiclubs in Deutschland erlaubten sich per Satzung, anstatt sonn- und feiertags zur Kirche, zum Skifahren auf den Feldberg zu gehen.

Vom Buchclub zum ersten Skiclub Deutschlands

Piste statt Kirche: Die Geschichte des Skiclub Todtnau
01.11.2014

von Birgit-Cathrin Duval

Einem Buch und einer fixen Idee es zu verdanken, dass der Ski im Schwarzwald als Sportgerät entdeckt wurde. Als der Todtnauer Buchclub das Buch des norwegischen Polarforschers Nansen „Auf Schneeschuhen durch Grönland“ las, gab das 1891 die Initialzündung zur Gründung eines Skiclubs.

Ab da war der Ski nicht mehr aus dem Leben der Schwarzwälder wegzudenken. Diese erlernten das Skifahren mit solcher Leidenschaft und Virtuosität, dass man glauben konnte, sie sausten auf den verschneiten Berghängen hinab noch bevor sie laufen konnten.

Aber der Reihe nach: Es war im Frühjahr 1891. Ganz Todtnau feiert. Die Fasnacht zählt zu den großen Veranstaltungen im Vereinsleben des kleinen Städtchens am Fuße des Feldbergs. Doch eine kleine Gruppe, die sich im Hinterzimmer des Gasthaus Ochsen trifft, lässt das närrische Treiben kalt. Dort kommt die Todtnauer Lesegesellschaft zusammen. Es ist eine illustre Truppe: Junge Geschäftsleute, Prokuristen, Fabrikanten. Fast alle sind Zugezogene, nur wenige Einheimische sind darunter. Sie sind allem Neuen aufgeschlossen und stets auf der Suche nach Abenteuern. Und kräftig feiern können sie auch. Die Abende im Ochsen zeugen von der Trinkfestigkeit der Gruppe.

An jenem Abend im Ochsen steht ein Mann im Mittelpunkt: Fridtjof Nansen, norwegischer Polarforscher und Entdecker. Dessen Reisebericht „Auf Schneeschuhen durch Grönland“ war unlängst in deutscher Übersetzung erschienen.

„Nichts stählt die Muskeln so sehr, nichts macht den Körper elastischer und geschmeidiger, nichts verleiht eine größere Umsicht und Gewandtheit, nichts stärkt den Willen mehr, nichts macht den Sinn so frisch wie das Schneeschuhlaufen. Kann man sich etwas Gesunderes oder Reineres denken, als an einem klaren Wintertag die Schneeschuhe unter die Füße zu schnallen und waldeinwärts zu laufen?“, beschreibt Nansen seine Erfahrungen.

Nansen berichtet nicht nur die Durchquerung Grönlands, sondern stellt die Ausrüstung und die Nutzung der Bretter anhand von Bildern dar. Die Todtnauer sind Feuer und Flamme. Man stelle sich vor: Mit diesen langen, vorne zu einer Spitze gebogenen Brettern durch den Pulverschnee sausen. Im Schwarzwald! Was für ein Abenteuer! Das mussten sie ausprobieren!

Einer besitzt bereits Ski: Der Arzt!

Wie es der Zufall will: In Todtnau gibt es bereits jemanden, der ein Paar solcher Bretter zu Hause hat.

Der Todtnauer Arzt Dr. Carl August Tholus bestellte sich drei Jahre zuvor die neumodischen Schneeschuhe in Norwegen per Post. Allerdings nicht zum Vergnügen: Der Arzt wollte damit die im Winter nur schwer zugänglichen abgelegenen Höfen seiner Patienten erreichen. Doch Tholus, damals schon älter und korpulent, kommt mit den wackligen Brettern nicht zurecht. Nach wenigen Versuchen gibt er auf, die Skier landen auf dem Dachboden wo sie in einer Ecke verstauben – bis sie nach jenem denkwürdigen Abend im Ochsen zu neuen Ehren kommen.

