
Bei der Bergwacht zuhause
Wo andere umkehren, beginnt für sie das Einsatzgebiet. Die Retter von der Bergwacht sind Spezialisten im Überwinden von natürlichen Hindernissen. Im Schwarzwald zählt die Organisation rund 1.500 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer. Eine davon ist die Feldbergerin Martina Mayrock.
Martina Mayrock ist in Gedanken schon in Freiburg, wo am nächsten Morgen ihre berufliche Ausbildung wieder losgeht, als sich plötzlich der Piepser meldet. Das Ehrenamt, dem sie sich verschrieben hat, hält sich an keinen Zeitplan. Wer dazugehört, ist allzeit bereit. Das ist der Deal. So hat sie es von klein auf verinnerlicht. Es ist der 1. Februar 2015, ein später Sonntagabend. Andere lassen vor dem Fernseher gemütlich die Woche ausklingen – die junge Feldbergerin, die damals noch bei den Eltern wohnt, zieht ihre wasserdichte Bergwachtkleidung an und rückt aus, ohne zu wissen, was sie erwartet.
Nur zwei Tage zuvor war sie bereits zu einem Einsatz gerufen worden. Nach starken Schneefällen hatten Lawinen am Feldberg zwei Personen verschüttet. Beide konnten nur noch tot geborgen werden. Auch wenn solche tragischen Vorfälle selten sind, muss sich ein Bergwacht-Mitglied darauf einstellen. Diesmal geht es um einen Mann, der irgendwo im Neustädter Wald völlig die Orientierung verloren hat. Kurz vor Mitternacht sendet er einen Hilferuf an die 112. Die Straßen sind vom vielen Neuschnee noch nicht freigeräumt. Die Bergwacht kann auf ein Raupenfahrzeug zugreifen, das jedoch zu allem Unglück den Geist aufgibt. Das Team um Martina Mayrock teilt sich in Zweiergruppen auf und stapft durch den hüfttiefen Schnee. Weitere Ortsgruppen eilen zur Hilfe. Gesucht wird in alle Richtungen. Gegen vier Uhr früh dann die Erlösung: Sie haben ihn gefunden. Der gesuchte Mann ist unterkühlt, aber wohlauf und seinen Rettern unendlich dankbar. Als Martina Mayrock um halb sechs zuhause ankommt, schippt sie vor dem Elternhaus den Schnee weg und fährt dann direkt mit dem Zug nach Freiburg. Bis zum Nachmittag hält sie durch, den Rest des Unterrichts nimmt sie sich frei. „Mein Dozent hatte vollstes Verständnis“, sagt sie.

Jeder Einsatz ist anders. Mal müssen die Helfer der Bergwacht Verletzte mit dem Hubschrauber bergen (Bild oben: Martina Mayrock bei einer Übung), mal kommt ein Raupenfahrzeug zum Einsatz. © Martina Mayrock
Manche würden das, was sie tut, als selbstlos bezeichnen, weil sie so viel Zeit für andere aufopfere. „Ich selbst empfinde mein Ehrenamt aber gar nicht als Opfer“, sagt Martina Mayrock. „Es ist einfach meine Pflicht und diese erfülle ich mit Hingabe.“ Dieser Satz kommt bei ihr ohne jedes Pathos daher. Die 26-Jährige trägt ihn mit einer fröhlichen Leichtigkeit vor – wie alles, was sie über die Bergwacht erzählt.
Von der Mutter hat sie erfahren, dass sie bereits mit zwei Jahren zum ersten Mal auf eigenen Skiern stand. Als Martina Mayrock zehn ist, zieht sie mit der Mutter von Stuttgart in den Hochschwarzwald und schließt sich direkt der Bergwacht an. „Ich konnte klettern, schneeschuhwandern, war an der frischen Luft und in der Gemeinschaft. Bei der Bergwacht fand ich alle meine Hobbys vereint.“
Ihre Mutter, eine gebürtige Bayerin, musste über die neue Leidenschaft der Tochter anfangs etwas schmunzeln: „Im Schwarzwald gibt es doch gar keine echten Berge. Hier passiert doch nichts“, habe sie gesagt. Außerdem war sie in Sorge, das Kind könnte vor lauter Ehrenamt die Schule vernachlässigen. „Für die Bergwacht hatte ich immer Zeit“, sagt Martina Mayrock. Das Abi hat sie dennoch bestanden. Wenige Stunden vor dem Abschlussball kam es dann, wie es kommen musste: Es piepte. Eine Schweizerin hatte sich im Wald beim Pilzesammeln ein Bein gebrochen und musste aus dem Dickicht geborgen werden. Die Friseurin sei bestellt, die warte nicht, rief die Mutter ihrer Tochter vergeblich hinterher. Nach dem Einsatz schaffte es Martina Mayrock gerade noch rechtzeitig zur Friseurin. Sie muss lachen: „Während des Haareschneidens putzte ich mir die ganze Zeit die Fingernägel.“

Viel Bewegung in der Natur und eine tolle Gemeinschaft: Das macht das Ehrenamt bei der Bergwacht so reizvoll. findet Martina Mayrock. © Benedikt Asal
Als Martina Mayrock als Zehnjährige bei der Bergwacht anfing, war sie die Jüngste in der Ortsgruppe Hochschwarzwald. Mit 14 rückte sie auf zu den sogenannten Anwärtern. „Von da an wird’s ernst“, sagt sie. Als Anwärterin absolvierte sie mehrere Prüfungen. Unter anderem musste sie zeigen, wie man sich in der Wildnis mit einem Kompass zurechtfindet, das Wetter richtig deutet, eine Person wiederbelebt oder mit dem Rettungsschlitten einen Verletzten abtransportiert.
Bei allem angehäuften Knowhow: Jeder Einsatz ist anders. Einmal hatte sich ein Heißluftballon beim Landeversuch in einer Baumkrone verheddert. Da hilft kein Schema F, sondern nur Kreativität und Improvisationsvermögen. Ein andermal war eine Frau beim Klettern abgestürzt und reagierte kaum auf Anweisungen. Irgendwann stellte sich heraus, dass die Verunglückte nahezu gehörlos war. Einem glücklichen Zufall war es zu verdanken, dass die Notärztin Gebärdensprache beherrschte. „Solche Einsätze zeigen, was im Ernstfall alles nützlich sein kann“, sagt Martina Mayrock.
"Wir sind Retter und keine Richter."
Manchmal kommt es vor, dass sie sich in Gefahr begeben muss, weil andere nachlässig waren. Zum Beispiel, wenn jemand Wegweiser missachtet oder mit Sandalen durch Schluchten latscht. Mit Ratschlägen hält sich Martina Mayrock in solchen Fällen jedoch zurück. „Wir sind Retter und keine Richter“, stellt sie klar. Das Letzte, was ein Verunglückter brauche, sei ein schlechtes Gewissen. Schließlich gehe es ihm schon schlecht genug.