Trekking auf dem Albsteig
Drei Tage war er auf dem Albsteig unterwegs: Heimatsommer-Autor Martin Böhm hat Ruhe gesucht - und sie im Schwarzwald gefunden.
Es kribbelt im Bauch. Eine Mischung aus Vorfreude und auch Respekt. Die Kombination der Gefühle kann man auch als das Salz in der Suppe bezeichnen. Vorfreude, da eine wunderbare Route von Albbruck am Rhein auf den Feldberg im Hochschwarzwald mit Zeltübernachtungen in Trekking-Camps vor mir liegt. Respekt, weil ich hier morgens um 7 Uhr allein in Albbruck auf dem Bahnsteig stehe und somit eine gewisse Zeit „Alleinsein“ vor mir liegt. Und weil die geplante Etappe körperlich ziemlich fordern wird.
Aber von vorne: Der Albsteig Schwarzwald ist eine der Strecken, die unter Outdoor-Freunden als „To-do-Listen-Bestandteil“ gehandelt werden – insbesondere, seit es entlang der Strecke sogenannte Trekking-Camps gibt. Das sind idyllisch gelegene Flächen, auf denen legal gezeltet werden kann, aber nicht der Rummel wie auf einem Campingplatz herrscht. Maximal drei Zelte pro Nacht, bis auf eine Toilette und eine Feuerstelle gibt es keine Infrastruktur. Ruhe und Naturgenuss pur.
Nach der Onlinebuchung bekommt man die genauen Koordinaten zugesendet. Das geht unkompliziert und fix. Auf den Camps "Felsenhalde" und "Steinbruch" habe ich mir einen Platz gesichert. Das ergibt am ersten Tag eine herausfordernde Strecke von etwas über 30 Kilometern, mit einigen Höhenmetern garniert. Die weiteren Tage werden dann ruhiger. So der Plan. Mir ist vor allem wichtig: Ruhe – absolute Ruhe. Muss ja auch mal sein, mit Job und Familie.
Selbst in der Bahn nach Albbruck war es auffällig ruhig. Es ist früher Morgen, als das Piepsen der Zugtüren hinter mir verstummt. In der Morgendämmerung stehe ich am Bahnhof. Spätsommer, eine schöne Jahreszeit zum Wandern. Die Wettervorhersagen für die nächsten Tage sind da anderer Meinung – aber man wird sehen. Auch Nebel und Regen können zwischendurch schön sein und das ursprüngliche Naturerlebnis bereichern.
Das Wanderschild mit dem Albsteigsymbol empfängt mich bereits neben dem Bahngleis. Ich stapfe los, im Rucksack ca. 10 kg an Gewicht, darunter Schlafsack, Zelt, Isomatte, Bekleidung, Essen für die ersten anderthalb Tage und Wasser. Das bringt völlige Freiheit und Unabhängigkeit mit sich.
Wenige Minuten, nachdem ich die Ortschaft Albbruck hinter mir gelassen habe, geht die Sonne auf. Schritt für Schritt zieht sich der Albsteig bergauf über Schotterwege mit Ausblicken in Richtung Alpen. „Perfekt auch für einen Familienausflug“, denke ich – werde aber schnell eines Besseren belehrt. Schon nach wenigen Kilometern schlängelt sich der Weg steil in die Albschlucht hinunter. Umsäumt von moosbewachsenen Bäumen und Felsen wähnt man sich im Märchenland – und unten in der Talsohle der gurgelnde Fluss. Wirklich ein traumhafter Trail! Aber er erfordert volle Konzentration. Hier kommt es mir entgegen, dass ich, anders als sonst üblich, nicht parallel noch auf den Nachwuchs aufpassen muss. Für eine Familientour merke ich mir das aber dennoch jetzt schon einmal vor, die angegangen wird, sobald die Kinder eigenständig trittsicher sind.
Die Kilometer ziehen unter meinen Schuhen dahin und ich genieße das gleichmäßige Atmen, die Fokussierung auf die Umgebung und – da ich keine Mitläufer habe – das für mich immer genau passende Tempo. Eindeutig ein Vorteil bei Solo-Touren. Direkt am Fluss mache ich eine ausgedehnte Pause, wasche mein verschwitztes Gesicht im kalten Wasser. Auf einem Stein sitzend sauge ich die Eindrücke auf wie ein Schwamm.