Flugs sind die Bretter von Spinnweben befreit. Für einen aus der wilden Truppe ist der Schneeschuh eine Offenbarung. Fritz Breuer, ein athletisch gebauter Rheinländer mit dichtem Schnurrbart und strengen Augenbrauen, arbeitet als Prokurist in der Todtnauer Bürstenfabrik. Nach seinen ersten Skiversuchen vor dem Ochsen, bei denen er von Todtnauern Schulkindern ausgelacht wird, hat Breuer Blut geleckt: Jetzt will er, von seinem großen Vorbild Nansen inspiriert, ein echtes Abenteuer wagen: Mit den Skiern zum Feldberg hinaufsteigen.

Einer ist ihm allerdings zuvorgekommen: Dr. Pilet, französischer Diplomat, Weltreisender und Abenteurer. Pilet schaffte am 8. Februar 1891 den Aufstieg von Titisee her über das Bärental. Das waren über 1.000 Höhenmeter auf der rund zehn Kilometer langen, meterhoch verschneiten Strecke. Wer das im Winter wagt, muss Abenteurerblut in seinen Adern haben. Die Besteigung des Feldbergs hat Pilet ist im Gästebuch des Feldberger Hofes eingetragen. Damit ist er nachweislich der erste Skifahrer auf dem Feldberg. Breuer hat es eilig: Kein anderer soll ihm zuvorkommen. Der zweite Eintrag, der gehört ihm.

Gipfelsturm im Schneesturm

Am 19. März 1891 startet Fritz Breuer zusammen mit seinem Freund Carl Thoma II die Feldberg-Expedition. Breuers Ausrüstung besteht aus den Skiern des Dr. Toulus, sein Kamerad Thoma verwendet Schneereifen, eine Art Schneeschuh aus gebogenen Hölzern die mit einem Tuch bespannt sind und die er an seinen Stiefeln befestigt. Doch die Gipfelbesteigung steht von Anfang an unter keinem guten Stern. Am Feldberg braut sich was zusammen. Breuer ist das egal. Er ist ebenso trinkfest wie stur. Was er sich vornimmt, zieht er durch. Heute will er auf dem Feldberg stehen und sich den Eintrag im Gästebuch sichern. „Feldbergbesteigung Fritz Breuer, Todtnau. Mit Schneeschuhen.“ Davon wird ihn niemand abhalten. Auch kein Schneesturm.

Anders als Pilet, der vom Bärental her kommend auf den Feldberg stieg, wählen die beiden Kameraden die Straße über Fahl. Dort bestand seit 1885 eine steile Straße, die sich in Serpentinen vom Fahler Loch bis zum Zeiger, in der Nähe des Feldberger Hofes, wand.

Beim Aufstieg zum Zeiger, der heutigen Piste der Rothaus-Abfahrt, bläst ein eiskalter Wind, der ihnen in die Knochen kriecht. Die Männer tragen Wollkappen, Baumwolljacken und Hosen, über die Stiefel haben sie Gamaschen gezogen. Oben auf dem Feldberg türmen sich Schneewolken zusammen. Wie eine dunkle Bastion drohen sie, ihre gewaltigen Kräfte über dem Berg zu entladen. Breuer lässt sich nicht beirren. Bei gutem Wetter kann jeder den Feldberg besteigen. Nansen hatte auch mit Eis und Stürmen zu kämpfen. Wild entschlossen stapft Breuer auf seinen Skiern bergwärts. Thoma kann das Tempo nicht halten. Seine Schneereifen sinken in den Tiefschnee, jeder Schritt zehrt an seinen Kräften. Es beginnt zu schneien. Dann peitscht der Sturm los, innerhalb kurzer Zeit verschwimmt alles in einem Grau, dichtes Schneetreiben behindert die Sicht.

Als sie die Kammhöhe des Zeigers erreichen, ist Thoma völlig entkräftet. Ist das das Ende von Breuers Gipfelsturm? 

Aufgeben kommt für Fritz Breuer nicht in Frage. Doch sein Kamerad Thoma ist viel zu erschöpft, um weiterzugehen. Breuer muss eine Entscheidung treffen. Der Gipfel oder sein Kamerad.

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