Spießer, da steht er!

Im Herbst: In freier Wildbahn Rotwild beobachten
14.03.2017

von Pascal Cames

Der röhrende Hirsch ist seit eh und je ein beliebtes Symbol für den Schwarzwald. In freier Wildbahn ist das scheue Rotwild aber selten zu sehen und noch weniger zu hören. Darum gibt es im Herbst während der Brunft geführte Touren zu Plätzen, wo das Rotwild sich sicher fühlt. Fernglas nicht vergessen!

20 naturbegeisterte Männer sowie ein paar Frauen und Kinder sitzen eng an eng auf hartem Holz in einer am Hang gebauten Hütte. Wird etwas gesagt, dann sehr leise. Manchmal hört man ein flüstern und raunen, hüsteln und räuspern, auch ein Stoff an Stoff der Funktionswäsche ist zu hören, weiter nichts. Mit der Zeit wird es immer ruhiger in der Hütte, dafür wird die Umwelt immer lauter. Ein Vogel zwitschert. „Schwarzspecht“, erklärt der Förster. Flugzeuge sind zu hören und ganz weit weg Motorräder. Jemand strafft den Oberkörper und hebt den Kopf. Hört man da nicht den Hirsch brüllen? Hirsch? Man zuckt mit den Schultern. War da was? Später wird man sich noch darüber unterhalten, was war und was nicht. 

Die Geschichte dieser vom Naturschutzzentrum Südschwarzwald organisierten Tour beginnt bei den meisten schon sehr früh. Einer ist Jäger, hat aber noch nie Rotwild gesehen und ist eigens dafür aus Berlin angefahren. Zwei Freundinnen vom Starnberger See ergeht es genauso und machen darum gleich Urlaub im Hochschwarzwald. Eine Familie aus Freiburg hat es in der Zeitung gelesen. Die Jäger erkennt man an der grünen Kleidung und an der Kopfbedeckung. „Dem Wild begegnet man nicht unbekleidet“, erklärt verschmitzt der Jäger aus Berlin.

Was ist ein Reh und was ein Hirsch?

Angeleitet wird die bunte Gruppe von Förster Achim Schlosser (38) vom Naturschutzzentrum Südschwarzwald. Der Flecken am Blasiwald beim Schluchsee gehört zum Rotwildgebiet Südschwarzwald in dem 400 Hirschen und Hirschkühe leben. Die Zahl der der Tiere wird bewusst klein gehalten, vor Jahren waren auch schon mal 800 Exemplare. Zu viel Rotwild schadet dem Wald, erklärt Achim Schlosser. Die Hirsche fressen dann Baumrinde und danach gehen die Bäume kaputt. Da die Zahl der Tiere überschaubar ist, stehen die Hirsche während der Brunft kaum unter Konkurrenzdruck. Sie müssen nicht so viel brüllen, erklärt Achim Schlosser. Aber was ist ein Reh und was ein Hirsch? Viele wissen es, manche halten ein Reh für das Weibchen vom Hirsch. Der Förster erklärt den Unterschied, Rehe werden 20 Kilo schwer, ein Hirsch schon mal 170 Kilo.

Sofort werden die Ferngläser gezückt und das Gelände von links nach rechts, Meter um Meter gescant.
Sofort werden die Ferngläser gezückt und das Gelände von links nach rechts, Meter um Meter gescant. © Pascal Cames

Am vereinbarten Treffpunkt, einem Wanderparkplatz, legt der Förster zur Ansicht zwei Felle aus. Das eine ist von einem Reh, das mehr als doppelt so große stammt von einem Hirsch. Um es noch anschaulicher zu machen, lässt er Geweihe von Reh und Hirsch herumreichen. Die Teilnehmer nehmen es in die Hände, sehen und spüren den den Unterschied zwischen Reh und Hirsch. „Haben Hirsche natürliche Feinde, wie Luchs oder Wolf?“, will einer wissen. Feinde haben sie nicht, erklärt Achim Schlosser, der Wolf sei noch nicht angekommen. „Es ist immer spannend“, schließt der Förster die Einführung ab, manchmal kriegt man auch nichts zu sehen. Eine Garantie gibt es nicht. Dann rollt er wie ein Trapper die Felle zusammen und verstaut sie in seinem Jeep.

Um es noch anschaulicher zu machen bringt er noch Geweihe mit.
Um es noch anschaulicher zu machen bringt er noch Geweihe mit. © Pascal Cames

Auf gehts zum Waldkino...