Weiter geht es, teils über breite Waldwege, teils auf verschlungenen Pfaden in dichtem Bannwald. Noch wenige Kilometer sind es zum ersten Trekking-Camp. Ein letzter steiler Anstieg trennt mich vom herbeigesehnten Lagerplatz. Ein Wegbegleiter, mit dem ich das gemeinsame „Leid“ teilen könnte, wäre nun ganz gut. Stattdessen schalte ich eben ein Gang hoch und ziehe zügig durch. Am Lagerplatz angekommen, geht die Sonne langsam unter. Ich errichte das Zelt, werfe den Gaskocher an und bereite mein Abendessen zu. Der Körper ist ausgelaugt, aber das Erlebte und die Zeit der Ruhe und Anstrengung machen mich glücklich. Gegen 21 Uhr ziehe ich die Daunenhülle des Schlafsacks zu und versinke rasch in einen tiefen Schlaf.
Monotones Prasseln lässt mich Erwachen. Aus dem Schlafsack heraus koche ich Kaffee. Das ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen bei Trekkingtouren und auch jetzt ist die Atmosphäre überragend. Trotz Regen und Nebel. Die Wettervorhersage verspricht Besserung ab dem Nachmittag. Also alles halb so wild.
Das Mobiltelefon piepst. Ein Freund hat spontan etwas Zeit und meint: „Ich muss mal wieder richtig raus. Mit Zelt, Feuer und guten Gesprächen“. „Passt“, denke ich mir und schlage ihm vor: „Komm nach Häusern! Wir laufen den Nachmittag zusammen, schlagen ein gemeinsames Lager auf und trinken ein kühles Bier am Lagerfeuer“. Mit Bus und Bahn ist Häusern für ihn sehr gut erreichbar.
Kurz nach Mittag treffen wir uns beim Einkauf von Proviant in Schmidts Markt in Häusern. Ich freue mich über den Weggefährten. Es ist schön, allein unterwegs zu sein. So wie gestern und heute Morgen. Aber es ist auch schön, zu zweit oder in einer kleinen Gruppe unterwegs zu sein. Wir kommen ins Plaudern, freuen uns über die frische Luft, die üppigen Wälder und Wiesen und wundern uns über eine Schleife auf dem Track, kurz vor St. Blasien. Es gäbe von hier aus auch einen direkten Weg in die Domstadt. Aber der Albsteig, das hat er auf den ersten 50 Kilometern schon gezeigt, verspricht die besten Ausblicke und die schönsten Wege – nicht immer die direkten. Und das ist gut so. Denn die Schleife führt uns durch die enge Windbergschlucht – für mich eines der Highlights auf dieser Tour.
Bei Menzenschwand erreichen wir das Camp Steinbruch. Was für ein Ort! Der Bach rauscht, Feuerholz ist hergerichtet, alles liebevoll und in bestem Zustand. Am Lagerfeuer ist es trotz kühler Temperaturen wohlig warm. Wir sitzen bis spät in der Nacht zusammen, gefühlt mitten in der Wildnis.
Der nächste Morgen bietet nebelgeschwängerte Waldhänge um uns herum, und zwischen den Wolken schickt die Sonne Licht auf das sich bereits verfärbende Laub. Ein Farbenspektakel, das die urtümliche Atmosphäre in dem in der Eiszeit entstandenen Hochtal noch verstärkt. Freudig ziehen wir die Wege und Pfade entlang und haben hin und wieder bereits den Feldberggipfel vor Augen. Lange geht das heute nicht, dann sind wir am Ziel.
Und schon piepst wieder die Türe. Ich sitze im warmen Innenraum des Busses und denke: „Wahnsinn“. Vorgestern am Rhein losgelaufen, eine tolle Strecke erkundet, eine wunderbare Zeit gehabt, allein das intensive Naturerlebnis gespürt, zu zweit die Stimmungen und Eindrücke genossen und sich über Gott und die Welt unterhalten – und am Ende stand ich auf dem höchsten Gipfel der deutschen Mittelgebirge und konnte den famosen Rundumblick in alle vier Himmelsrichtungen genießen. Und das alles in zweieinhalb Tagen.