Die Gruppe setzt sich in Bewegung, vorneweg der Förster. Ein gutes Stück geht es auf einen breiten Forstweg, dann zweigt es an einer nicht ausgewiesenen Stelle in die Büsche ab und man folgt einem Pfad durch hohe Farne und vorbei an Steinen, die gut Moos angelegt haben. Der Weg ist stellenweise sumpfig, Steine und Wurzeln sind glitschig. Mit Bedacht geht es den Buckel hoch, der Weg zweigt ab in einen trockenen Tannenwald und bald ist die Hütte erreicht, wo das Waldkino stattfindet. Die Hütte hat Hanglage und einen breiten Sehschlitz auf eine Waldwiese mit Findlingen, ein paar Bäumen und Sträuchern, einer Senke mit Bach und einer Straße zu einem verlassenen Haus. Weiter oben am Hang ist dichter Wald, davor liegt eine Waldwiese wo Rehe und Hirsche besonders gerne äsen. Da dort nie gejagt wird, fühlen sich die Tiere dort sicher.

Die Gruppe setzt sich in Bewegung, vorneweg der Förster.
Die Gruppe setzt sich in Bewegung, vorneweg der Förster. © Pascal Cames

Der Spießer kommt zu besuch

Sofort werden die Ferngläser gezückt und das Gelände von links nach rechts, Meter um Meter gescant. Einer baut seine Kamera auf mit einem Objektiv, wie man es vom Sport kennt. Wahrscheinlich könnte er damit auch die Flöhe im Fell fotografieren. Man wartet, wird leiser und horcht. Der Hirsch? Der lässt sich nicht blicken. Manche hören etwas, andere nicht. „Der soll mal röhren!“, flüstert einer. Leises Gemurmel. Eigentlich müsste man gar nicht so leise sein, das Wild bekommt auf diese Distanz nichts mit, was in der Hütte los ist. Da! Da! Da! Tatsächlich tauchen zwei Rehe auf, schnell sind sie auch wieder weg. Da radelt doch tatsächlich ein Mountainbiker durchs Bild! Das Warten geht weiter. So langsam wird es dunkel in der Hütte. Jetzt endlich kommt der Hirsch, aber ein junges Exemplar. In der Jägersprache heißen sie Spießer, weil die Hörner noch Spieße sind, erst in späteren Jahren wird das Geweih größer, verzweigter und imposanter, bis man beispielsweise von einem Zwölfender sprechen kann, das wäre ein Hirsch dessen Geweih links und rechts sechs Enden hat. Kaum entdeckt, springt der junge Spießer schon wieder ins Gebüsch. Weiter passiert nichts und nach knapp anderthalb Stunden steht Achim Schlosser mit einem „das war's“ auf. Den gleichen Weg geht es zurück, jetzt aber mit Taschenlampe. In der einbrechenden Nacht wirkt die Gruppe wie eine Lichterkarawane.

Jetzt endlich kommt der Hirsch, aber ein junges Exemplar.
Jetzt endlich kommt der Hirsch, aber ein junges Exemplar. © Hubertus Ulsamer

Warum hat sich das Wild heute so rar gemacht? Die Windrichtung sei nicht gut gewesen, normalerweise bläst er von Westen, dieses Mal von Norden, erklärt der Förster. Wahrscheinlich wurden die Menschen vom Wild erschnuppert. Enttäuschung? Nein! „Der Weg zum Bild ist das Ziel“, lacht der Fotograf. „Wann kommt man schon mal in die freie Natur!“, meint er über seine Beweggründe. Einer sagt, „ist halt freie Wildbahn, damit müsste man halt rechnen.“ Familie Schmidt aus Freiburg ist guter Dinge. Die wollen es wieder probieren und außerdem haben sie ja Rehe und einen Spießer gesehen. „Wann sieht man schon mal einen Spießer und Rehe?“ Dann bläst doch tatsächlich noch ein Jäger ins Horn, spielt aber nicht den „Hirschtod“, sondern eine andere wehmütige Melodie. Die Kinder der Schmidts unterhalten sich noch mit dem Förster. „Was ist der Unterschied zwischen Förster und Jäger?“, wollen die beiden Mädchen wissen. Die Sterne sind klar zu sehen und es wird kalt. Bald zieht Nebel auf.

Gut zu wissen

Wer Rehe (häufiger) und Hirsche (selten) in freier Wildbahn erleben will, sollte sich im Wald auf die Morgen- oder Abendstunden beschränken, da ist die Wahrscheinlichkeit am größten. Normalerweise ist Rotwild nicht nachtaktiv, aber durch zu viele Menschen im Wald, sieht man es tagsüber kaum mehr. Wichtig ist: leise sein, Handy stumm schalten und auf den ausgezeichneten Wanderwegen bleiben. Mit einem Fernglas hat man die besten Chancen Reh und Hirsch zu sehen. Auf Hochsitze steigen, ist aus versicherungstechnischen Gründen nicht erlaubt.

Wenn Sie auch gerne einmal mit einem Förster oder Jäger zum Tiere beobachten losziehen möchten, können Sie sich in vielen Orten im Hochschwarzwald einer Pirsch anschließen.